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Wissenschaft

Neubrandenburger Forscher kennt die geheimsten Artefakte der Welt

Neubrandenburg / Lesedauer: 10 min

Er verkehrt im exklusivsten Wissenschaftsclub der Welt. Mit Dr. Fabien Schultz sprach unsere Reporterin über große Namen, Abenteurertum sowie die wichtigste seiner Lebenswelten.
Veröffentlicht:08.10.2022, 11:15

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Der Explorers Club zählt unter anderem Astronaut Neil Armstrong, Polarforscher Roald Amundsen, Verhaltensforscherin Jane Goodall oder Atlantik-Überflieger Charles Lindbergh zu seinen Mitgliedern. Was haben Sie alle gemeinsam?

Das sind natürlich große Namen! Sie alle haben mit ihren Pionierleistungen unglaublich viel erreicht. Da ehrt es mich natürlich, hier in einem Atemzug genannt zu werden. Ich würde es so formulieren, dass wir alle nach neuem Wissen streben und in unbekannte Gebiete vordrangen, um signifikante Entdeckungen zu machen. Mir gefällt das Zitat des legendären Antarktisforschers und Explorers Club Mitglieds Ernest Shackleton, dass einen „Explorer” vier Eigenschaften ausmachen: Optimismus, Geduld, Idealismus und Mut. Das verbindet uns.

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Dennoch musste so ein exklusiver Club ja erst mal auf Sie aufmerksam werden und Ihre Forschung für würdig befinden. Wie haben Sie das geschafft?

Ich kannte schon seit Kindheitstagen durch Dokumentationen und Magazine die tolle Arbeit von Organisationen wie The Explorers Club oder auch der National Geographic Society. Als Doktorand habe ich 2018 erstmals gedacht, dass ich ja auch ganz spannende Sachen mache. Auf internationalen Konferenzen erhielt ich viel positives Feedback. Eine tolle Erfahrung war dann mein Forschungsaufenthalt an der School of Medicine der Emory University in Atlanta, weil ich auf derart hohem Niveau noch nie gearbeitet hatte, auch was Leistungsdruck und Wettbewerb angeht. Dort hatte ich schließlich Kontakt zu einem Professor, der Mitglied im Explorers Club ist und mich wiederum einem der bekanntesten Biologen der USA vorstellte, mit der Frage, ob die beiden mich fördern wollen. Der Nominierungsprozess mit der Begutachtung meiner bisherigen wissenschaftlichen Leistungen dauerte dann etwa Monate.

Zudem kürte der Club Sie in diesem Jahr – übrigens als einzigen Deutschen – zu einem der „EC50 – 50 Menschen, die die Welt verändern”. Den Ausschlag dürfte Ihr außergewöhnliches Forschungsthema gegeben haben?

Genau, da geht es um besondere Forschungspersönlichkeiten, unabhängig davon, ob sie dem Explorers Club angehören. Von diesen 50 macht jeder etwas Außergewöhnliches, da wird man ganz kleinlaut: Da sind Astronauten, Polar- und Raketenforscher, und dann ich?

Sie waren eingeladen, beim Jahresdinner des Clubs einen Vortrag über Ihre Forschung zu halten. Eine große Ehre, aber auch eine große Herausforderung – wie haben Sie das angepackt?

Für so ein Publikum, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Stars und Millionäre aus aller Welt treffen, eignet sich kein typischer wissenschaftlicher Vortrag mit Einleitung, Methode, Ergebnis und Diskussion. Ich habe mir überlegt, es anzupacken wie einen Dokumentarfilm, mit vielen Videos aus dem Labor und aus dem Regenwald. Hier bekam ich viel Unterstützung von meiner Frau Inken, die Videojournalistin ist und während der Uganda-Expedition für unsere bald erscheinende Dokumentation gefilmt hat.

So habe ich den Schimpansen Tom aus Bulindi vorgestellt. Bulindi ist der einzige unserer mittlerweile acht Forschungsstandorte in Ostafrika, bei dem es sich um ein hochgradig gestörtes Habitat handelt, das heißt hier leben Kleinbauern und der Regenwald wurde leider großflächig abgeholzt. Dadurch verlieren die Schimpansen Lebensraum, ziehen deshalb über die Felder und fressen, was die Menschen anbauen. Tom ist dabei in eine Art Bärenfalle geraten, konnte sich befreien und flüchtete mit einer schlimmen Wunde. Einige Tage später ist er gestorben.

Kurz vor seinem Tod aß er jedoch in großer Menge die Blätter einer Pflanze, die bislang noch wenig bis gar nicht untersucht war. Keiner der Schimpansen aus der Bulindi-Gruppe wurde jemals zuvor dabei beobachtet, diese Pflanze zu essenn. Warum hat Tom gerade diese Pflanze und nur diese so exzessiv zu sich genommen? Von den Einheimischen erfuhren wir, dass die Blätter auch bei Kindern zum Fiebersenken genutzt werden. Wir haben sie zusammen mit 150 weiteren Proben untersucht und eine antibakterielle und antientzündliche Wirksamkeit festgestellt, im Reagenzglas potenter als bei Aspirin, Paracetamol oder Ibuprofen. Diesen ersten wissenschaftlichen Beweis, dass hier von Tom Selbstmedikation betrieben wurde und dass das unter Umständen auch beim Menschen funktionieren könnte, wollen wir noch in diesem Jahr publizieren.

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Schon mehrere Mal waren Sie zur Feldforschung in Uganda, auch in anderen wenig zugänglichen Regionen. Dann und wann werden ja „Explorer” auch als „Abenteurer” bezeichnet – wie halten Sie's mit Abenteurertum in der Forschung?

Alles, was ich beruflich mache, hat einen wissenschaftlichen Hintergrund und ich verhalte mich da stets professionell. Forschung und Abenteurertum schließen sich jedoch nicht aus. Dafür gehe ich im Regenwald auch bei jedem Wetter in die entlegensten Gebiete mit ungezähmter Tierwelt. Und man kriegt was zurück: Wir haben dort Pflanzen, Insekten und Pilzproben eingesammelt, die noch nie zuvor in einem Labor waren und pharmakologisch untersucht wurden. Bei solchen Abenteuern geht mein Forscherherz auf!

Und führte Sie nun auch in völlig gegensätzliche Umgebung: ins „Hauptquartier” des Explorers Club in New York. Wie haben Sie sich dort gefühlt?

Es ist ein tolles Gefühl, und ich war sehr aufgeregt. Rechts sehe ich Artefakte von der Mondlandung, links von Thor Heyerdahls Floß Kon-Tiki, dann die handgeschriebene Mitgliedschaftsbewerbung von Theodore Roosevelt. An der Bar treffe ich dann einen Astrophysiker, der erstmals in der Geschichte der Menschheit eine Raumsonde zum Merkur geschickt hat, wo sie 2025 endlich landen wird. Ich treffe Sunniva Sorby, die 1993 Mitglied der ersten Expedition von Frauen zum Südpol war und zusammen mit ihrer Kollegin Hilde Fålun Strøm als erste Frauen in der Arktis überwintert hat, bei drei Monaten ohne Sonnenlicht! Forschende, die zur „Titanic” tauchten oder die in diesem Jahr das 1915 versunkene Schiff „Endurance“ des Polarforschers Ernest Shackleton gefunden haben. Und so ging es tagelang weiter. Oft habe ich staunend vor einem Foto an der Wand gestanden. Ebenso beim Dinner: Ich musste erst mal googeln, was all die Dresscodes für die verschiedenen Veranstaltungen bedeuten, und mir einen Smoking leihen. Das ist eine andere Welt, in die ich da eintauchen durfte. Unbegreiflich für einen Jungen aus einem 14 000-Einwohner-Städtchen, der 2009 in Neubrandenburg zu studieren begann!

Wird Ihnen vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen die Hochschule nicht bald zu klein?

Jetzt komme ich mir vor wie ein Fußballspieler, der nach seinen Wechselabsichten gefragt wird (lacht). Mein Vertrag läuft bis Anfang 2023, und ich hoffe, dass er verlängert wird. Ich fühle mich in Neubrandenburg sehr wohl, habe einen tollen Chef und alle Freiheiten für meine Forschung. Publikationen, Preise und internationale Vorträge werden mir ermöglicht und die Hochschule unterstützt mich, wo sie kann. Aber für eine Professur bräuchte ich noch etwas mehr Industrieerfahrung. Neubrandenburg ist eine tolle Stadt, das Umfeld für internationale Forschung ist in den Metropolen aber natürlich stärker. Für eine Uni-Professur brauche ich zwei Jahre Auslandserfahrung, die habe ich. Dafür muss ich noch mehr publizieren, aber ich hoffe, ich bin auf dem richtigen Weg.

Wie hat Ihre internationale Erfahrung Ihre Arbeit verändert – und wie haben auch Sie sich verändert?

Am meisten verändert hat mich nicht der Doktortitel – der macht nur einen Unterschied darin, wie Leute auf mich zugehen – oder der EC50-Wissenschaftspreis, sondern die Arbeit in Uganda und mit den Menschen dort. Gleich danach kommt mein Auslandsforschungsjahr in Atlanta. Dort habe ich auch gelernt, wie man eine Gruppe von Forschenden leitet, weil an einer Universität ja viel mehr Menschen an ähnlichen Themen forschen. Der Explorers Club bringt neben der tollen Erfahrung Möglichkeiten zur finanziellen Projektförderung und viele wichtige Kontakte in aller Welt und allen Fachgebieten. Die sind sogar das Wichtigste. Mein internationales Netzwerk ist unglaublich gewachsen. Nächstes Jahr planen wir zusammen mit einer englischen Archäologin eine mit Studierenden aus Neubrandenburg besetzte Expedition zu einer isoliert lebenden Gemeinschaft der Inuit in die Kanadische Arktis, um eine uralte Schriftrolle über pflanzliche Heilmittel, Gemüse und Gewürze, die nur dort wachsen, zu untersuchen. Das ist 'ne Riesensache, solch aussterbendes Wissen erstmals zu dokumentieren und für die Menschheit zu archivieren! Darüber hinaus können wir über die neuen Kontakte internationale Leute nach Neubrandenburg holen, das ist kulturell wie auch wissenschaftlich ein Gewinn, und selbst Leute ins Ausland schicken, im November zum Beispiel reisen zwei Studenten aus der Arbeitsgruppe zu unseren Forschungspartnern an die Oxford University.

Führen Sie ein Leben in drei Welten mit Ihrer Arbeit in Neubrandenburg, der Feldforschung in Uganda sowie dem internationalen Forscher-Parkett?

Eigentlich sind es sogar fünf. Neubrandenburg ist meine Basis, wo ich forschen kann und das Labor sogar besser ausgestattet ist als an der TU Berlin und der Emory University in Atlanta. Dann ist da natürlich Uganda als Forschungsort, wir haben aber auch Projekte und Zusammenarbeiten in Burkina Faso, Indien oder der Demokratischen Republik Kongo. Der Explorers Club ist wieder eine andere Welt, eine andere Liga. Außerdem bin ich Gastwissenschaftler am UCL, einer der Top-3-Unis in England, wo ich zugleich Medizingeschichte studiere und nächstes Jahr mein Diplom machen will. Und die fünfte Welt ist die wichtigste: meine Familie mit meiner Frau und unserer kleinen Tochter, mit der ich gerade die Kita-Eingewöhnung mache und die übrigens auch schon Pflanzen gesammelt hat.

Oh, dann ist ihre berufliche Zukunft wohl vorgezeichnet?

Mal sehen (lacht). Ach was, sie soll ihren eigenen Träumen folgen.

So wie Sie es getan haben?

Ich kann wirklich sagen, dass ich meinen Träumen treu geblieben bin. Ich wollte als kleiner Junge schon Erfinder werden und mit Tieren arbeiten. Dabei war ich selbst gar nicht so ein toller Schüler, ich wollte lieber auf dem Pausenhof rumrennen, Fußball spielen und niemals Dinge tun, die mir keinen Spaß machen. Ich habe aber gelernt, dass man das manchmal muss. Heute freue ich mich nahezu jeden Tag auf meine Arbeit. Das ist ein riesiges Privileg, dessen bin ich mir sehr bewusst und will deshalb gute Leistungen zeigen. Mir macht es auch ungemein viel Spaß, Wissen an unsere Studierenden weiterzugeben und das Feuer für die Wissenschaft in ihnen zu entfachen. Ich lebe einen Traum, indem ich auch manchmal verrückte Ideen mit qualitativ hochwertiger Wissenschaft verbinde, sodass was Vernünftiges dabei heraus kommt mit dem Potenzial, Menschen zu helfen und unter Umständen irgendwann einmal Menschenleben zu retten. Auch die gemeinnützigen Projekte, die ich mit meiner Frau über unsere gemeinsam mit einer Gruppe von Ugandern geführte Stiftung ARUDEVO umsetze, haben bereits Leben verändert und für Einzelne einen großen Unterschied gemacht.

Wie geht es mit Ihrer Arbeit in den nächsten Monaten weiter?

Wir haben momentan tolle Projekte und motivierte, sehr talentierte Studierende im Labor. Im Januar will uns wahrscheinlich der Discovery Channel besuchen, um zu filmen. Für mich liegt die Aufgabe an, unsere Publikationen über die Selbstmedikation bei Schimpansen und Berggorillas in hochrangigen wissenschaftlichen Journalen heraus zu bringen. Außerdem arbeite ich an einer Website für unsere Forschung, und gerade haben wir auf mehreren sozialen Kanälen begonnen, Menschen zu zeigen, was wir hier machen. Vielleicht trägt das ja auch dazu bei, junge Leute als Forschungsnachwuchs zu begeistern.