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Reisen per Anhalter

Auto zu teuer, Bus zu umständlich - Trampen durch Vorpommern

Demmin - Anklam / Lesedauer: 6 min

Schlechte Zugverbindungen und umständliche Busfahrten. Auf ein Auto kann man in Vorpommern schlecht verzichten. Oder doch? Der Nordkurier macht den Selbsttest und trampt von Demmin nach Anklam.
Veröffentlicht:26.07.2022, 17:58

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Ohne Auto ist man auf dem Lande recht aufgeschmissen. Die Busse fahren eher selten, der Rufbus hat da auch so seine Nachteile, wenn man schnell mal irgendwohin möchte. Für manche ist ein Auto schlichtweg zu teuer, andere wiederum wollen aus Umweltschutzgründen den Pkw stehen lassen oder gar ganz darauf verzichten. Aber was ist denn eigentlich mit dem Reisen per Anhalter? Durch die Pandemie ist das Trampen anscheinend zum Erliegen gekommen. Wird man heute noch mitgenommen? Der Nordkurier will‘ wissen – im Selbstversuch von Demmin nach Anklam. Vorpommern.

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Keine Chance bei Dienstwägen

Los geht es am Dienstagmorgen, 8.25 Uhr, an der Tankstelle in der Jarmener Straße. Ich spreche die beiden Fahrer von zwei Mercedes-Transportern an, ob sie mich ein Stück mitnehmen könnten. Beide schütteln den Kopf. „Das ist ein Dienstwagen“, klärt mich einer der beiden auf, während der andere ergänzt: „Laut Arbeitsvertrag dürfen wir keine fremden Personen mitnehmen.“ Egal ob ich jemanden beim Tanken anspreche oder an der B110 einfach den Daumen raushalte: Absagen, Kopfschütteln, weiterfahren. Die Uhr wandert immer weiter, inzwischen ist es 9 Uhr. Dabei war die Hoffnung, dass es von Demmin aus erst mal zügig vorwärtsgeht. Wie soll ich da die Strecke schaffen? Und dann geht es plötzlich ganz schnell!

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Reisen wie zu DDR-Zeiten

Frank Oldenburger fährt auf die Tankstelle und nimmt mich mit. Jeden würde er sicher nicht einsteigen lassen, sagt er. Aber ich wirke offenbar harmlos genug. Früher sei er selber getrampt, meist kurze Strecken, die weiteste führte ihn nach Berlin. „Leider sehe ich heute nur wenige, die per Anhalter reisen. Dabei war Trampen zu DDR-Zeiten ein richtiges Transportmittel“, schildert Oldenburger, der mich hinter Siedenbrünzow beim Abzweig nach Vanselow rauslässt. Ich halte den Daumen raus und um 9.20 Uhr hält ein VW an. Am Steuer eine allein reisende Frau mit großem Herzen für trampende Reporter. Gott und Jesus hätten sie schon mehrmals vor dem Tod bewahrt, erzählt sie. „Jetzt helfe ich immer, wenn jemand in Not ist. Ich habe keine Angst, da Jesus mich beschützt“, erklärt die überzeugte Christin.

Fünf Minuten später kurzer Tankstopp in Tutow und um 9.32 Uhr steige ich in Jarmen an der Ampelkreuzung der B110, kurz vor der Autobahn, aus ihrem Auto und Sekunden später in das von Uwe Stubbe aus Drönnewitz ein. Ein Glücksfall: Wegen eines alten Nordkurier-Artikels kam ich ihm bekannt vor, also hielt er an. Stubbe ist mit seiner Tochter Emma auf dem Weg nach Gützkow, wo er seine Mutter Irene im Pflegeheim besuchen will. Selber, sagt er, würde er nicht trampen, aber es müsse ja zwei Seiten geben: Die Tramper und die Autofahrer. „Sicherlich ist immer Vorsicht geboten. Einzelne Männer würde ich je nach Situation mitnehmen, aber nicht zwei. Bei zwei Frauen wäre das wieder anders.“

"Frauen haben eben mehr Herz"

Er setzt mich um 9.41 Uhr an der B111 ab, ich laufe die paar Meter weiter zum Ortsende und versuche am Lidl-Parkplatz weiterzukommen. Als ich an der Straße den Daumen hinhalte, fährt um 10.07 Uhr ein VW-Pritschenwagen auf den Parkplatz. Das könnte passen. Als ich den Fahrer anspreche, sagt dieser sofort ja. Karsten ist Bauer in einem Kartoffelbetrieb, der Pflanzen und Maschinen auf die Felder bringt. „Das Verhalten der Leute hat sich geändert, deshalb nehme ich heute weniger mit. Auch weil heute kaum jemand noch trampt“, sagt er.

„Katastrophe“, denke ich, als Karsten mich um 10.17 Uhr auf der Bundesstraße an der Abfahrt nach Ranzin rauslässt. Doch weit gefehlt, bereits drei Minuten später kommt Hausmeister Steffen Jeschke von Dambeck im Dienstwagen aus einer Seitenstraße. Ich spreche ihn an und darf bis Züssow mitfahren, wo wir um 10.23 Uhr ankommen. Dort herrscht viel Verkehr. Urlaubszeit auf der Straße Richtung Usedom. Zunächst hält niemand an. Dafür winken mir mehrere Leute aufmunternd zu, deren Autos voll besetzt sind. Leider gibt es auch einen jüngeren Autofahrer, der im Vorbeifahren den Stinkefinger zeigt. Nach 18 Minuten ist es wieder eine Frau, die stoppt. Dabei war sich eine Kollegin im Vorfeld noch sicher, dass Frauen mich nicht mitnehmen werden. Was für ein Irrtum! „Frauen haben eben mehr Herz“, scherzt Ute Pohl.

Ohne Sympathien geht nichts 

Die Fahrt dauert nur drei Minuten und unsere Wege trennen sich an der Kreuzung zur B109, wo sie nach links abbiegt, ich aber nach rechts muss. Kurze Strecke, große Hilfe. An der Ampel kann man gut Autofahrer ansprechen, so wie Kathrin Wilhelm aus Karswandt, die zum ersten Mal einen Tramper mitnimmt und dazu noch einen Mann. „Für mich war entscheidend, wie ich angesprochen werde. Weil der erste Kontakt sympathisch war, habe ich dich mitgenommen. Hättest du an der Straße mit Daumen raus gestanden, dann wäre ich wohl vorbeigefahren“, erklärt sie und lässt mich um 11.26 Uhr in Ziethen wieder raus.

Ich lese auf dem Ortsausgangsschild: Bis Anklam sind es nur noch fünf Kilometer. Jetzt wird es spannend, schaffe ich es noch vor 12 Uhr in der Anklamer Redaktion zu sein? Doch mit „Daumen raus“ wird das schwierig, da es am Ortsausgang keinen Bereich gibt, wo ein Autofahrer wirklich gerne anhalten würde. Die Ampel ganz in der Nähe hat „leider“ eine sehr kurze Rotphase, dafür umso länger grün. Aber eben nicht für die L26, wo ich die Mitarbeiterin der Volkssolidarität anspreche. Doch die Solidarität gilt nicht für Tramper. Auch hier gilt: Im Dienstwagen dürfen keine Fremden mitgenommen werden. Das scheint bei dem Treppenbauer Lifta anders zu sein. Schon das Kölner Kennzeichen und der einzelne Fahrer lassen erahnen, dass es sich hier um einen Dienstwagen handelt. Für Außendienstmitarbeiter Patrick Gebel aus Stralsund ist das kein Problem. Er bringt mich tatsächlich bis zur Anklamer Redaktion. Fünf Minuten vor 12 Uhr ist das Ziel erreicht. „Ich sehe in letzter Zeit sehr selten einen Tramper an der Straße stehen. Zudem habe ich, wenn ich zu einem Kunden fahre, meist kurze Strecken. Aber wenn es passt, dann ist das kein Problem“, sagt Gebel.

Auf die richtige Ansprache kommt es an

Und das Fazit: Als Jugendlicher bin ich quer durch Europa getrampt. Heute gibt es wohl wesentlich weniger Tramper, aber einige Dinge haben sich nicht geändert: Der Daumen alleine hilft nicht. Auf die richtige Ansprache kommt es an. Dann wird man auch schon mal von Frauen oder im Dienstwagen mitgenommen. Und in dreieinhalb Stunden von Demmin nach Anklam: Da ist man mit dem Bus zu manchen Zeiten auch nicht schneller.