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Regionale Landwirtschaft

Den Früchten gehen die Bauern aus

Werder / Lesedauer: 4 min

Obstkammer nannte sich die Region um Werder einmal. Heute ist von 11  000  Hektar Plantagen nur noch ein Bruchteil übrig, Landwirte finden kaum Auszubildende. Wie soll es so mit der Produktion von Äpfeln, Pflaumen und Kirschen in der Mark weitergehen?
Veröffentlicht:23.04.2014, 19:17
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So früh haben die Obstbäume in Werder lange nicht mehr geblüht. „Bald ist die Vollblüte erreicht“, sagt Obstbauer Thomas Giese und streicht sanft über einen Apfelbaumzweig. Manche bangten schon, dass das 135.  Baumblütenfest (26. April bis 4. Mai), eines der größten Volksfeste Deutschlands, diesmal gänzlich ohne Blüten stattfinden könnte.

2014 könnte ein gutes Jahr für die Obstbauern im Havelland werden – sofern die Nächte weitgehend frostfrei bleiben. Früher Frühling hin oder her, eine einzige zu kalte Nacht könne große Teile der Ernte vernichten, sagt Bauer Giese. Der schlanke Landwirt ist Geschäftsführer der Havelfrucht GmbH. Mit 180 Hektar Anbaufläche ist der Betrieb einer der größten Obstproduzenten rund um Werder. Äpfel, Pflaumen, Kirschen: Die Geschäfte liefen gut, sagt Giese. Havelfrucht beliefert die großen Supermarktketten. In der Saison beschäftigt das Unternehmen bis zu 450 Mitarbeiter. Aber die meisten Obstanbau-Betriebe in Werder sind deutlich kleiner, manche kämpfen ums Überleben.

Millionen Apfelbäume fielen Motorsägen zum Opfer

„Obstkammer“ Berlins wurde die Region einmal genannt. Schon vor über 100 Jahren brachten die Obstbauern ihre Früchte in die große Hauptstadt zum Werderschen Markt. Zu DDR-Zeiten wurde dann planwirtschaftlich expandiert: 17 Millionen Apfelbäume wurden im Havelland gepflanzt – nach der Maxime „Für jeden DDR-Bürger ein Apfelbaum“. Die Plantagen standen auf 11 000 Hektar, im Herbst zogen die Studenten in Scharen zum Ernteeinsatz. Sechs, sieben Meter hoch seien die Äpfel-Erträge damals aufgetürmt worden, erinnert sich Walter Kassin, Vorsitzender des Werderschen Obst- und Gartenbauvereins von 1878.

Doch nach dem Ende der DDR und dem Einzug der Marktwirtschaft dröhnten monatelang Motorsägen im Havelland. Zu Millionen wurden die Apfelbäume gerodet, weil ihre Früchte zumeist nicht EU-Normen entsprachen und auf dem europäischen Markt als nicht absetzbar galten. Belohnt wurde der Kahlschlag mit 8000 D-Mark pro Hektar, wenn dort
15 Jahre lang keine Apfelbäume neu gepflanzt wurden.

Heute ist die Anbaufläche auf etwa 900 Hektar geschrumpft. Dabei essen die Leute nicht weniger Obst. Doch viele Äpfel, die heute verkauft werden, sind in Italien, Chile oder Neuseeland gewachsen – nicht in Brandenburg. „Unverständlich“ sei das, findet Kassin. Rund 20 Obstbauern und -betriebe gehören seinem Verein an. Das Gros der Werderaner Obstbauern bewirtschaftet aber nur einige Hektar. Theoretisch könnten sie auch die Supermarktketten beliefern, aber dafür fehlen ihnen die Lebensmittel-Zertifikate. „Und Zertifikate kosten Geld“, sagt Obstbauer Giese. Außerdem nehmen die Handelsketten in der Regel nur große Massen ab.

Trend zu regionalen Produkten gibt Hoffnung

Den Kleinbauern bleibt folglich nur die Direktvermarktung, etwa auf den Berliner Wochenmärkten. Andere stellten auf lukrativen Getreide- und Maisanbau um. Laut Brandenburger Gartenbauverband fielen so in den vergangenen Jahren Hunderte Hektar weg.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Branche ein Imageproblem bei jungen Leuten hat. In ganz Brandenburg gibt es derzeit nur einen einzigen Auszubildenden in der Obstanbau-Branche. Er arbeitet bei der Werder-Frucht GmbH. Viele Kleinbauern gehen auf das Rentenalter zu. „Was wir brauchen, ist Nachwuchs“, sagt Vereins-Chef Kassin.

Dass heimischer Obstanbau sich durchaus auf dem umkämpften Weltmarkt behaupten kann, zeigt das Alte Land bei Hamburg. Mit einer Fläche von 170 Quadratkilometern und rund 16 Millionen Bäumen ist es das größte geschlossene Obstanbaugebiet Deutschlands und eines der größten Europas.

Werder könnte wieder an alte Zeiten anknüpfen, Hunderte Hektar ehemaliger Obstplantagen liegen derzeit brach und warten auf eine Neubewirtschaftung. Aber die kostet Geld: etwa 25  000 Euro pro Hektar. So viel Geld kann oder will kaum jemand aufbringen. Dennoch, die Werderaner glauben an ihr Potenzial, sagt Kassin. Der Trend zu regionalen Produkten komme der Marke Obst spürbar entgegen. Demnächst soll die Anbaufläche endlich wieder wachsen: Bauer Giese will auf 50 Hektar neue Obstbäume anpflanzen. Die Blütenstadt Werder soll neu aufblühen.