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Dorfgeschichte

Der Einzug der heiligen Figuren

Blindow / Lesedauer: 5 min

Ostern 1607. Brandenburg wird von Kurfürst Joachim Friedrich regiert, und die Kirche des Landes hat sich seit 30 Jahren fest an Luthers Lehre ausgerichtet.
Veröffentlicht:07.04.2007, 00:00
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Die Uckermark erlebt einen außergewöhnlich milden Winter. Schon im Februar hatten an geschützten und sonnigen Stellen die Veilchen ihre blauen Blüten gezeigt. Seuchen wie Pest, Ruhr und Pocken, die in den vergangenen zwei Jahren im Land grassierten, scheinen eine Pause einzulegen. In Blindow, nördlich von Prenzlau gelegen, bereitet man sich im Hochgefühl des Frühjahrs auf ein großes Ereignis vor.

Der alte grauköpfige Pfarrer Georg Göring hält die Kirche verschlossen. Die Kinder des Dorfes versuchen, einer dem anderen auf der Schulter stehend, durch die blauen, gelben und roten Butzenscheiben einen Blick ins Innere des Feldsteinbaus zu ergattern. Der Schnitzmeister und seine beiden Gehilfen, schon vor Tagen nach langer Reise mit einem schweren Pferdefuhrwerk eingetroffen, bauen den bis zur Decke reichenden Altaraufsatz auf, bessern Kratzstellen aus und polieren die naturbelassene Oberfläche der Holzfiguren. Als am Ostersonntagmorgen der neue, bis zur Decke des Kirchenschiffs reichende Altar geweiht wird, schaut die fast 200 Seelen zählende Gemeinde wie verzückt auf dieses frisch strahlende Wunderwerk im grauen Inneren des Saalbaus.

Noch nie war man im eigenen Gotteshaus dem überlieferten Geschehen des Neuen Testamentes so nah gewesen. Was in den Worten des Pastors kaum Gestalt annehmen wollte, trat nun hervor wie ein Schauspiel auf kleinen separierten Bühnen: der Tisch des letzten Abendmahls mit den Jüngern am Gründonnerstag, die Kreuzigung Jesus am Karfreitag und ganz oben im Säulengiebel der Auferstandene, zur Decke hin mit einer halb aufgehenden Sonne abgeschlossen. Die biblische Geschichte um Ostern hat auch an diesem Ort ihre wie lebendig, wie gegenwärtig wirkenden Bilder.

Die Zeit der Entstehung des Blindower Altaraufsatzes wird man später Spätrenaissance nennen, deren Künstler ganz auf die Wirkung der figurenreichen Plastik setzen. Die Buntheit des Barock und die Goldgewänder wurden erst später, nämlich 1724, hineingemalt. Dann 1880 noch einmal aufgefrischt, im Farbton korrigiert und üppige Silberauflagen im Sinne des Neobarocks aufgebracht. Was uns heute wie ein übertrieben plastisches Figurentheater entgegen tritt, haben wir jenem Stilmix zu verdanken, den die Anpassung an die Moden der Zeitläufe mit sich brachte.

Zum 400-jährigen Jubiläum an diesem Osterwochenende harrt der Blindower Altar seiner Restaurierung, die nach Angaben des Prenzlauer Architekten Olaf Beckert voraussichtlich im kommenden Jahr ansteht. Wenn man bedenkt, dass jahrelang durch das offene Dach Wasser in die im 13. Jahrhundert erbaute Kirche tropfte, ist der Zustand des sakralen Kunstwerkes noch außergewöhnlich gut. Nur der auferstandene Jesus war vor Kurzem vom Sockel gefallen, und eine aufgesetzte Sonne wackelte - beide Teile sind zur Sicherung abgenommen worden.

Der 1993 gegründete Förderverein "Baudenkmal Blindower Kirche" mit seinen gut 60 Mitgliedern hat das Bauwerk mit viel Engagement und Spenden vor dem Verfall gerettet. Aber noch wird der Gottesdienst, wie auch an diesem Ostersonntag im Gemeindehaus, dem früheren Pfarrhaus, abgehalten. Zur vorjährigen Weihnachtsmesse hat man ausnahmsweise die provisorischen Bedingungen der Baustelle im Kirchenschiff in Kauf genommen.

Eine eigene Pfarrstelle für Blindow gibt es hier nicht mehr. Der Superintendent des Kirchenkreises, Reinhard Müller-Zetsche predigt einmal im Monat persönlich. Für die sechs Dorf- und drei Stadtgemeinden des Pfarrsprengels Prenzlau sind nur noch zwei Pastoren angestellt. Die Lage der Berlin-Brandenburgischen Kirche ist wie überall auch hier vor allem finanziell prekär. Von den 171 Einwohnern der heute zu Prenzlau gehörenden Ortschaft zählt die Kirche immer noch gut 80 Gemeindeglieder, die meisten jedoch im gesegneten Alter von über 70 Jahren.

Nach Diskussion in der Kirchgemeinde soll das im 13. Jahrhundert errichtete Gotteshaus ab Herbst diesen Jahres als "kommunales Veranstaltungszentrum" genutzt werden. Gerade hat die Stadt Prenzlau Fördermittel für den Einbau einer beheizbaren durch eine Glasfront abgetrennte Winterkirche unter der Orgelempore bewilligt. Dort allerdings finden künftig nicht nur Bibelstunden und Konfirmandenunterricht statt, sondern auch die Schulungen der Feuerwehr und die Sitzung der Gemeindevertreter. "Laute Jugendkonzerte oder Ähnliches gibt es hier allerdings nicht," erläuterte die Vorsitzende des Kirchgemeinderates, Astrid Mesecke, einen gefassten Beschluss ihres Gremiums.

Müller-Zetsche sieht in der kommunalen Mitnutzung der Kirchen einen generellen Trend. In der Uckermark praktizierten ein solches Modell bereits zehn Gemeinden. Weitaus häufiger seien die Kooperationen mit Kulturvereinen. Blindow sei ein gutes Beispiel, wie die Kirche als Zentrum des Dorfes erhalten werden kann, bei immer weniger Christen, aber im starken Bewusstsein christlich geprägter Kulturgeschichte. Es ist nicht der hohe Altersdurchschnitt der Gemeinden, der Müller-Zetsche in erster Linie Sorgen macht. "Von den Kindern, die wieder mehr getauft und konfirmiert werden", so prognostiziert der Pfarrer von Blindow , "könnten die meisten aus der Uckermark wegziehen." Astrid Mesecke, deren Familie seit Generationen in der Uckermark lebt, zitiert ihre Mutter mit einem ganz anderen Blick auf die Kirchengeschichte der Gemeinde Blindow: "Eine richtig volle Kirche zum Gottesdienst hat es immer nur in Zeiten der Not und des Krieges gegeben." Da bekommt die Altaraufschrift aus dem Johannes-Evangelium "Ich bin das Brod des Lebens, wer zu mir kommt, den wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten" eine sehr direkte Bedeutung.