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Rechtsextremismus

Anklam und die Jäger der verborgenen Nazis

Anklam / Lesedauer: 3 min

Mit großem Aufwand haben mehrere Journalisten wochenlang in Anklam nach rechten Netzwerken gesucht. Was haben sie gefunden? Ein Kommentar.
Veröffentlicht:22.02.2019, 15:58
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Die Fotos sind richtig schön düster, das ist eine eiserne Regel, wenn man als Magazin oder Zeitung für vornehmlich westdeutsche Leser aus Anklam oder anderen Klischee-Orten in Dunkeldeutschland berichtet, und man muss sagen: Mission erfüllt, Fotos in vielfältigen Schattierungen von grau und schwarz. Dann noch in der Fotobearbeitung einen Drama-Filter drüber, Schwarzwert erhöhen, fertig. So sieht also das Anklam der „neuen rechten Netzwerke“ aus, vier Reporter von ZEIT und WDR haben über Monate ganz genau hingeschaut.

Heraus kamen eine Reportage im ZEIT-Magazin und ein Fernsehbeitrag, der freilich zumindest etwas leichter zu ertragen war, weil er nicht so quälend lang war wie der Artikel im ZEIT-Magazin.

Wurden die Rechtsextremen mit dem Stadtumbau wegsaniert?

Die bange Ausgangsfrage, die die Reporter nach Anklam geführt hatte, zielte darauf, ob die in der Vergangenheit immer wieder als Nazi-Hochburg dargestellte Stadt noch ein Problem mit Rechtsextremismus hat. Denn immerhin habe die Stadt ja einen sichtbaren Aufschwung genommen, neue Firmen, neue Häuser – da könne es ja sein, dass die Rechtsextremen ebenfalls wegsaniert wurden.

Aber, Überraschung, das wurden sie natürlich nicht. Fand das ZEIT-Magazin heraus, zumindest für alle, denen das nicht ohnehin schon klar war. Und die vier Journalisten, die sich über Monate in der Stadt aufhielten, fanden noch etwas heraus, was zwar jeder Einheimische schon lange weiß und was auch nicht wirklich überrascht, was nach Ansicht der Magazin-Reporter aber bedrohlich neu und wirkmächtig sein soll: Die fleißigeren und intelligenteren unter den Rechten gründen doch tatsächlich Firmen und kaufen auch Häuser oder Grundstücke!

Ist ein Nazi besonders gefährlich, wenn er einer geregelten Arbeit nachgeht?

„Neue Geschäftsfelder“ nennt das das ZEIT-Magazin, und das klingt erst mal so, als ob die Mafia sich von Drogen auf Pornografie verlegt, aber dann liest und liest und liest man seitenweise. Und dann erfährt man, dass es meistens Ein-Mann-Betriebe sind, ein Dachdecker, ein Maurer, ein Entrümpler, 22 solcher Betriebe will die Zeit gezählt haben, die Personen gehören, die zumindest Kontakte in die rechte Szene haben. Und die ihre Dienstleistungen nicht etwa ausschließlich an eine rechte Kundschaft anbieten würden, sondern tatsächlich allen Menschen, die einen Dachdecker, Maurer oder Entrümpler brauchen. Um Einflussmöglichkeiten außerhalb der Szene zu gewinnen, wie die Autoren noch argwöhnisch mutmaßen.

Der noch schwerer wiegende Verdacht, dass diese Leute womöglich einfach nur möglichst viele Kunden haben wollen und mithin böse Kapitalisten sind, bleibt unerwähnt. Dass diese 22 Firmen über den ganzen Landkreis verstreut sind und nicht nur in Anklam zu finden sind, das erfährt der Leser dann aber immerhin doch noch.

Autoren müssen ihre eigenen Recherchen relativieren

Die meisten dieser Firmen gibt es schon Jahre, neu am ZEIT-Magazin-Artikel ist, dass einige von ihnen einen gemeinsamen Internetauftritt haben, um Handwerkerleistungen rund ums Haus „aus einer Hand“ anzubieten. Da ist es, das neue gefährliche rechte Netzwerk, das die Reporter gesucht haben. Aber „noch überziehen die Knoten des rechten Netzes die Stadt nur lose“, müssen sie ihre Recherchen dann selbst relativieren, um aber schnell zu warnen, dass „die Struktur sich verfestigt“.

Das allerdings ist genau die Warnung, die die Akteure des viel beschworenen „Kampfes gegen Rechts“ bereits seit Jahren wie eine Monstranz vor sich hertragen, während die rechte Szene ebenso lange eher schrumpft als wächst. Ein wenig Gelassenheit wie das Bundesverfassungsgericht sie voriges Jahr vorgelebt hat, als es urteilte, die NPD sei zwar verfassungsfeindlich, aber zu unbedeutend für ein Verbot, wäre da vielleicht hilfreicher.