StartseiteRegionalAnklamLetzte Bäckerei der Stadt macht dicht

Handwerk

Letzte Bäckerei der Stadt macht dicht

Jarmen / Lesedauer: 5 min

Bäcker gehörten einst auch in Jarmen zu den wichtigsten und zahlreichsten Handwerkern. Doch nun machte der letzte derartige Betrieb der Peenestadt dicht.
Veröffentlicht:03.01.2023, 13:39

Artikel teilen:

Der jüngste Silvestertag mit seinem Riesenandrang vor allem auf die Pfannkuchen wirkte bei der Bäckerei Giermann noch einmal wie heile Welt und eine fulminante Erinnerung an jene Tage, als sich dieses Handwerk relativ wenig Sorgen um seine Zukunft machen musste. Denn Brot gilt als deutsches Hauptlebensmittel schlechthin, eine Stadt ohne diese Zunft schien lange unvorstellbar. Doch schon zum Herbst hatte sich die Nachricht verbreitet, dass das letzte lokale Unternehmen seiner Art in Jarmen zum Jahreswechsel die Öfen für immer abstellen würde. Und im Dezember konnten Kunden und Passanten dann ganz offiziell die Nachricht von der bevorstehenden Schließung lesen: „Die Corona-Pandemie ist auch an uns nicht spurlos vorübergegangen und den Kampf gegen die hohen Energie- und Rohstoffpreise haben wir nun verloren“, informierte Inhaberin Gudrun Goetsch per Aushang.

Mehr zum Thema: Restaurant in Teterow macht dicht

Sie hatte den Betrieb schon Mitte der 1980er-Jahre zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten Klaus Giermann übernommen, beide waren nach der Wende und dem Kauf des Gebäudes kräftig durchgestartet. Trotz einiger privater Schicksalsschläge wie dem überraschend frühen Tod ihres Partners brachte sie das Geschäft gut durch die folgenden Jahrzehnte. Und plante, zusammen mit ihrem heutigen Mann Henning Präkels als Chef der Backstube die lange Tradition des Bäckerhandwerks an der Kohnertstraße 17 eigentlich noch einige Jahre fortzusetzen, hoffte sogar auf eine Fortführung innerhalb der Familie. Nicht umsonst stärkten sie der Bürgerinitiative zur Rettung der 2020 geschlossenen Jarmener Mühle den Rücken: Sie wussten um die besondere Qualität des dort produzierten Mehls.

Zunehmende Konkurrenz größerer Anbieter

Doch während es nach der Wiedervereinigung anfangs so richtig gut lief und zusätzliche Leute eingestellt, sogar expandiert werden konnte, hätten sich die Rahmenbedingungen fürs kleine private Bäckerhandwerk ab den 2000er-Jahren zunehmend verschlechtert, wie die Unternehmerin dem Nordkurier schilderte. Bedingt durch die stetig zunehmende Konkurrenz größerer Anbieter, die ihre Waren zentral vorproduzieren und dann vor Ort aufbacken – vor allem aber durch die Billig-Angebote in den bei vielen Supermärkten inzwischen eingeführten eigenen Backwaren-Abteilungen.

Lesen Sie auch: Wozu braucht es noch Bäckereien, Herr Gesche?

Angesichts der Kostensteigerungen bei den Rohstoffen für Brot und Kuchen entwickelte sich ein Preiswettkampf, der bereits früh nichts Gutes ahnen ließ. „Man hat das schon gemerkt, dass mit jeder Erhöhung ein paar Leute mehr wegblieben.“ Glücklicherweise bestand eine große Stammkundschaft bis weit ins Umland der Peenestadt, nichts zuletzt wegen der bei Giermanns häufig noch für den Kuchen verwendeten alten Rezepte aus DDR-Zeiten und einiger besonderer Kreationen im Brotregal.

Käsemohn-Brötchen nur samstags

Wie etwa den Käsemohn-Brötchen, die es nur dort und auch nur am Sonnabend gab. Bei ihnen sah nie ein Brot oder Brötchen wie das andere aus. „So ist das eben bei echter Handarbeit“, sagte Gudrun Goetsch. Im Übrigen sei es auch der persönliche Kontakt über den Tresen hingweg gewesen, der für so einiges entschädigt und sie zum Durchhalten animierte. „Ich habe das wirklich gern gemacht, das wird mir fehlen.“

Außerdem interessant: Waren das die letzten echten Jarmener Silvester-Pfannkuchen?

Die Corona-Pandemie brachte ihnen weitere Schwierigkeiten, so richtig hart wurde es aber 2022 durch die stetig steigende Inflation und besonders die Explosion der Energiekosten, teilweise bedingt durch den Krieg in der Ukraine und seine Folgen. Plötzlich standen zwei- bis vierfache Strom- und Gaskosten im Raum, während die im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands ohnehin finanzschwächere Kundschaft angesichts vieler weiterer Mehrausgaben spürbar jeden Cent noch häufiger umdrehte. Normalerweise hätte sie die Preise längst deutlicher anheben müssen, um nachhaltig zu wirtschaften, machte die Unternehmerin klar. „Aber ein Brot für acht Euro oder ein Brötchen für einen Euro würde mir doch kaum einer abkaufen.“

Entscheidung für den schnellen Zapfenstreich

Sie und ihr Partner hätten lange mit sich gerungen, doch letztlich sei nur der schwere Entschluss geblieben, die Reißleine zu ziehen. Denn wer wollte bei den unklaren Zukunftsaussichten neue finanzielle Verpflichtungen eingehen? Wo doch inzwischen alles andere abgezahlt sei und es nun bis zur Rente endlich vor allem in die eigene Tasche gehen sollte – eigentlich.

„Ich habe nichts unversucht gelassen, habe sogar die Handwerkskammer mit ins Boot geholt. Aber auch die haben das durchgerechnet und gesagt, es macht keinen Sinn mehr.“ Von daher fiel die Entscheidung für den schnellen Zapfenstreich zum Jahresende. Zu dem es Dank des Silvestergeschäfts wenigstens noch mal so richtig brummte.

Treffpunkt it sozialer Funktion

Die Inhaber und ihr Team bekamen diesmal von der Kundschaft nicht nur fürs neue Jahr und ihre weitere Zukunft besonders viele gute Wünsche ausgesprochen. Sondern erlebten eine Menge Zuspruch und Dankbarkeit, ebenso Traurigkeit und die eine oder andere Träne. Schließlich hat so mancher dem Laden schon mehr als ein halbes Jahrhundert die Treue gehalten, holte sich dort bereits als Kind beispielsweise die geliebte Streuselschnecke oder einen Spritzkuchen, war der Laden eben immer auch ein Treffpunkt mit sozialer Funktion und zum Austausch neuer Nachrichten.

Sie sei überwältigt von der „Anteilnahme“, so die Geschäftsfrau, berichtete von so einigen Flaschen Sekt, Pralinenschachteln und Blumen, die während der vergangenen Wochen in den Laden gebracht wurden als Abschiedsgeschenk. „Da bedanke ich mich ganz herzlich bei allen.“ Ganz besonders bewegt habe sie der Besuch des fünfjährigen Linus, der neben einer Packung Merci ein ausgemaltes Bild überreichte. „Er hat gesagt, ‚Tante, bei Dir hat das immer so gut geschmeckt, deshalb habe ich Dir dieses Bild gemalt.‘ Da kamen mir dann selbst die Tränen.“