StartseitePanorama80 Hinweise zu erschossenem CDU-Politiker Lübcke

„Aktenzeichen XY“

80 Hinweise zu erschossenem CDU-Politiker Lübcke

Kassel / Lesedauer: 3 min

Kassels Regierungspräsident Walter Lübcke wurde vor seinem Haus mit einem gezielten Kopfschuss getötet. Durch einen Zeugenaufruf bei „Aktenzeichen XY... ungelöst“ hat die Polizei neue Hinweise erhalten.
Veröffentlicht:07.06.2019, 09:19
Artikel teilen:

Im Fall des erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten hat ein Zeugenaufruf im TV zunächst keinen Durchbruch bei den Ermittlungen gebracht. Nachdem die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“ über den Tod von Walter Lübcke (65) berichtet hatte, seien zwar 80 Hinweise eingegangen. „Eine ganz heiße Spur war aber noch nicht dabei“, sagte Torsten Werner, Sprecher der Sonderkommission (Soko) der Polizei am Donnerstag.

Da in der Tatnacht nur wenige Meter entfernt vom Haus des CDU-Politikers eine Kirmes stattfand, hatten die Ermittler Besucher darum gebeten, Fotos und Videos des Festes an die Polizei zu schicken. Auch nach Zeugen, die einen Schuss gehört hatten, wurde gesucht. Dieses Material werde nun ausgewertet, sagte Andreas Thöne, Sprecher der Staatsanwaltschaft Kassel: „Zum Stand der Ermittlungen gibt es nichts, was wir verlautbaren können.“

Soko „Liemecke“

Laut Staatsanwaltschaft war am Mittwoch erneut der Tatort in dem 900-Einwohner-Dorf Wolfhagen-Istha bei Kassel nach Spuren abgesucht worden. Zudem wurde die Soko „Liemecke“ von etwa 20 auf rund 50 Beamte verstärkt. Es sei üblich, dass solch eine Einheit im Laufe der Ermittlungen aufgestockt werde, sagte Polizeisprecher Werner.

Lübcke war in der Nacht zum Sonntag gegen 0.30 Uhr auf der Terrasse seines Wohnhauses mit einer Schussverletzung am Kopf entdeckt worden. Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Die Obduktion ergab, dass der Politiker mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe getötet worden war. Das Motiv ist unklar.

Ehrenwache zu Gottesdienst geplant

Die Trauerfeier für den Regierungspräsidenten wird am 13. Juni in Kassel stattfinden. In der Martinskirche werde es einen Trauergottesdienst mit „protokollarischen Ehrenbekundungen“ geben, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin in Hessen, Elke Cezanne.

Bei dem Trauergottesdienst werden Polizei und Bundeswehr eine Ehrenwache am Sarg halten. Zudem werde der Sarg mit der Hessen-Fahne bedeckt. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin Hein, werden sprechen.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat Lübckes gewaltsamen Tod zum Anlass genommen, um europäische Regelungen gegen Hassbotschaften im Internet zu verlangen. Entsprechende Forderungen des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) „begrüße und unterstütze ich sehr“, sagte Klein.

Hämische Kommentare in sozialen Netzwerken

Die Tötung Lübckes hatte teils hämische Kommentare in den sozialen Netzwerken ausgelöst. Anlass dafür könnte der Einsatz des Regierungspräsidenten für Flüchtlinge im Jahr 2015 gewesen sein. „Diese Reaktionen im Netz sind menschenverachtend und bedienen niederste Instinkte“, sagte Bouffier dem „Spiegel“. „Wir müssen dafür sorgen, dass diese Kommentare schneller gelöscht werden.“ Bouffier sieht hier die Plattformbetreiber in der Pflicht.

In einem Facebook-Beitrag eines AfD-Kreisverbandes aus Schleswig-Holstein hieß es zu Lübckes Tod etwa: „„Mord???? Er wollte nicht mit dem Fallschirm springen...“ – offenbar ein Verweis auf den Suizid des FDP-Politikers Jürgen Möllemann im Jahr 2003.

Der Antisemitismusbeauftragte Klein betonte: „Ebenso wie bei der Äußerung von antisemitischen Inhalten hat sich hier eine Verrohung gezeigt, die wir so nicht hinnehmen sollten. Es ist an der Zeit, dass wir auch auf europäischer Ebene die Verbreitung von Hass nicht dulden und dafür sorgen sollten, dass die Regeln, die in der realen Welt gelten, auch im Internet und in den sozialen Medien angewendet werden.“

Walter Lübcke war zehn Jahre als Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel tätig. Das Präsidium mit etwa 1200 Mitarbeitern kann als Schaltstelle zwischen Ministerien, Kommunen und Landratsämtern verstanden werden.