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Interview

Vorpommerns Jusos-Chef lehnt die Schuldenbremse ab

Greifswald / Lesedauer: 5 min

Was treibt den 22-jährigen Kreis-Chef der Jusos in Vorpommern-Greifswald an. Interview mit Jordan Florczak über Pflege, Feuerwehr, Jugend – und Schulden.
Veröffentlicht:19.07.2022, 12:03

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Zum Sommer-Interview kommt Jordan Florczak mit Laptop und überraschenden Forderungen an die Politik zum Greifswalder Fischmarkt. Und er besteht darauf, dass seine gendergerechte Sprache auch in einem Wortlautinterview erkennbar ist.

Wie kamen Sie eigentlich zu den Jungsozialisten?

Für Politik habe ich mich schon mit 14 interessiert. Aber da wusste ich noch nicht so richtig, wohin ich möchte. Das Schlüsselerlebnis kam im Februar 2020. Da haben wir jungen Leute in Greifswald eine Mahnwache zum Gedenken an die Opfer des rechtsextremen Anschlags im hessischen Hanau organisiert. Gleich danach kam ich mit Jusos ins Gespräch und wurde zu einer Sitzung mitgenommen. Der Gedanke, die Interessen von Schüler*innen, Student*innen, Azubis und Berufseinsteigern*innen zu vertreten, gefiel mir.

Inzwischen sind Sie Kreisvorsitzender von etwa 100 Jusos. Ist es schwierig, Altersgenossen für die Politik, die Sie vertreten, zu gewinnen oder eher einfach, weil man die Probleme, die Wünsche und die Lebenswelt der jungen Leute besser kennt?

Das Problem besteht eher darin, dass viele junge Menschen nach Abschluss von Lehre oder Studium die Region verlassen, weil es anderenorts bessere Berufschancen, bessere Bezahlung oder eine bessere Infrastruktur gibt. Schauen Sie sich doch um in den Dörfern. Jugendklubs gibt es nicht mehr, und wenn, dann werden sie kaum ausreichend unterstützt. Keine Dorfläden mehr, keine Kneipen – das Dorfleben der jungen Leute findet oft an der Bushaltestelle statt. Und die Abende in der Stadt zu verbringen, ist auch schwer. Denn der letzte Bus von Greifswald nach Trantow fährt schon 17.20 Uhr.

Sie haben die Freiwillige Feuerwehr vergessen. Vielerorts sind doch gerade die Feuerwehren oder Jugendfeuerwehren ein fester Bestandteil des Gemeinwesens.

Aber auch den Feuerwehren läuft der Nachwuchs davon, weil entweder die in einer Leistungsgesellschaft lebenden jungen Leute kaum noch Zeit dafür haben oder die Feuerwehr unattraktiv geworden ist. Ich habe mich mal informiert: Wer in Greifswald bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv ist, bekommt als Jugendfeuerwehrwart*innen im Monat 60 Euro und pro Einsatz 7,50 Euro. Das finde ich nicht angemessen. Und auf den Dörfern fehlt erst recht das Geld.

Was also tun, wenn überall die Mittel fehlen?

Wir müssen die Schuldenbremse lösen.

Das überrascht uns aber. Ausgerechnet ein Vertreter einer Generation, die später auf dem angehäuften Schuldenberg der Alten sitzenbleibt, fordert, noch mehr Schulden zu machen?

Wir brauchen Investitionen, um zukunftsfähig zu werden. Es muss jetzt dafür gesorgt werden, dass die Wirtschaft leistungsfähig bleibt. Wenn wir nicht weitgehend eigenständig sind, laufen wir Gefahr, immer abhängiger zum Beispiel von China zu werden. Das könnte zum Mangel führen, zu Preisanstiegen und immer mehr Inflation. Aber ich bin dafür, nicht ziellos zu investieren. Es braucht eben einen guten Bundes-, Landes- und Kreishaushalt.

Wo sehen die Jusos denn besonderen Handlungsbedarf in Vorpommern?

Besseren Personennahverkehr, bessere Bus-Bahn-Taktung, Brückenerneuerung, den Wiederaufbau der Karniner Brücke, um nur einige Punkte zu nennen. Genauso aber muss der Staat deutlich mehr in die Pflege investieren, bei Bezahlung und Personalschlüssel.

Wir haben bei uns einen jungen Mann, der bei einem Greifswalder Pflegedienst arbeitet. Der sagt, es gebe viel zu wenig Personal, weil der Beruf für viele unattraktiv und stressig geworden ist. Der sagt, er müsse inzwischen so viele ältere und kranke Menschen betreuen, dass er das in zwei Jahren Ausbildung Gelernte gar nicht umsetzen könne. Es müsste viel geändert werden in unserem Gesundheitswesen.

Zum Beispiel?

Es kann nicht sein, dass Krankenhäuser unwirtschaftliche Bereiche nicht mehr anbieten. In Wolgast, Crivitz, Bergen, Stralsund, Parchim und Rostock kämpfen Kinder- und Geburtskliniken ums Überleben oder haben diesen Kampf mittlerweile verloren. Die Eingliederung von Einrichtungen des Gesundheitswesens in den Wettbewerb des Marktes war ein Fehler. Geburtskliniken sollten zur öffentlichen Daseinsfürsorge gehören. Genauso wie das Anbieten von Schwangerschaftsabbrüchen.

Finden denn die Forderungen und Wünsche Ihrer Generation Gehör bei den Alten? Im SPD-Kreisverband zum Beispiel?

Ich denke schon. Als Juso-Kreisvorsitzender sitze ich ja automatisch auch im SPD-Kreisvorstand. Darüber hinaus können weitere Jusos in die örtliche SPD-Spitze gewählt werden. Wir sind durchaus in der Lage, unsere Themen einzubringen. Beispielsweise haben wir im SPD-Ortsverein Greifswald vor Kurzem beschlossen, dass wir die Schuldenbremse ablehnen.

Ist es nicht ein Problem, dass bei den Wahlen noch immer vor allem die ältere Generation den Wahlsieger bestimmt?

Das war schon immer ein Problem, ist es jetzt aber umso mehr in einer Zeit, in der über existenzielle Fragen wie Klimawandel entschieden werden muss. Da müssen die jungen Menschen mehr Mitsprache bekommen.

Zum Beispiel, indem man – wie schon bei den Kommunalwahlen – das Wahlalter herabsetzt?

Seit es das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern gibt, besteht diese Forderung der Jusos auch für die Landtagswahlen. Nun endlich sollen bei der voraussichtlich nächsten Landtagswahl im Herbst 2026 auch die 16- und 17-Jährigen zur Wahlurne gehen dürfen. Wir sind der Meinung, dass das so schnell wie möglich auch für die Bundestagswahlen gelten muss.

Wird es irgendwann auch einen SPD-Politiker Jordan Florczak in Mecklenburg-Vorpommern geben, trotz der Gefahr, dass man als Politiker in den sozialen Medien sich mitunter massive Kritik bis hin zur Beleidigung gefallen lassen muss?

Das wird man sehen. Ich habe schon Lust, auf kommunaler Ebene politische Interessen zu vertreten und möglichst durchzusetzen. Was die Verletzbarkeit in den sozialen Netzwerken betrifft, so würde mich das nicht abschrecken. Wenn Grenzen überschritten werden, muss man entsprechend dagegen vorgehen.

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