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Wort zum Adventssonntag

Es ist nicht gut, wenn Mitgefühl eine Nebensache wird

Anklam / Lesedauer: 2 min

Zum zweiten Mal erleben die Menschen auch die Vorweihnachtszeit in dieser ganz besonderen Situation. Anklams Pastorin bittet um vier Wochen Verständnis und hat einen Vorschlag.
Veröffentlicht:28.11.2021, 06:04

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Die Weihnachtsdekoration in der Anklamer Innenstadt ist aufgebaut. Weihnachtsbäume stehen, Lichter leuchten, aber die Weihnachtsvorfreude scheint noch weit weg zu sein. In der Kirchengemeinde beginnen wir den Advent mit einem Moment der Stille und des Gedenkens am Samstagnachmittag in der Marienkirche. Die vier Wochen vor Weihnachten sind traditionell für Christen eine Zeit der Besinnung. In diesem Jahr haben wir wohl alle ausreichend Grund dazu, uns Zeit zum Nachdenken einzuräumen. Viele Menschen sind besorgt und verunsichert in diesen Tagen. Die Pandemie zeigt wieder einmal ihre ganze Dramatik. In unseren Arztpraxen und Krankenhäusern sind immer mehr Erkrankte zu sehen.

Jeder kennt inzwischen jemanden, der schon erkrankt war. Viele kommen gut durch diese Infektion, aber nicht wenige haben lange und schwer zu kämpfen. Mancher denkt mit Traurigkeit an einen Abschied für immer.

Warum macht uns als Gesellschaft diese Situation so hilflos? Haben wir uns in der Vergangenheit zu wenig um unser Einfühlungsvermögen gekümmert? Haben wir vergessen, uns gegenseitig von unseren Ängsten und Sorgen zu erzählen? Haben wir uns daran gewöhnt, mit Misstrauen auf die Welt zu sehen und nichts und niemandem mehr zu glauben?

Eines kann man wohl mit Sicherheit sagen: Es ist nicht gut, wenn Mitgefühl eine Nebensache wird. Das fällt in Not-Zeiten noch mehr auf als sonst. Es ist nicht gut, sich an die Folgen zu gewöhnen, an scharfe und verletzende Worte, an Gleichgültigkeit, an Bewertungen.

Wie wollen wir in diesem Jahr den Advent verbringen? Vielleicht könnten wir einen kleinen hilfreichen Schritt jenseits der Regeln machen. Wie wäre es mit einem Experiment? Was auch immer die nächsten Wochen bringen, wie wäre es, 23 Tage lang, ganz bewusst und absichtlich eines zu versuchen: Auf Worte zu verzichten, die uns selbst verletzen würden.

Egal, welche politische Haltung, welche Sicht auf Impfungen, Medien oder die Demokratie ich habe, welches Verhältnis zum Staat, zur Schule, zur Medizin oder zur Kirche. Wäre das möglich? Vier Wochen sind doch nicht lang! Vier Wochen Pause vom Schimpfen auf andere, vom Spekulieren, Meckern und Hinterm-Rücken-Reden. Vier Wochen nur Worte, die jemandem guttun. Egal wem! Meinem Nachbarn, der Verkäuferin, den Kindern, der Ärztin, dem Postboten – wer auch immer mir gerade gegenüber steht.

„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“, heißt es in der Bibel. Könnte es bald wieder heller werden bei uns?

Eine gesegnete Adventszeit!
— Ihre Pastorin Petra Huse

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