StartseiteRegionalNeustrelitzDie Karawane hilft zurück ins Leben

Der ganz normale Alltag als Therapie

Die Karawane hilft zurück ins Leben

Blankensee / Lesedauer: 4 min

Jugendliche, die hierher aufs Land kommen, haben ihre meisten Chancen vertan. Die  Karawane in Blankensee ist für sie tatsächlich fast die letzte  Möglichkeit, von der schiefen Bahn ganz und gar wegzukommen.
Veröffentlicht:11.06.2015, 06:00
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Sie haben keine Achtung, keinen Respekt vor ihrem Gegenüber. Was sie vor allem kennen, ist Gewalt. Gewalt, die sie selber zur Genüge erfahren haben –  seelische und körperliche. In der Fachsprache der Jugendämter werden sie als „extrem verhaltensauffällige, seelisch kranke  Jugendliche“ bezeichnet, die eine intensive  therapeutische Betreuung brauchen. Alle bisherigen Hilfsangebote schlugen fehl. Die Karawane in Blankensee ist die letzte Chance für die 13-  bis 17-Jährigen, ihr Leben in den Griff zu bekommen.

„Wir können uns vor Anfragen kaum retten. So groß ist der Bedarf. Jugendämter aus dem gesamten Bundesgebiet schicken betroffene Jugendliche in unsere Einrichtung“, sagt AWO-Geschäftsführer Jörg Fischer. Die Karawane der AWO gibt es seit fünf Jahren in Neubrandenburg. Das Heim im Eschengrund in Neubrandenburg bietet Platz für zwölf Jugendliche. Vor einem Jahr kam mit der Einrichtung in Blankensee ein zweiter Karawane-Standort hinzu. „Wir waren sehr froh, dass wir diesen leer stehenden Hof erwerben konnten. Die Gemeinde sah unser Vorhaben von Anfang an mit Wohlwollen, bot uns die Zusammenarbeit mit der Schule und der Feuerwehr an“, sagt Fischer. Etwas abseits vom Dorf liegt der Drei-Seiten-Hof. Riesige Linden stehen am Eingang, Reste einer Feldsteinmauer umgeben das Areal. „Das hier ist keine geschlossene Einrichtung“, betont der AWO-Chef. Erst neulich hatte sich ein 13-jähriges Mädchen bei einem Ausflug  zum Pfingstfest in Neubrandenburg aus dem Staub gemacht.

Die jungen Menschen brauchen intensive Betreuung

Nach Blankensee kommen die Jugendlichen der sogenannten Phase 1. Was bedeutet, dass sie sehr intensiv therapeutisch betreut werden müssen. „Diese Jugendlichen sind äußerst aggressiv, in vielen Fällen auch eine Gefahr für sich selbst, überhaupt nicht gruppenfähig, wenig bis gar nicht leistungsbereit und oftmals psychisch auffällig“, beschreibt Fischer. Manche von ihnen haben über längere Zeit auf der Straße gelebt, ein normales Leben kennen sie nicht.

„Über Konsequenzen ihres Tuns machen sie sich überhaupt keine Gedanken. Gutes Zureden und Vorbild zeigen bei ihnen nur wenig Wirkung“, sagt Fischer. In Blankensee werden die Jugendlichen mit klaren Regeln konfrontiert und, was noch wichtiger ist,  auch mit den Konsequenzen, wenn diese Regeln nicht eingehalten werden. „Hier erleben sie, dass sich ihnen jemand entgegenstellt und auf die Einhaltung pocht. Immer und immer wieder.“ Kein leichter Job für die Karawane-Mitarbeiter.

Rund um die Uhr sind die Pädagogen und Erzieher im Einsatz. Tagsüber werden sie von zwei Handwerkern, Hauswirtschaftlerinnen und Lehrern unterstützt. „Wichtig ist, dass die Jugendlichen immer zu tun haben, dass sie immer wieder Ergebnisse und Folgen ihres  Tuns erleben“, sagt Fischer.

Eine kleine Landwirtschaft entsteht

Gunther Anke ist einer der Handwerker im Blankenseer Karawane-Haus. Mit den Jugendlichen baut er neue Betten auf, richtet Zimmer ein. Denn kürzlich wurde ein weiteres Haus auf dem Drei-Seiten-Hof fertiggestellt. Jetzt stehen in Blankensee zwölf Betreuungs-Plätze zur Verfügung. Die Jugendlichen sind in  Einzelzimmern untergebracht. Die Bäder, Küche und auch den Aufenthaltsraum nutzen sie aber gemeinsam. Für den Schulunterricht steht überdies noch ein Extra-Raum zur Verfügung.

Im benachbarten Stall gibt es eine Werkstatt, Kaninchenställe, Fitnessgeräte. „Wir sind hier noch lange nicht fertig. Beschäftigung gibt es noch genug“, sagt Jörg Fischer. So will die AWO für ihr Karawaneprojekt in Blankensee noch Ackerfläche pachten oder erwerben.

Ein Pferdestall soll gebaut werden. Jugendliche, die die Station in Blankensee erfolgreich durchlaufen haben, gehen ihren Weg weiter in der Neubrandenburger Einrichtung. Dort beginnt dann ihre  sogenannte Integrationsphase. Sie besuchen öffentliche Schulen, ihre Freizeit  können sie in Vereinen der Stadt verbringen.

Wenn alles gutgeht, beginnen sie eine Lehre und ziehen mit der Volljährigkeit dann ins betreute Wohnen. „Bis dahin ist es ein harter Weg, mit vielen Rückschlägen und manchen Enttäuschungen – für alle Beteiligten. Darum heißt das Projekt auch Karawane“, sagt Jörg Fischer.