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Heimatgeschichte

Alte pommersche Musik zwischen Armensarg und Kulturerbe

Vorpommern / Lesedauer: 6 min

Pomeranus non cantat – der Pommer singt nicht, wurde früher gelegentlich behauptet. Aber getanzt hat er ganzbestimmt. Die Frage ist nur wie und zu welcher Musik?
Veröffentlicht:04.01.2023, 18:51

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Wenn von alten Anklamer Originalen die Rede ist, darf Vadder Korl Dählow nicht fehlen, der es auch über die Grenzen der Stadt hinweg zu einer gewissen Berühmtheit gebracht hat. Der ehemalige Anklamer Rudi Kammler beschreibt ihn im zweiten Band des von der Druckerei Rauchmann herausgegebenen Buches „Anklam Erinnerungen” als einen „Sonderling mit Spitzbart”.

Typisch für ihn seien eine an den Seiten mit Sackband zugebundenen Hosen gewesen, eigens geschnitzte Holzschuhe und eine Art Rucksack, in denen er seine „Einkünfte” transportierte. Sein „Kleinod” sei allerdings eine Harmonika gewesen, die er offenbar sehr gut zu bedienen wusste und damit auch sein täglich Brot verdiente.

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Straßenmusik mit „Quetschkomode”

Rudi Kammler selbst habe sich Vadder Dählows Spiel auf der „Quetschkomode” als kleiner Junge oft und gern angehört und war der Meinung, das er sich sein Trinkgeld redlich verdient hätte. Dennoch reichte es am Schluss nur für einen Armensarg und ein Plätzchen am Ende des Friedhofes.

Auch wenn es dieser bescheidene Abgang nicht gerade vermuten lässt, Karl Dählow, der Trompeter Carl Geserick und auch der Drehorgelspieler Vadder Lowatsch stehen in Anklam mehr oder weniger in der Tradition der einstmals angesehenen Stadtpfeiffer, die es seit dem Mittelalter auch in vielen kleinen pommerschen Städten gegeben haben soll und die unter anderem für die musikalische Umrahmung von Festlichkeiten in der Stadt zuständig waren.

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Zum Tanz auf dem Kornboden aufgespielt

Auch in Anklam gab es ganz früher einen Stadtmusikus, der an der Ostseite des Marienkirchplatzes im sogenannten „Kunstpfeifferhaus” gewohnt haben soll. Die Stadtpfeiffer waren in Zünften organisiert, so dass ein Meister sich auch Gesellen und Lehrlinge nehmen konnte. Es wird zum Beispiel aus Altdamm bei Stettin berichtet, dass der dortige Stadtpfeiffer noch in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts 15 Gesellen und Lehrlinge hatte, die man auch für Tanzabende mieten konnte.

Auf dem Land wurde diese Aufgabe dann eher von Dorfmusikanten übernommen, die im „Hauptberuf” vielleicht Schneider oder Schuster waren oder ehemalige Militärmusiker. Diese Tradition war um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts auch in der Anklamer Region noch sehr lebendig. Unter anderem wurde in Groß Polzin auf einem Kornboden mit Akkordeon und Teufelsgeige zum Tanz aufgespielt, wie sich eine Zeitzeugin erinnert.

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Handharmonika als Kulturerbe aufgenommen

Männer wie Karl Dählow oder auch die Musiker von den Kornböden der Region wären heutzutage vermutlich gefragte Leute, denn das Interesse an der Musik, die einst in Pommern gespielt wurde, hat in den vergangenen Jahren offensichtlich wieder zugenommen. So wurde die „Revitalisierung des Spiels auf der diatonischen Handharmonika in Mecklenburg-Vorpommern” im Jahr 2020 in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Zur Begründung für diese Anerkennung heißt es, dass das Spiel auf der diatonischen Handharmonika – so wie Vadder Dählow eine hatte – seit den 1860er Jahren zu den „stilprägenden Praktiken in der Ausübung instrumentaler Volksmusik in Mecklenburg und Vorpommern” gehörte.

Das relativ kleine Instrument, das anders wie das inzwischen wohl bekanntere chromatische Akkordeon gespielt wird und Knöpfe statt Tasten hat, entstand zum Beginn des 19. Jahrhunderts und hat schnell die Tanzsäle der Dörfer erobert und wohl auch rund hundert Jahre lang beherrscht. Radio, Rock'n'Roll und Beat-Musik haben das Instrument dann mehr und mehr aus den Tanzkapellen verschwinden lassen bis es schließlich in Vorpommern fast ganz verschwunden war.

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Alte Tänze seit 150 Jahren in Brasilien gepflegt

Ebenso wie die Musik, die damit gespielt wurde und die alten Tänze, die dazu getanzt wurden. Aktuell wird die Anzahl von regelmäßig spielenden Musikern in Mecklenburg-Vorpommern auf etwa 100 geschätzt und das „Zentrum für Traditionelle Musik” in Schwerin setzt sich für die Forschung, Dokumentierung und Weitergabe des Spiels auf der diatonischen Handharmonika ein.

Das Pommersche Landesmuseum in Greifswald wiederum hat Ende des vergangenen Jahres ein ganzes Wochenende lang traditionelle Tänze und Melodien aus Pommern in den Mittelpunkt gestellt. Dazu gehörte auch der Austausch zwischen verschiedenen Generationen von Musikern und Tänzern sogar über den Atlantik hinweg.

So gab es eine Video-Konferenz, an der auch Claudio Werling und Roberto Maske im brasilianischen Pomerode teilnahmen. Die Nachfahren von pommerschen Auswanderern gaben dabei Auskunft darüber, welche Traditionen vor 150 Jahren den Ozean mit überquert haben und in welcher Form sie bis heute gepflegt werden. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass die Stücke, nach denen seinerzeit auf den hiesigen Kornböden getanzt wurde, bei den heutigen „Pomeranos” keineswegs unbekannt sind.

Neues Buch zu alten Tänzen

Bei einem weiteren Workshop ging es dann vorrangig um fast vergessene Tänze aus Pommern wie bespielsweise „Bunt Schört” oder „Rosenachter”, die das Ehepaar Gundel und Wolf Hergenhan wieder zum Leben erweckt hat. Sie stammt aus Stettin und er aus Hammer an der Uecker und beide sind und waren in ihrer neuen Heimat in Schleswig-Holstein in Volkstanzkreisen aktiv. Da sie dabei nur selten auf pommersche Volkstänze gestoßen waren, kam dann irgendwann auch auch die Frage auf, ob es diese überhaupt noch gibt, erzählten sie am Rande des Workshops.

Antworten fanden sie schließlich nach der Wende in ostdeutschen Archiven und Bibliotheken in Form von rund hundert Jahre alten Tanzbeschreibungen. Einige davon finden sich nun auch in dem Buch „Volkstänze aus Pommern”, das das Ehepaar herausgegeben hat. Darin enthalten sind auch die Noten der entsprechenden Tanzmusik, die von Martin Ströfer, einem Akkordeonspieler mit viel Volksmusikerfahrung, bearbeitet wurden.

Workshop lockt 20 Teilnehmer nach Greifswald

Der spielte dann auch im Pommerschen Landesmuseum gemeinsam mit Sibylle Schreiber am fünfsaitigen Banjo beim Workshop für pommersche Tänze mit über 20 Teilnehmern auf, der wiederum von Hannah Mareike Küssner, der Enkelin von Gundel und Wolf Hergenhan, geleitet wurde.

Dorota Makrutzki, Kulturreferentin für Pommern und Ostbrandenburg am Pommerschen Landesmuseum, hatte die traditionellen Tänze und Lieder zum Beginn des von ihr organisierten thematischen Wochenendes noch als „weiße Flecken” auf der Karte pommerscher Kulturgüter bezeichnet. Das vermutlich auch in der Hoffnung, einige davon tilgen zu können. Zumindest werde sich das Landesmuseum wohl auch weiterhin mit dem Thema beschäftigen, kündigte sie inzwischen an.