Tauziehen um die Große Koalition
Vize-Juso-Chef: „Viele Wähler sind genervt“
Anklam / Lesedauer: 4 min
Seit November sind Sie Vize-Chef der Jusos in Deutschland. Wie nervig ist das, wenn man dann gleich in so einen heftigen Richtungsstreit involviert ist?
(Lacht.) Das ist natürlich schon eine intensive Zeit. Als ich zugesagt habe, zu kandidieren, war das alles noch nicht absehbar. Aber man übernimmt ja kein politisches Amt in einer Partei, wenn man keine Lust auf Debatten hat. Wenn nichts los wäre, würde ich mich eher beschweren.
Die Jungsozialisten und auch Sie persönlich haben sich vor Wochen schon dagegen ausgesprochen, überhaupt zu verhandeln. Ist das nicht ein bisschen sehr dogmatisch?
Nein, dogmatisch ist das nicht. Es gab eine klare Ansage der Parteiführung: keine neue Koalition mit der Union. Und ich glaube, man hätte gut daran getan, dabei zu bleiben.
Warum?
Das hat vor allem zwei Gründe: Die inhaltlichen Überschneidungen mit der Union sind nach vier Jahren Großer Koalition wirklich aufgebraucht. Das sieht man auch ganz deutlich an dem bisherigen Verhandlungsergebnis. Bei den großen Fragen, die sich stellen – zum Beispiel Rente, Steuern, Gesundheit – gibt es zu wenig Übereinstimmungen, um etwas zu erreichen. Es ist für die Demokratie auch gut, wenn es bei diesen Themen unterschiedliche Entwürfe in der Politik gibt, die gegeneinanderstehen. Zweitens: Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist mit der Union einfach nicht mehr möglich. Da gab es Alleingänge von Ministern und manche Punkte, auf die wir uns vor vier Jahren geeinigt hatten, sind einfach nicht umgesetzt worden.
Aber in dem Sondierungsergebnis stehen doch viele Punkte, die Sozialdemokraten gefallen dürften: Kostensenkung bei den Kitas, Einwanderungsgesetz, Ansprüche auf befristete Teilzeitarbeit...
Natürlich stehen da auch richtige Dinge drin. Aber es fehlen die großen Würfe für die nächsten Jahre. Nur mal als Beispiel die Steuerpolitik: Von den vier wichtigsten Wahlkampfforderungen der SPD in diesem Bereich stehen nur noch zwei im Sondierungsergebnis: die Abschmelzung des Solidaritätszuschlags und die Finanztransaktionssteuer. Und letztere stand auch schon im letzten Koalitionsvertrag – ohne dass sie umgesetzt wurde. Die Erbschaftsteuerreform fehlt. Eine gerechtere Einkommensteuer bekommen wir mit der Union auch nicht hin.
Was erwarten Sie denn vom Parteitag am Wochenende?
Ich bin zwar kein Delegierter, werde aber trotzdem dort sein. Ich hoffe, der Parteitag lehnt weitere Verhandlungen ab. Und ich hoffe, dass die Debatte so läuft, dass alle Beteiligten weiter miteinander arbeiten können. Also, dass persönliche Angriffe ausbleiben.
Man muss ja nicht giftig werden. Aber mal ehrlich: Wenn der Parteitag sich gegen den Vorstand stellt, der ja für das Sondierungsergebnis wirbt, muss dann nicht ein neuer Vorstand her?
Die Koalitionsfrage ist eine inhaltliche, vielleicht auch eine taktische. Aber eine automatische Verknüpfung mit den handelnden Personen sehe ich nicht.
Die Antwort ist jetzt aber ziemlich weichgespült. Mussten Sie die auswendig lernen?
Nein. Der Vorstand wurde ja gerade erst neu gewählt. Ich erwarte natürlich, dass er sich an mehrheitliche Beschlüsse hält. Und dann kann man auch mal in einer inhaltlichen Frage unterliegen, ohne dass man zurücktreten muss. Dass jetzt so offen über Inhalte debattiert wird, ist doch ein gutes Zeichen für den Zustand der Partei.
Meinen Sie, dass die Wähler das auch so sehen? Die könnten auch genervt sein vom Hin und Her, von dem langen Diskussionsprozess und dem Dauer-Konflikt...
Ehrlich gesagt: Ich habe den Eindruck, dass viele genervt sind. Auch deswegen wäre es ja auch besser gewesen, man wäre beim ursprünglichen Nein zu einer großen Koalition geblieben.
Und was ist mit der viel zitierten „staatspolitischen Verantwortung“?
Man tut ja jetzt so, als wären die Interessen der Partei und des Landes gegensätzlich. Das sehe ich anders. Deutschland tut es gut, wenn es eine starke SPD gibt. Die inhaltliche Nähe von SPD und CDU haben viele Wähler kritisiert. Gerade diese beiden Parteien müssen unterscheidbar sein. Die Chance liegt doch darin, dass wir wieder polarisieren können, wenn die SPD in die Opposition geht.
Ist die Alternative denn wirklich besser? Eine Minderheitsregierung der Union, bei der dann viel hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wird?
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir in der Regierung auch nicht gerade Sympathien gewonnen haben.
Aber da konnte die SPD immerhin noch einiges durchsetzen. Wenn die Union allein regiert, wird das sicher anders...
Natürlich, aber es gibt nun mal keine linke Mehrheit im Bundestag. Das muss man akzeptieren.
Und Neuwahlen, würden die der SPD nutzen?
Gute Frage. Es wäre ein Risiko. Aber wir scheuen Neuwahlen nicht.
Klingt nach sehr viel Pathos...
Naja, man wird sehen, wie es ausgeht, falls es Neuwahlen gibt. Aber ob das so kommt, muss sich auch erst zeigen. Der Bundespräsident macht bisher nicht den Eindruck, als würde er mal eben Neuwahlen ansetzen.