StartseiteRegionalMecklenburg-VorpommernEinfach verhungert: Zum Tode verurteilte Kälber

Unerwünschte Jungbullen

Einfach verhungert: Zum Tode verurteilte Kälber

Schwerin / Lesedauer: 3 min

Die Vorstellung ist abscheulich: Haben Landwirte in MV aus Profitgier neugeborene Bullen verenden lassen, weil sich deren Aufzucht nicht lohnt? Jahrelang wurde eine hohe Sterberate bei den Jungtieren registriert.
Veröffentlicht:12.05.2015, 19:53

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Die Ergebnisse der Kontrollen waren alarmierend: In jedem fünften Kälber haltenden Betrieb in Mecklenburg-Vorpommern wird ein Viertel der Jungtiere tot geboren oder stirbt unmittelbar nach der Geburt. In manchen Unternehmen sogar noch mehr. Begründung: mangelnde Erstversorgung. Hintergrund ist laut der Landtagsfraktion der Grünen die Konzentration auf Höchstleistungen von Milchkühen.

„Da die Rasse alleine auf Milch-, nicht aber auf Fleischleistung gezüchtet wurde, lohnt sich Aufzucht und Mast der männlichen Kälber nicht“, sagt die agrarpolitische Sprecherin der Fraktion, Ursel Karlowski. Sprich: Das Fleisch der männlichen Nachkommen von Milchkühen ist auf dem Markt nur wenig bis nichts wert, während weibliche Kälber für die Milchproduktion genutzt werden können. Auffällig sei, dass die Sterblichkeit von Bullenkälbern erheblich höher sei.

Kontrollen wurden wieder eingestellt

Die Tiere würden zwar nicht aktiv getötet, so die Abgeordnete. Indem man sie aber nicht versorge, hoffe man, dass sich das Problem quasi von alleine erledige. „Wenn ein frisch geborenes Kalb nur als finanzielle Belastung angesehen wird, hat das mit Landwirtschaft nichts mehr zu tun“, so die Agrarexpertin. Karlowski beruft sich bei ihren Angaben auf das eben erschienene Buch „Die Wegwerfkuh“ von Autorin Tanja Busse.

Das Landwirtschaftsministerium bestätigte auf Nachfrage des Nordkuriers die hohe Sterblichkeitsquote. Von 2003 bis 2008 habe man deshalb auch Schwerpunktkontrollen durchgeführt. Doch dann wurden diese systematischen Kontrollen plötzlich eingestellt. Wie ein Sprecher des von Till Backhaus (SPD) geführten Ressorts sagte, sei das Erfassungssystem zu ungenau gewesen.

Registriert wurden nur Kälber, die nach dem siebten Lebenstag gestorben sind – also könnten letztlich noch viel mehr Jungtiere verendet sein. Backhaus selbst räumt nun ein: „Hier ist Handlungsbedarf. Wir werden hierzu mit dem Bund spätestens auf der nächsten Agrarministerkonferenz reden müssen, dass wir solidere Daten für die Auswertung zur Verfügung haben.“ Bis 2008 seien aber erste Verbesserungen erreicht worden. In welchem genauen Umfang, ließ das Ministerium aber offen. Die Grünen fordern Aufklärung.

Ministerium: Situation hat sich verbessert

Laut Ministerium wurden bei den Kontrollen Mängel in der allgemeinen Tiergesundheit, vor allem aber Managementfehler festgestellt. Dazu zählten ein hoher Anteil an Schwer- und Totgeburten durch falsche Paarung, falsche Fütterung hochtragender Tiere und mangelhafte Geburts- und Haltungshygiene. Auch schlechte oder sogar fehlende Überwachung während des Kalbens wurde registriert. Grund: personelle Probleme insbesondere in den Nachtstunden. Auch sei es versäumt worden, die neu geborenen Kälber schnell mit Kolostrum zu versorgen. Dabei handelt es sich um die erste Muttermilch, die besonders viele Abwehrstoffe enthält.

Durch eine verstärkte Beratung habe man versucht, diesen Problemen zu begegnen, so der Backhaus-Sprecher. Der Minister warf den Grünen Praxisferne vor: „ Sicher ist jedes Tier, das nicht überlebt, ein Tier zu viel. Wir haben aber etliches geleistet, um sowohl Management, Tierwohl und Leistung der Tierhalter zu optimieren. Wir haben zum Beispiel als eines der ersten Länder einen Rindergesundheitsdienst gegründet, der genau dabei helfen soll.“

Wie das Ministerium bleibt indes auch der Bauernverband MV den Nachweis schuldig, dass sich die Situation verbessert hat. Stattdessen betonte Referentin Silvia Ey: „Die Rinderzucht setzt seit Jahren auf Gesundheit, Vitalität und Leistung.“ Natürlich seien weibliche Kälber wesentliche Grundlage der Reproduktion des eigenen Kuhbestandes. Männliche Kälber aus der Milchviehhaltung würden indes überwiegend zur Mast weiterverkauft und genau wie die weiblichen Kälber versorgt.