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Rundum-Überwachung

Tracking-Apps nehmen Kinder an die elektronische Leine

Berlin / Lesedauer: 3 min

Ist das der Traum der Helikopter-Eltern? Mit spezieller Software kann der Nachwuchs jederzeit geortet und überwacht werden. Doch Kindervertreter und Datenschützer schlagen Alarm.
Veröffentlicht:21.10.2015, 15:05
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Den Schulweg verfolgen, Facebook-Freundschaften durchstöbern oder das Handy für andere Funktionen sperren, bis die Tochter zurückruft: Mit Hilfe von Apps können Eltern ihren Nachwuchs auf Schritt und Tritt überwachen. Der US-Anbieter "Qustodio" etwa wirbt unverblümt: "Der einfachste Weg Ihre Kinder online zu kontrollieren". Im Angebot: Ortung, Überwachung sozialer Netzwerke, Sperren unerwünschter Kontakte. Und der "Unsichtbar-Modus" sorge dafür, dass das Kind die Kontrolle gar nicht mitbekomme.

Experte: Apps gefährden Selbstvertrauen der Kinder

"Ich halte das für einen vollkommen falschen Weg", sagt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker. In einer Notlage oder bei demenzkranken Menschen mag so eine Funktion sinnvoll sein. Als Schutz vor einem Sexualtäter könne aber auch eine Tracking-App meist wenig ausrichten, so der frühere Polizeidirektor. "Der weitaus größte Teil der sexuellen Übergriffe kommt aus dem unmittelbaren Nahbereich des Kindes, etwa vom Stiefvater oder Onkel."

Nach Ansicht von Becker gefährden die Apps den Persönlichkeitsschutz und die Entwicklung der Jungen und Mädchen." Ein Kind, das ständig überwacht wird, muss denken, dass man ihm nicht vertraut und ihm nichts zutraut. Wie soll es so ein Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen bilden?"

GPS-Sender in der Kinderuhr

Doch der Markt ist vielfältig. Der US-Anbieter "Ignore No More" hat sich auf das Ignorieren elterlicher Anrufe spezialisiert. Gehen die Kinder nicht ans Handy, können Papa und Mama es solange sperren, bis der Nachwuchs sich zurückgemeldet hat. Mit "MamaBear" können Eltern Aktivitäten auf sozialen Netzwerken verfolgen oder Textnachrichten mitlesen. Und wenn das Kind etwa bei WhatsApp Wörter benutzt, die auf selbstgesetzten Index-Liste stehen, wird Alarm per App geschlagen.

"Wo ist Lilly?" war ursprünglich auf GPS-Sender für Hunde und Katzen spezialisiert. Doch längst hat die Berliner Firma bunte GPS-Kinderuhren für 199 Euro im Angebot. Per dazugehöriger App können diese lokalisiert werden. Ein "Geo-Zaun" ermöglicht die Markierung eines Bewegungsfelds. "Wenn das Kind sich aus diesem Radius entfernt, erhalten Sie eine Meldung darüber. Zudem wird Ihnen signalisiert, sobald das Kind die Uhr ablegt, da auch hier ein Sensor verbaut ist", heißt es auf der Homepage.

Die Nutzer sind begeistert: "Der Weg von der Schule nach Hause ist nun kein Problem mehr. Eine kurze Ortung und man weiß Bescheid", schreibt eine Mutter.

Kritik kommt auch von Datenschützern

Eine digitale Schutzzone gibt es auch bei der "iNanny", einer GPS-Funktion, mit der Menschen geortet und Bewegungsabläufe verfolgt werden können. Den Vorwurf der Überwachung will Macher Ralf Kiene nicht gelten lassen. "Das Gros der Eltern nutzt das Angebot, um den Nachwuchs zu beschützen, ihm mehr Freiheiten zu überlassen - und nicht um zu spionieren."

Datenschützer sehen die Entwicklung dennoch kritisch: Schleichend werde eine Überwachungsstruktur geschaffen, "an die sich alle Beteiligten gewöhnen", sagt Klaus Globig, der stellvertretende Landesdatenschutzbeauftragte aus Rheinland-Pfalz. Er warnt vor Missbrauchsmöglichkeiten. "Die Frage ist, wer kann auf solche Standortinformationen zugreifen? Im technischen Bereich ist ja nie etwas absolut sicher und unknackbar."