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Abtreibung

Weniger Schwangerschaftsabbrüche in Vorpommern

Greifswald / Lesedauer: 7 min

Es ist wohl eine der schwersten Entscheidungen für Frauen, sich für oder gegen eine bestehende Schwangerschaft zu entscheiden. Wie ist der Stand in Vorpommern?
Veröffentlicht:02.11.2021, 05:59

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Statistiken sind ja bekanntermaßen wie ein Bikini. Sie zeigen viel – verbergen aber auch Wesentliches. Und so ist dieses es die eine Seite, welche die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) in Wiesbaden in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche in Mecklenburg-Vorpommern zeigen. So wurden im ersten Halbjahr Jahres weniger Schwangerschaftsabbrüche als im gleichen Vorjahreszeitraum registriert. Demnach wurden im Nordosten 1.085 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet und damit etwa 13,6 Prozent weniger als im ersten Halbjahr 2020. Die Gründe hinter den Zahlen sind aber vielfältig und eine Schwangerschaft bringt Fragen, vielleicht auch Sorgen.

„Entscheidung darf niemand anderes für sie treffen”

Doch egal, wie sich die Frauen nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Beratungsgespräch vor einem geplanten Abbruch entscheiden, leicht macht es sich da kaum eine Frau, wie Silke Worschech von der Beratungsstelle des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Anklam weiß. Die Diplompsychologin arbeitet seit rund 20 Jahren in der Schwangerschaftskonfliktberatung. Sie kennt die Sorgen und Nöte der Frauen, die vor der wohl schwersten Entscheidung ihres Lebens stehen – das Kind zu bekommen oder nicht.

„Der Entschluss, ob eine Frau das Kind auf die Welt bringen möchte oder nicht, liegt allein bei ihr. Diese höchstpersönliche Entscheidung kann und darf niemand anderes für sie treffen“, betont sie. Dennoch gehe es in ihrer Arbeit und in der ihrer Kollegin Alin Kölpin darum, Möglichkeiten der Hilfe aufzuzeigen, die die Überlegungen vielleicht doch noch in Richtung Geburt schieben. „Wir behandeln alles vertraulich und unterliegen der Schweigepflicht“, sagt die Psychologin. Auch sei die Beratung kostenfrei. Aber eben auch nicht unumgänglich. Der Bestätigungsschein, den die Frauen nach dem Gespräch bekommen, sei Voraussetzung für einen geplanten Abbruch in einer Klinik.

Corona hat die Lage verschärft

Langfristig geht die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nach den Daten der Statistiker in Mecklenburg-Vorpommern zurück. Im vergangenen Jahr war sie allerdings im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Ob das mit der Corona-Pandemie zusammenhing, konnte das Sozialministerium damals nicht sagen. Silke Worschech hingegen hat nach eigenen Angaben während der Beratung in Corona-Zeiten „Gründe der Frauen zum Abbruch durchaus in der Pandemie gesehen“. Zukunftsängste, Geldsorgen und die Belastungen in der Familie während des Lockdowns zu Hause mit Schule und Stress mit dem Partner, das alles seien Aspekte gewesen, sich gegen ein Kind oder ein weiteres zu entscheiden.

Generell habe sich die Lage der Frauen, die abtreiben, in der Gesellschaft verschärft. „Das Thema ist nach wie vor mit Scham und Verurteilung besetzt. Viele Frauen, gerade in einer kleineren Stadt wie Anklam, lassen den Abbruch in einer Klinik weiter weg machen, um nicht stigmatisiert zu werden“, sagt die Beraterin. Andersherum würden Frauen aus anderen Regionen beispielsweise anrufen und berichten, dass sie demnächst in der Region Urlaub machten und diesen mit einem Beratungstermin verbinden möchten. Nicht unerheblich sei auch die anhaltende Debatte um Abtreibung in Ländern wie Polen und aktuell in den USA.

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Freie Entscheidung der Ärzte

Zudem sei es für die Frauen gar nicht so leicht, eine Klinik zu finden. Seit der großen Debatte um eine Gynäkologin, die im Internet damit warb, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, finde man keine Informationen mehr im Netz. Paragraf 219a Strafgesetzbuch regelt das sogenannte „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche. Seit 2019 dürfen Praxen zwar darüber informieren, dass sie Abtreibungen durchführen – weitere Informationen über das Wie sind aber noch immer verboten. Die möglichen Einrichtungen zum Schwangerschaftsabbruch sind begrenzt. „Wir haben zwar eine kleine Liste, aber das heißt noch lange nicht, dass das immer klappt“, so Silke Worschech. So habe die Klinik in Wolgast zugemacht. Und Ärzte seien zu den Eingriffen nicht verpflichtet. Ihr Auftrag sei es, Leben zu erhalten, zu retten.

An der Universitätsklinik in Greifswald (UMG) etwa werden vorrangig Schwangerschaftsabbrüche aus medizinischen Gründen vorgenommen. „Einige der an der UMG beschäftigten Ärztinnen und Ärzte werden keine Abbrüche vornehmen, wenn diese nicht medizinisch geboten sind. Jede Frau kann in die Poliklinik kommen und sich beraten lassen“, heißt es von dort auf Nachfrage von Christian Arns, Pressesprecher Universitätsmedizin Greifswald. Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen sei „selbstverständlich ein hohes Gut“. Arns verwies aber auch „auf das Recht einer jeden Ärztin und eines jeden Arztes, selbst zu entscheiden, ob sie oder er einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt oder sich an dem Eingriff beteiligt. „Das betrifft auch Anästhesie oder OP-Personal. Und es gibt aber durchaus Ärztinnen und Ärzte an der Unimedizin Greifswald, die dazu bereit sind“, informiert er weiter. Zudem seien Schwangerschaftsabbrüche auch Teil der medizinischen Ausbildung.

Der Kopf sagt ja, der Bauch Nein

„Die Gründe, sich gegen das Austragen eines Kindes zu entscheiden, sind vollkommen unterschiedlich. Man ist der Situation nicht nur zeitlich unter Druck, da der Abbruch ja nur bis zur zwölften Woche erlaubt ist, sondern mitunter kommt auch der Druck aus der Partnerschaft dazu, Sorgen um den Job und so weiter. Für uns ist ganz wichtig, dass die Frauen mit ihrer Entscheidung gut leben können und diese nicht psychische Folgen trägt. Darum ist die Beratung, die viele Wege aufzeigt, wie es weitergehen kann mit Kind, so wichtig“, beschreibt Silke Worschech ihre durchaus emotionale Arbeit, zu der beispielsweise auch Paarberatung gehört.

14 Jahre jung bis knapp 50 Jahre alt seien die Frauen, die bei ihr im Büro Rat und Hilfe suchen. „Vielfach kommen die Männer mit in die Schwangerschaftskonfliktberatung. Das ist auch gut so. Schlimm wird es aber, wenn man zum Beispiel hört, dass der Mann ganz klar gegen das Kind ist und alle faktischen Argumente ja auch zu Hause geklärt wurden. Die Frau aber weiß im Kopf, dass der Mann recht hat, aber ihr Bauch sagt ihr etwas anderes. Das ist wirklich kein gutes Gefühl“, so die Psychologin. Zudem gebe es so gut wie keine Rückmeldung. Man wisse also nicht, ob die Frauen nach der Beratung tatsächlich in die Klinik gegangen sind oder nicht. Es gebe ja auch keine Rechenschaftspflicht.

Flächendeckende Beratung im Kreis

Dennoch: Manchmal sei eine Frau ein weiteres Mal ungewollt schwanger und man erzähle sich von dem früheren Gespräch. „Die meisten Frauen, die ich erlebt habe, sind sich aber sehr sicher, was sie wollen. Dann ist die psychische Belastung gering“, sagt Silke Worschech. An ihrer Arbeit der Pflichtberatung habe sich seit mehr als 30 Jahren gesetzlich nichts geändert. Was zu tun ist, sei im Einigungsvertrag 1990 geregelt. „Dass wir nicht voll finanziert werden, was die Personalkosten betrifft, das ist immer wieder bedrückend, und wir müssen uns immer wieder Partner suchen, die den fehlenden Teil an Personalkosten ausgleichen.“ Flächendeckend sei in Vorpommern-Greifswald aber die Beratung für die Frauen gewährleistet, sei es durch das DRK in Anklam, Ueckermünde, Strasburg und Pasewalk oder die Pro Familia in Wolgast. Auch die Diakonie und die Caritas haben Beratungsstellen.

Deutschlandweit ging die Zahl der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche laut Statistischem Bundesamt (Destatis) im Vergleich zum Halbjahr des Vorjahres um 7,7 Prozent auf 47.589 zurück. Die Statistiker konnten keine eindeutige Ursache benennen.

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