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Schuldenberg

Langfinger-Bürgermeister die Ausnahme

Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Immer mehr Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern wächst der Schuldenberg über den Kopf.
Veröffentlicht:16.04.2003, 00:00
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Von dem Schlag ins Kontor haben sich Jung und Alt in der Gemeinde Böken (Landkreis Nordwestmecklenburg) immer noch nicht erholt. Seit zu Beginn der 90er Jahre ihr demokratisch gewählter Bürgermeister samt der Gemeindekasse verschwand, genießt jedes Dorfoberhaupt in der Gemarkung besonderes Augenmerk. Noch einmal sollte so etwas nicht passieren. Denn jener kriminelle Verwaltungschef stahl nicht nur das Bargeld, sondern hatte schon längst zuvor mit dubioser Auftragsvergabe an Strohmann-Firmen seine Schäfchen ins Trockene gebracht. Die „Nassen“ erbte die Gemeinde, die zur Bezahlung dieser Aufträge Kredite aufnehmen musste. Daran leidet das Dorf noch heute.

Mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von über 9000 Euro zählt das ländliche Idyll zu den am meisten verschuldeten Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern. Kleiner Trost für die Bökener: Einige Jahre später wurde der Ex-Bürgermeister im Baltikum verhaftet. Vom gestohlenen Geld indes war nichts mehr zu finden.‹‹ Wohnungen auf Pump ››Bei allen anderen Bürgermeistern überwiegt die Redlichkeit und dennoch haben viele Schulden. An sich seien die auch kein Problem, sagt Thomas Deiters, der Finanzexperte des Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-Vorpommerns. Aber wenn sich die Einnahmen der Kommunen nicht so entwickeln würden, wie bei der Investition ursprünglich erwartet, könne es schon knapp werden.

Beispiel Wohnungsbestand. Laut Deiters haben in Nach-Wendezeiten viele Kommunen auf Pump Quartiere gekauft und kräftig saniert. So lange die geplanten Mieteinnahmen fließen würden, sei auch alles in Ordnung gewesen. Doch zunehmender Leerstand – infolge Abwanderung in Richtung Westen – haben die Konzepte ins Wanken gebracht. In Lupendorf (Müritzkreis) kämpft man seit Jahren mit einem unausgeglichenen Etat. Der Hauptgrund dafür eine Leerstandsquote in den gemeindeeigenen Wohnungen von 30 Prozent. Dessen ungeachtet müssen die Sanierungskredite weiter gezahlt werden. Im weiter westlich gelegenen Hohen Wangelin reißt man schon einen ganzen Wohnblock ab. Gerade hat das Land rund eine viertel Million Euro dafür bewilligt. Doch auch danach hat Hohen Wangelin mit 25 Prozent Leerstand in den Wohnungen zu kämpfen. Hohen Wangelin und Lupendorf zählen zu den am meisten verschuldeten Gemeinden im Land.Klassisches Beispiel für den Abriss leer stehender Plattenbauten ist Dranske auf Rügen.

Bis zum Juni sollen drei ganze Wohnblöcke weichen. Die Maßnahme wird im Rahmen des Programms Stadtumbau Ost von Bund und Land mit 1,75 Millionen Euro gefördert. Dranske ist die erste Gemeinde im Land, in der Häuser mit Mitteln dieses Programms abgerissen wurden. Der Ort ist vom Bevölkerungsrückgang besonders stark betroffen. Im ehemaligen Marinestützpunkt lebten 1989 noch 3760 Menschen, Ende 2001 waren es laut Ahlers nur noch 1826. Der Leerstand der Gemeindewohnungen lag bei 56,1 Prozent. Im Haushalt der Gemeinde klafft für 2003 ein Fehlbetrag von etwa 500 000 Euro. Davon gehen 230 000 auf den Leerstand zurück.‹‹ Entscheidungen richtig ››Von Fehleinschätzungen zu sprechen will sich Thomas Deiters aber hüten.

Solche Entwicklungen habe vor Jahren niemand voraussagen können. Das Gleiche treffe auf Investitionen in Gewerbegebiete zu, von denen große Flächen heute immer noch nicht genutzt seien. „Hätte man gar nichts machen sollen?“, fragt Deiters provokant. Viele Entscheidungen, die sich heute als verfehlt erweisen würden, seien vor Jahren aber richtig gewesen.Noch gebe es keine Kommune im Land, sagt der Mann vom Städte- und Gemeindetag, die ihren aktuellen Kapitaldienstverpflichtungen nicht mehr nachkomme. Irgendwie habe es immer gereicht. Manchmal seien die Banken entgegengekommen, manchmal habe das Schweriner Innenministerium „Feuerwehr“ gespielt. Doch der „Topf“ Fehlbetragszuweisungen, aus dem geholfen werde, sei nicht sehr groß. Schließlich fehle das Geld, das hier ausgegeben werde, wieder an anderer Stelle. Und verlassen, so Deiters, solle man sich darauf nicht.