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Fluss, Land, Stadt

Kreuz und quer über den mittleren Mississippi

Dubuque / Lesedauer: 5 min

Früher war der Mississippi eine Grenze, politisch wie psychologisch. Dahinter begann der Wilde Westen, den sich die USA im Laufe des 19. Jahrhunderts langsam eroberten. Von der Grenze ist nichts mehr zu spüren. Doch auch heute erleben Besucher eine Region der Gegensätze.
Veröffentlicht:08.08.2017, 19:13
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Üppig sprießen Petunien aus kniehohen Pflanzkübeln. Ältere Paare schlendern über den Boulevard. Im Hintergrund fließt träge der Mississippi. Ein Frachtschiff stemmt sich gegen den Strom, doch es ist zu weit entfernt, um Motorenlärm bis ans Westufer des bekanntesten Flusses der USA zu werfen. Ein wenig landeinwärts funkelt die Kuppel des County-Verwaltungsgebäudes im Licht des Sonnenuntergangs. Es ist die reinste Idylle, die der Riverwalk von Dubuque im Osten von Iowa an diesem Sommerabend verströmt. Kleinstadt-Amerika von seiner schönsten Seite.

Szenen wie diese bleiben im Kopf nach einer Reise an den Mittellauf des Mississippi, in die US-Bundesstaaten Iowa, Illinois und Missouri. Ebenso aber bleiben Erinnerungen an leerstehende Lagerhäuser, zugenagelte Läden und eingestürzte Wohngebäude.

Vorbei an endlosen Mais- und Sojabohnenfeldern

Der Mississippi ist noch immer ein wichtiger Transportweg vor allem für Agrarprodukte aus dem Mittleren Westen. Doch manche Städte an seinen Ufern haben bessere Zeiten gesehen. Einige sind so einladend wie Dubuque. Andere wie Cairo im äußersten Süden von Illinois wirken in Teilen so, als seien sich selbst überlassen worden.

Es ist die Great River Road, die dabei hilft, links und rechts des Mississippi ein in vielerlei Hinsicht widersprüchliches Amerika zu erkunden. Im Range eines „National Scenic Byway” schlängelt sich die gut ausgeschilderte Route durch die meist flache Landschaft, vorbei an endlos erscheinenden Mais- und Sojabohnenfeldern, ab und zu durch kleine Wälder und nicht immer mit direktem Blick auf den Fluss.

Genutzt wird die Touristenroute vor allem von Einheimischen, wie man leicht feststellt, wenn man abends im Diner miteinander ins Gespräch kommt. Urlauber aus Übersee sind – anders als in New York, Florida oder Kalifornien – eher selten anzutreffen am mittleren Mississippi. Und das, obwohl die Region genau jene Eindrücke bietet, die viele Menschen auf Reisen so gerne suchen: authentischen Alltag.

Viele Lagerhäuser stehen leer oder dienen als Bürofläche

Eine Reise zwischen Dubuque im Norden und Cairo im Süden führt einmal die komplette Westgrenze von Illinois entlang, die der Mississippi bildet. Auf Highways abseits des Flusses wären das acht Stunden. Auf der Great River Road sind dagegen drei bis vier Tage ein angemessener Zeitraum. Sonst bliebe keine Zeit für die kleinen Attraktionen am Wegrand. Immer wieder geht es dabei kreuz und quer über den Fluss.

Einer der schönsten Orte an der Great River Road ist Galena in Illinois, nur eine kurze Distanz von Dubuque entfernt. Kurz vor dem US-Bürgerkrieg erlebte die Stadt ihren Boom – noch heute zu erkennen an den vielen Rotziegelgebäuden und bunten Holzhäusern. Damals kamen manchmal gut 500 Reisende am Tag in Galena an, auf Durchreise zu den Städten im Norden und Westen des Landes, die damals neu entstanden. Heute sehen sich gut eine Million Besucher im Jahr die Stadt an.

Zurück an den Fluss. Viele Lagerhäuser in Städten wie Davenport, Burlington und Keokuk in Iowa oder Moline in Illinois stehen heute leer oder sind in Büros verwandelt worden. Die Städte haben Teile ihrer Flussufer in Parks verwandelt. An der Riverfront in Davenport treffen sich die Angler, Entenfütterer und Jogger. Kleinstadt-Amerika von seiner ganz alltäglichen Seite.

St. Louis: Einst der wichtigste Ort im Westen, nun in Verruf geraten

Südlich der Grenze von Iowa und Missouri liegt Hannibal. Es ist der Ort der Kindheit von Samuel Langhorne Clemens, der unter dem Namen Mark Twain weltberühmt wurde und dessen Verbundenheit mit Hannibal in klingende Münze verwandelt wird. Vom Hotel bis zur Besucherhöhle: Viele Plätze locken mit Twains Namen, ein Museum zu Ehren des Schriftstellers gibt es natürlich auch.

Zurück ans Ostufer des Flusses. Bei Grafton und Alton führt die Great River Road mal für einige Meilen unmittelbar am Mississippi entlang. Etwas weiter südlich lädt der knapp 55 Meter hohe Lewis & Clark Confluence Tower mit seinen drei Aussichtsplattformen zu einem Stopp ein. Zu sehen gibt es von dort – allerdings aus einiger Distanz – die Mündung des Missouri River in den Mississippi.

Nach der langen Überlandfahrt am Fluss entlang wartet etwas südlich die größte Stadt am Mittellauf des Mississippi: St. Louis. Einst wichtigster Ort auf dem Weg in den Westen überhaupt, ist sie in den vergangenen Jahrzehnten ziemlich in Verruf gekommen, wegen der Kriminalität. All das erscheint allerdings weit weg, wenn man unter der größten Attraktion in St. Louis steht: dem 192 Meter hohen Gateway Arch, der 1963 bis 1965 als Teil des Jefferson National Expansion Memorials gebaut wurde.

Ein Ort mit viel Vergangenheit und wenig Zukunft

Der gewaltige Bogen symbolisiert das Tor zum Westen, das sich mit der Expedition von Meriwether Lewis und William Clark öffnete. Sie drangen im Auftrag von US-Präsident Jefferson von 1804 bis 1806 von St. Louis aus bis zum Pazifik vor und legten damit den Grundstein für die Eroberung des Wilden Westens.

Wie nahe Verfall und Wohlstand am Old Man River beieinander liegen können, zeigt sich auch, wenn man von St. Louis aus weiter nach Süden fährt. Cape Girardeau präsentiert sich als schmuckes Städtchen mit lebhaftem Zentrum. Nur 40 Autominuten weiter südöstlich folgt mit Cairo in Illinois wieder ein Ort mit viel Vergangenheit und wohl nur wenig Zukunft. Die meisten Geschäfte haben ihre Schaufenster mit Tapeten oder Zeitungen zugeklebt. Keine Petunien, keine schlendernden Paare. Kleinstadt-Amerika mal von seiner nicht ganz so schönen Seite.