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Gesundheitsserie

Teil 3: Volkskrankheit Herzinfarkt

Karlsburg / Lesedauer: 6 min

Immer weniger Menschen sterben an Herzinfarkten. Dennoch bleiben Herz- Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache in Deutschland.
Veröffentlicht:24.06.2013, 12:23
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 Es passierte am Dienstag vor Himmelfahrt. Werner Bülow hatte frei, wollte sich zu Hause in Klein Luckow im Garten nützlich machen. Gegen Mittag bekam er   plötzlich Brustschmerzen,  die Luft wurde  knapp. Der  Schweiß   brach dem  48-Jährigen aus  allen Poren, schließlich wurde ihm auch noch schwindlig. „Ich bin reingegangen und hab mich an den Tisch gesetzt, aber es wurde immer schlimmer.“ Er sei zwar nicht panisch geworden, aber Angst habe ihm das Ganze  doch gemacht. Deshalb, so Werner Bülow, hätte er auch  relativ schnell zum Telefon gegriffen und die 112 gewählt.
Für den Rettungsarzt  ein klarer Fall: Verdacht auf Herzinfarkt. Per Hubschrauber ließ er den Patienten nach Karlsburg bringen  – „zehn Minuten  hat das nur gedauert“, erinnert sich derTraktorist. „Mit dem Rettungswagen hätte es möglicherweise eine  Stunde gedauert, so aber war ich ganz schnell im Herzkatheterlabor, wo mir auch gleich ein Stent gelegt wurde.“

Als lege sich ein Reifen um die Brust

Weil die Behandlung so schnell begann, konnte Werner Bülow schon eine Woche   darauf wieder nach Hause entlassen werden und von dort aus wenige Tage später zur Reha fahren.

„Leider sind längst nicht bei allen Patienten die Symptome eines  Herzinfarktes derart eindeutig“, bedauert Dr. Peter Szigat, Oberarzt am Klinikum Karlsburg. Ein Gefühl, als   lege sich ein Reifen um die Brust, länger anhaltende, oft brennende oder ziehende Schmerzen, die auch bei tiefem Einatmen nicht verschwinden und die nicht selten  aus dem Brustkorb in andere Regionen des Körpers ausstrahlen – das seien Anzeichen eines Herzinfarktes, die die meisten kennen und bei denen sie deshalb auch  richtig reagieren würden. Vor allem bei Frauen aber kündigte sich ein Infarkt oft  ganz anders an – mit Übelkeit, Erbrechen, Schlappheit, Rückenschmerzen oder auch  kurzen  Ohnmachten. „Geht es einer Frau nicht gut, muss man immer auch an einen  Herzinfarkt denken“, betont Dr.  Szigat  deshalb.  Auch   Menschen,  in deren  Familie es bereits Herzinfarkte gab, und  Raucher  sollten lieber  einmal  mehr den Notarzt  alarmieren, wenn sie sich schlecht fühlten, denn sie gelten als besonders Herzinfarkt-gefährdet.

250000 Betroffene pro Jahr

Bei  einem Herzinfarkt stirbt ein Teil des Herzmuskels ab, weil Gefäße verschlossen  sind, die das Organ normalerweise mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Mehr als 250 000 Menschen erleiden in Deutschland jedes Jahr dieses Schicksal. Männer sind  öfter als Frauen betroffen. Bei ihnen tritt der Infarkt bislang nicht nur häufiger, sondern auch wesentlich früher auf. Frauen – nicht zuletzt, weil immer mehr von ihnen rauchen – holen aber zunehmend auf. Das Risiko, an den Folgen eines Herzinfarkts zu sterben, ist  für  das „schwache“ Geschlecht schon  jetzt  höher als für Männer.

Dennoch gibt es eine gute Nachricht: Auch wenn schwere Herzerkrankungen in Deutschland nach wie vor die Todesursache Nummer eins sind, ist die Sterblichkeit nach Herzinfarkten in den vergangenen drei Jahrzehnten um 70 Prozent zurückgegangen. Ein Hauptgrund sind schonende, interventionelle Behandlungen, die heute  angewendet werden. „Früher war die Behandlung der Wahl eine medikamentöse Auflösung des Gerinnsels, welches das Gefäß im Herzen verstopfte“, erläutert Dr. Szigat. Auch heute kann diese Lyse-Therapie noch angewendet werden. „Bevor-zugtes Verfahren ist aber, das Gefäß im Zuge einer Katheteruntersuchung mit einem Ballon aufzudehnen. In den meisten Fällen wird auch gleich während dieses minimal-invasiven Eingriffs ein Stent implantiert, der das Gefäß  künftig offen hält.“

Überlebenswichtig für den Patienten sei, dass er bei einem Herzinfarkt so schnell wie  möglich in ein Herzkatheterlabor gebracht wird. „In Mecklenburg-Vorpommern gibt es genügend  derartige Einrichtungen, sodass das eigentlich  kein Problem sein kann“, betont der Oberarzt. Das Karlsburger Klinikum geht jedoch in  puncto Versorgungsqualität noch weiter: Es erhielt als erste Klinik in Mecklenburg-Vorpommern das Zertifikat „Chest Pain Unit“ (zu deutsch: Brustschmerzeinheit) der  Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Mittlerweile sind auch die Rostocker Universitätsmedizin und die Schweriner Helios Kliniken entsprechend zertifiziert.

Mehr als die Hälfte ist älter als 70

„Die Leitlinien fordern, dass in einer Chest Pain Unit nach ärztlichem Erstkontakt bis zur Eröffnung des Infarktgefäßes weniger als 120 Minuten verstreichen“, so der Ärztliche Direktor des Karlsburger Klinikums, Prof. Dr. med. Wolfgang Motz. „Diese Zeitlimits  werden bei uns eingehalten“ – nicht zuletzt dank der hervorragenden technischen Ausstattung des Hauses, in dem es einschließlich des ebenfalls für derartige Untersuchungen geeigneten Hybrid-OP‘s gleich fünf Herzkatheterlabore gibt. 500 bis 600 Herzinfarkt-Patienten werden jährlich in Karlsburg behandelt, mehr als die Hälfte von ihnen ist älter als 70 Jahre. Und: „Bei  fast  30 Prozent der Herzpatienten müssen wir heute auch eine Diabetes-Erkrankung feststellen, und bei einem noch größeren Anteil finden sich Risikofaktoren wie zum Beispiel Übergewicht und Fettstoffwechselstörungen, die einer Diabetes-Erkrankung vorausgehen“, konstatiert Prof. Motz. „Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen also nicht nur zu den großen Volkskrankheiten, sie sind auch eng miteinander verbunden.“

Interview

Wie sollten sich   Angehörige  oder zufällige Zeugen bei Verdacht auf einen Herzinfarkt verhalten?
Dr.  Szigat: Es  ist lebensrettend, wenn die Ersthelfer nach Anrufen der Notrufnummer 112 sofort mit der Reanimation eines Bewusstlosen beginnen. Leider haben zu viele Menschen Angst davor, etwas falsch zu machen. Dabei schadet nur die Untätigkeit. Bis zum Eintreffen des Rettungswagens – in der Regel in zehn  Minuten –  muss unbedingt eine Herzdruckmassage erfolgen.
Pro Tag werden in Deutschland rund 400 Menschen außerhalb von Kliniken wiederbelebt - aber nur jeder Zehnte bleibt tatsächlich am Leben. Greifen Passanten rechtzeitig ein und beginnen sofort mit der Wiederbelebung, steigt die Überlebenschance des Patienten um das Zweieinhalbfache.
Die Erste-Hilfe-Maßnahmen, die auch international gelten, wurden durch die neuen Vorgaben der American Heart Association sogar vereinfacht: Laien sollten sich nach dem Verständigen der Rettungskräfte auf eine richtig durchgeführte Herzdruckmassage konzentrieren, eine Beatmung ist zweitrangig. Neueste Erkenntnisse haben zu dieser Änderung geführt: Durch Studien ist belegt, dass die ununterbrochene Herzmassage die wichtigste Maßnahme einer erfolgreichen Wiederbelebung ist. Leider wird in Filmen und Serien häufig eine Herzdruckmassage nicht richtig dargestellt.


Im Infarkt sterben Teile  des Herzmuskels ab. Können sie  sich  regenerieren?
Der Herzmuskel kann sich in aller Regel nicht regenerieren. Durch Sauerstoffmangel stirbt bei einem Infarkt ein Teil der Zellen ab, das Gewebe vernarbt, wird unelastisch und verliert seine Leistungsfähigkeit. Weltweit wird derzeit daran geforscht, mittels Stammzellen das Muskelgewebe zu reparieren. Denn Forscher entdeckten vor wenigen Jahren, dass es primitive Zellen im Herzmuskelgewebe gibt, die sich teilen und erneuern können. Allerdings ist diese Fähigkeit sehr begrenzt. Bei großen Schädigungen lässt sich der Gewebeausfall durch Stammzellen bislang nicht abpuffern. Wichtig ist aber: Je früher der Infarkt festgestellt wird, umso größer sind die Chancen, dass sich das Herz erholt. Innerhalb der ersten vier Stunden nach einem Gefäßverschluss sind die Aussichten, dass sich das Herz nahezu vollständig erholt, sehr gut.


Mit welcher verminderten Herzleistung kann man noch leben?
Mit der sinkenden Herzleistung nimmt die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit des Menschen und natürlich die Lebensqualität ab. Mit Medikamenten und modernen Therapieverfahren kann heute ein Mensch mit 20 und 30 Prozent Herzleistung meist noch den Alltag meistern, wobei individuell auch deutliche Unterschiede zu beobachten sind. Die Lebenserwartung hat sich aber insbesondere durch implantierbare Aggregate  wie Defibrillatoren  und Herzunterstützungssysteme deutlich verlängert.