StartseiteRegionalBrandenburg„Einzelfälle sind schwer als rechtsextrem zu bewerten“

Rechte Gewalt in Brandenburg

„Einzelfälle sind schwer als rechtsextrem zu bewerten“

Potsdam / Lesedauer: 3 min

Die rechte Szene fällt wieder durch Gewalt auf. Neueste Zahlen nennt Innenminister Ralf Holzschuher heute. Vorab hat Marion van der Kraats mit dem Politikwissenschaftler Christoph Kopke gesprochen. Er leitet das Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam, in dem untersucht wird, ob in mehr Fällen als bislang gedacht Rechtsextremismus der Hintergrund war.
Veröffentlicht:26.03.2014, 12:43
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Sie untersuchen inzwischen seit fast einem Jahr die Diskrepanz zwischen der offiziellen Statistik rechtsextremistischer Gewalt und Angaben von Opferverbänden, wonach deutlich mehr Menschen starben. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?

Wir werden kein Zwischenergebnis vorstellen. Das Forschungsprojekt geht über zwei Jahre und im Mai 2015 werden wir unseren Bericht vorlegen. So viel lässt sich allerdings sagen: Wir werden sicher in einigen Fällen zu einer anderen Auffassung kommen, als dies bislang der Fall war. Allerdings werden wir auch in einigen Fällen die bisherige Bewertung bestätigen – obwohl in denen von uns bislang untersuchten Fällen der Rechtsextremismus in der Regel irgendeine Rolle spielt.

Trotzdem stufen Sie einzelne Tötungsdelikte nicht als rechtsextremistisch ein?

Es ist im Einzelfall objektiv schwierig, Taten eindeutig als rechtsextrem zu bewerten. Politikwissenschaftler haben da andere Kategorien als Juristen und Kriminologen. Hinzu kommt, dass wir es heute mit einer ganz anderen gesellschaftlichen Debatte und einer anderen Justiz zu tun haben.

Wo liegen die Unterschiede im Vergleich zu heute?

Die Kriterien zur Bewertung politischer Straftaten waren früher nicht genug ausdifferenziert. Taten wurden in der Regel nur dann als politisch bewertet, wenn sie sich erkennbar gegen Staat und Gesellschaftsordnung richteten. Äußerte sich der Täter aber nicht deutlich politisch, etwa durch Rufen entsprechender Parolen, fielen sie nicht darunter – egal, ob er als Neonazi stadtbekannt war und das Opfer einem rechten Feindbild entsprach. Die inzwischen entwickelten Kriterien zur Erfassung von Delikten im Bereich politisch motivierter Kriminalität sind wesentlich differenzierter.

Gibt es noch mehr Unterschiede?

Hinzu kommt, dass sich die Gerichte gerade in den frühen 1990er Jahren mit Bewertungen oftmals schwertaten. Während zivilgesellschaftliche Initiativen auf ausländerfeindliche, rassistische oder rechtsextreme Begleitumstände achteten, war diese Sensibilität bei Ermittlern und Justiz nicht immer angemessen ausgeprägt. Pauschale Kritik an den Ermittlern ist aber falsch. Für uns ist nun die spannende Frage, ob man mit dem heutigen neuen Bewertungssystem wohl schon damals zu anderen Einschätzungen gekommen wäre.

Wie untersuchen Sie die alten Fälle?

Im Moment noch vor allem anhand der Akten. Wir arbeiten uns durch die Unterlagen von Gerichten oder Staatsanwaltschaften. Dazu kommen Pressebeiträge. In Einzelfällen kann es auch geschehen, dass wir Angehörige oder Zeugen direkt befragen. Im Moment sind aber die Akten das Wichtigste. Zu denen haben wir komplett Zugang. Bislang haben wir jede Unterstützung von den Behörden, die wir brauchen.