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Eine Supermarkt-Kasse gegen die Einsamkeit

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Normalerweise kann es beim Bezahlen im Supermarkt gar nicht schnell genug gehen. In einigen Läden geht man nun mit extra langsamen Schnack-Kassen einen anderen Weg.
Veröffentlicht:09.02.2023, 16:06

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Noch flink in den Supermarkt, Milch und Brot holen, und dann ab nach Hause. An der Kasse schon eine längere Schlange; und dann lässt sich jemand auch noch ewig Zeit, scherzt mit der Kassiererin, verstaut sorgfältig die Waren und sucht aufreizend lange nach den passenden Cent-Münzen. Der Puls steigt, die Schlange wird und wird nicht kürzer, wertvolle Lebenszeit verrinnt …

Mehr zum Thema: Einsamkeit im Alter – das muss nicht sein

Um das Dilemma zwischen den ganz Eiligen und den gemütlichen Mitmenschen an der Supermarkt-Kasse zumindest etwas aufzulösen, hat die Supermarktkette Jumbo in den Niederlanden eine außergewöhnliche Idee umgesetzt. Neben den normalen Kassen gibt es in 125 der rund 700 Jumbo-Läden auch eine „Kletskassa”, eine „Chat-Kasse”, also Plauder- oder Schnack-Kasse. Sie ist gedacht für Kunden, die es eben nicht besonders eilig haben und sich auch mal in aller Ruhe mit dem Kassierer unterhalten möchten.

Bezahlen ganz ohne Hektik

Der Hintergrund: Auch in den Niederlanden gibt es zunehmend mehr ältere Menschen, die sich oft einsam fühlen. Die Regierung rief eine Initiative gegen Einsamkeit ins Leben, ein Teil davon war eben die „Kletskassa” von Jumbo. Darüber hinaus haben manche Jumbo-Läden auch eine „Chat-Ecke“ eingeführt, in der sich die Anwohner zu einer Tasse Kaffee und einem kleinen Gespräch treffen können.

In diesen Bereichen können sich Kunden ohne Hektik an der Kasse über Rezepte, das Wetter, den neuesten Tratsch oder das große Ganze unterhalten, heißt es seitens Jumbo. Speziell geschulte Mitarbeiter gehen auf die Kunden ein und sollen somit auch etwas für die seelische Gesundheit einsamer Menschen tun. Bis Jahresende sollen 200 derartige Kassen in den Jumbo-Märkten eingeführt sein.

Kleiner Plausch im Supermarkt

Ausgedacht hat sich die Schnack-Kassen Colette Cloosterman-van Eerd, Miteigentümerin der Jumbo-Kette. Die 57-Jährige hatte festgestellt, dass abgesehen von den Lebensmitteln immer mehr Menschen im Supermarkt einfach nur miteinander in Kontakt kommen und auch mal einen Plausch halten wollen.

„Unsere Shops sind für viele Menschen ein wichtiger Treffpunkt und wir wollen einen Beitrag dazu leisten, Einsamkeit zu erkennen und zu reduzieren. Die 'Kletskassas' sind eine kleine Geste, aber sehr wertvoll, gerade in einer Welt, die sich digitalisiert und beschleunigt”, sagt Cloosterman-van Eerd.

Auch in der Schweiz wird getestet

Mittlerweile hat die Idee aber auch schon woanders Nachahmer gefunden. In Frankreich gibt es erste Plauder-Kassen, und auch die Migros-Kette im schweizerischen Basel testet aktuell ein halbes Jahr lang, ob die Kasse bei Kunden gut ankommt. Die Zwischenbilanz fällt positiv aus: Im Schnitt nutzen 12 Kunden pro Stunde das Kommunikations-Angebot.

„Hier nehmen wir uns Zeit für die Kundschaft”, sagte einer der Kassierer dem Portal „20 Minuten”. „Jemand hat über seine Krankheit geredet, das Zuhören ist dann bedeutsam in schwierigen Lebenssituationen.” Geöffnet ist die Spezial-Kasse am Dienstagvormittag und Donnerstagnachmittag jeweils drei Stunden lang, dann ist dort ausreichend Zeit fürs Schwatzen.

Auch bald in Deutschland?

Die Schnack-Kassen sind zwar vorrangig für Senioren gedacht. Nutzen darf sie jedoch jeder, dessen Tag mit ein bisschen Small Talk vielleicht noch besser werden könnte. Gerade seit den Corona-Lockdowns würden vermehrt auch Jüngere zum gemütlichen Einkaufsschnack an die Kassen kommen. Und an die Eiligen ist selbstverständlich ebenfalls gedacht: Normale Kassen und solche zum Selbstscannen gibt es in den Läden weiterhin.

Auch in Deutschland könnte die Idee Schule machen. Christian Böttcher, Pressesprecher des Verbands der deutschen Lebensmittelhändler, sagte dem SWR: „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein Lebensmittelkaufmann, der Teil des sozialen Umfeldes im Ort ist, vielleicht einen Begegnungsort im Supermarkt schaffen möchte.”

„Nettes Marketinginstrument”

In der Marktforschung werden die Schnack-Kassen etwas nüchterner eingeschätzt. Wenn sich durch diese Kassen „ein paar Menschen weniger einsam fühlen, ist das natürlich eine schöne Begleiterscheinung”, sagte Charlotte Linnebank der „Zeit”. Die Mitbegründerin der Amsterdamer Denkfabrik „Stiftung Questionmark”, die sich mit Macht und Einfluss der Supermärkte befasst, sieht aber auch den intensiven Konkurrenzkampf in der Branche.

Denn wie in vielen Ländern hätten sich aber auch in den Niederlanden wenige Einzelhändler den Markt aufgeteilt. Manche setzten nun also auf besonders günstige Preise, und Jumbo eben auf soziale Angebote, um Kunden zu gewinnen. Linnebank: „In erster Linie sind diese Kassen ein nettes Marketinginstrument.”