StartseiteRegionalAnklamLandrat warnt – Notunterkünfte werden nicht reichen

Flüchtlinge

Landrat warnt – Notunterkünfte werden nicht reichen

Loitz / Lesedauer: 5 min

Die Schaffung von längerfristigem Wohnraum und die Jobvermittlung stelle die Gemeinden im Kreis Vorpommern-Greifswald vor große Probleme, sagt Landrat Sack.
Veröffentlicht:25.03.2022, 06:26

Artikel teilen:

In einer ehemaligen Grundschule hat der Landkreis Vorpommern-Greifswald eine Unterkunft für ukrainische Flüchtlinge geschaffen, die in Deutschland ihre erste Nacht verbringen.

Lesen Sie auch: So können Sie der Ukraine in MV helfen

Mütter und Kinder in der Notunterkunft

Noch vor Corona-Zeiten herrschten hier frühmorgens lautstarker Trubel, Türen-Knallen und Kindergeschrei. Doch heute ist es still in der ehemaligen Grundschule im Stadtzentrum von Loitz. Aus den einstigen Klassenräumen schleichen sich am Morgen verschlafene, schweigsame Mütter mit ihren Kindern in die Schulgänge zu den gemeinsamen Waschräumen. Im Foyer sind Bänke aufgestellt. Auf den Beitischen stehen kalte und heiße Getränke. Überall helfen Hinweisschilder in deutscher und ukrainischer Sprache den geflüchteten Menschen bei der Orientierung in den Gängen.

Karge Ausstattung für die ersten Nächte

Vor gut einem Jahr hatte der Kreis das leergezogene, dreistöckige Schulgebäude übernommen und renovieren lassen. „Mit dem Ausbruch des Krieges haben wir hier so schnell es ging – ähnlich wie in der Drei-Felder-Sporthalle in Greifswald und in der Jugendbegegnungsstätte Plöwen eine Erstunterkunft eingerichtet“, sagt Gabriele Wittichow, Fachbereichsleiterin für Kinder- und Sozialhilfe des Bildungs- und Sozialunternehmens CJD Nord.

Lesen Sie auch: Mehr Flüchtlinge erwartet – Landrat appelliert an Bürger

Im Erdgeschoss, im Klassenraum 16, zeigt sie, wie eine solche Unterkunft für die erste Nacht in Deutschland aussieht: In dem notdürftig mit einem Sichtschutz versehenen Raum stehen im Ein-Meter-Abstand elf Klappliegen – auf jeder ein Laken, ein Kopfkissen, eine Bettdecke und noch eine zusätzliche Decke. Nicht gerade viel, aber die über Polen geflüchteten Menschen seien nach den leidvollen Fluchtwochen sehr dankbar für eine warme und sichere Sammel-Unterkunft, sagt Wittichow. Von hier aus gehe es in der Regel schon am nächsten oder darauffolgenden Tag in ein anderes, längerfristiges Quartier.

Landrat erwartet riesige Flutwelle

Von den insgesamt 218 verfügbaren Plätzen in Loitz waren am Donnerstagmorgen gut 100 belegt. Insgesamt verfüge der Landkreis inzwischen über eine Kapazität von 846 Plätzen in Notunterkünften, darunter auch in Peenemünde, Ueckermünde und Torgelow, sagt Landrat Michael Sack (CDU). „Davon sind aktuell 623 verfügbar, also Platz für Personen aus etwa zwölf Bussen. Aber wir wissen: Das wird angesichts der riesigen Fluchtwelle bei Weitem nicht reichen.“

Lesen Sie auch: Arbeitseinsätze für Flüchtlinge – ein bisschen Stolz schwingt mit

In Loitz war schon am vergangenen Donnerstag ein erster Bus mit etwa 30 Männern verschiedenster Nationalitäten angekommen, die offenbar einen Aufenthaltstitel in der Ukraine hatten und geflohen waren. Weil die ehemalige Schule aber vor allem für Frauen und Kinder eingerichtet worden war und hier zum Beispiel auch mit Babynahrung und Windeln bevorratet wurde, seien die Männer kurzfristig anderenorts untergebracht worden.

Möbel, Medizin, Wohnungen – vieles muss improvisiert werden

Doch mit der Aufstellung von Liegen und der Organisation von Mahlzeiten und Getränken allein sei es nicht getan, sagt Sack. Niedergelassene Haus- und Notärzte kümmerten sich jeden Tag um die Neuankömmlinge. Eine Person, die positiv auf Corona getestet wurde, musste bereits in der Schule in Isolation. „Wir müssen uns darauf einstellen, in Einzelfällen auch zu improvisieren“, sagt Sack. So müsste im Notfall ein Sondertransport organisiert werden, wenn eine Familie weiterreisen müsse, aber ein Mitglied infiziert sei.

Weitere Gemeinschaftsunterkünfte werden in diesen Tagen auch in Pasewalk, Anklam, Wolgast, Gützkow, Jarmen, Torgelow und Penkun vorbereitet. „Doch die größte Herausforderung für uns sind nicht die Sammelunterkünfte, sondern die Beschaffung von richtigem Wohnraum“, gesteht der Landrat. Zwar meldeten jetzt viele Gemeinden ihre leer stehenden Wohnungen. Doch in vielen Fällen müssten in den Räumlichkeiten noch einmal die Maler, Elektriker und Reinigungskräfte ran.

Mangel an Handwerkern

Kurzfristig mangele es nun an Handwerkern, aber auch an Möbeln für eine Ersteinrichtung. Geldspenden aus der Bevölkerung ermöglichen die Beschaffung des Notwendigsten und einige Möbelmärkte stellen jetzt so manchen Ladenhüter kostenfrei zur Verfügung. Zudem organisierten engagierte Bürgermeister die Ausstattung der Wohnungen mit elektrischen Geräten, lobt der Landrat. Dennoch sei die kurzfristige Einrichtung der Wohnungen eine Herausforderung.

Man wolle so schnell wie möglich den ukrainischen Flüchtlingen auch Mietverträge anbieten, sagt Sack. „Die Menschen, die uns jetzt erreichen, sind sehr dankbare, aber auch selbstbewusste und stolze Menschen, die sich eher als Reisende betrachten und so schnell es geht mit eigener Arbeit selbstständig werden und möglichst bald wieder in ihre Heimat zurückkehren wollen“, schildert er seine Eindrücke aus den vergangenen Tagen. Gefragt seien Patenschaften der Einheimischen, die auf dem Weg in ein eigenständiges Leben helfen würden.

Lesen Sie auch: Wo sind die vielen einst für Flüchtlinge gekauften Möbel hin?

Den Behörden fehlt Personal

Erfahrungen aus der Flüchtlingswelle aus Syrien und Afghanistan vor sieben Jahren hatten gezeigt, dass die Integration in den kleineren Gemeinden oft besser funktioniere als in der Anonymität größerer Städte. Doch müssen dort auch entsprechende Kapazitäten beispielsweise in den Schulen und Kitas verfügbar sein.

Massive Probleme bereite dem Landkreis – auch angesichts des aktuellen coronabedingten Personalmangels in der Ausländerbehörde – die Erfassung der Personalien, die erkennungsdienstliche Registrierung und die Aufnahme der biometrischen Daten wie Fingerabdruck und Lichtbild, sagt Landrat Sack. Wenigstens habe das Land dafür jetzt personelle Unterstützung zugesagt. Das sei auch für die Agentur für Arbeit äußerst wichtig, die Sprachkurse anbieten und Jobs vermitteln wolle. Ebenso wichtig: Die Anerkennung der Berufsabschlüsse. „Uns erreichen hier sehr qualifizierte Leute, die wir eigentlich dringend brauchen: Ärztinnen, Lehrerinnen, Erzieherinnen, Krankenschwestern“, sagt der Landrat. Die Unimedizin Greifswald habe bereits eine dringende Bedarfsliste geschickt.

In anderen Fällen zeichnen sich dagegen schnellere Lösungen ab. Auf der Insel Usedom zum Beispiel würden jetzt zum Saisonbeginn viele Tourismusunternehmen sofort und unproblematisch ukrainische Saisonkräfte einstellen. Viele von ihnen waren bereits in den vergangenen Jahren dort tätig.