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„Terror auf der Straße”

Mordprozess zu illegalem Autorennen in Berlin startet neu

Berlin / Lesedauer: 4 min

Es war eine spektakuläre Entscheidung: Zwei Raser werden nach einem illegalen Autorennen in Berlin wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Nun wird der Fall erneut aufgerollt.
Veröffentlicht:13.08.2018, 10:28
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Topa läuft fröhlich unter Tischen und Bänken umher. Die fünfjährige Hunde-Dame mit hellem Zottelfell und kurzen Beinen ist zur Begleiterin von Maximilian Warshitsky geworden. „Sie gehörte meinem Vater”, sagt er bei einem Treffen in einem Berliner Café und schluckt. „Jetzt kümmere ich mich um sie.”

Autorennen auf dem Kurfürstendamm

Seit der Nacht zum 1. Februar 2016 ist für den 37-Jährigen nichts mehr, wie es war. Zwei Männer lieferten sich damals in der Hauptstadt ein illegales Autorennen auf dem Kurfürstendamm nahe dem KaDeWe. Sie rasten mit bis zu 170 Kilometern pro Stunde über elf Kreuzungen, missachteten mehrere rote Ampeln. Schließlich rammten sie den Wagen von Warshitskys Vater – der 69-jährige Rentner starb noch an der Unfallstelle.

Für den Sohn war es nur konsequent, dass das Berliner Landgericht die beiden Raser zu lebenslangen Haftstrafen verurteilte. Erstmals sprach im Februar 2017 ein deutsches Gericht ein Mordurteil in einem Raser-Fall. Doch die spektakuläre Entscheidung hatte nicht lange Bestand: Der Bundesgerichtshof (BGH) kippte sie im März 2018.

Jetzt wird der Prozess in Berlin neu aufgerollt. Und Warshitsky ist wieder Nebenkläger. Für ihn sei der Gang ins Gericht hart, sagt er. Der Prozess werde alle Details in Erinnerung rufen. Die beiden Angeklagten wiedersehen zu müssen, sei kaum erträglich. An Arbeit oder andere Beschäftigungen könne er derzeit nicht denken. „Ich kriege den Kopf momentan gar nicht frei.”

Neue Beweisaufnahme

Von diesem Dienstag an müssen sich nun die inzwischen 29 und 26 Jahre alten Männer erneut vor dem Landgericht wegen Mordes verantworten. Ihr Fall wird von einer anderen Schwurgerichtskammer verhandelt. Zunächst wurden 19 Termine festgelegt.

Die Richter am BGH hatten nicht die von vielen erwartete „rote Linie” gegen Raser vorgegeben. „Maßgeblich sind jeweils die Umstände des Einzelfalls”, hieß es dort. In dem Berliner Fall sah Karlsruhe den bedingten Tötungsvorsatz als nicht ausreichend belegt an. Angeordnet wurden eine neue Beweisaufnahme und rechtliche Bewertung.

Die beiden Männer sitzen nach wie vor in Untersuchungshaft. Ihre Führerscheine wurden eingezogen. Bei dem Zusammenprall waren sie kaum verletzt worden.

Jeep mehr als 70 Meter weit geschleudert

Laut erstem Urteil gab es einen „bedingten Vorsatz”, die Fahrer hätten den Tod anderer billigend in Kauf genommen. Der BGH hingegen meinte, der Vorsatz sei zu einem Zeitpunkt unterstellt worden, zu dem die Angeklagten keine Möglichkeit mehr hatten, den Unfall zu verhindern – nämlich in der Kurve vor der Kreuzung, wo einer der beiden in den Geländewagen des 69-Jährigen raste. Der Jeep wurde mehr als 70 Meter weit geschleudert.

Kann in einer neuen Verhandlung der Tötungsvorsatz nicht nachgewiesen werden, kommt eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung in Betracht – der Strafrahmen reicht von Geldstrafe bis zu fünf Jahren Haft.

Paragraf 315d nicht rückwirkend anwendbar

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte sich nach der BGH-Entscheidung enttäuscht gezeigt. Lebenslange Haft wäre, so die GdP, ein unmissverständliches Signal für rücksichtlose Raser gewesen.

Doch seit vergangenem Oktober können Teilnehmer an illegalen Autorennen härter bestraft werden. Im Strafgesetzbuch gibt es seitdem den Paragrafen 315d. Wird durch ein „verbotenes Kraftfahrzeugrennen” der Tod eines anderen Menschen verursacht, können bis zu zehn Jahre Haft verhängt werden. Rückwirkend kann die neue Regelung auf den Berliner Raser-Fall aber nicht angewandt werden.

Für Warshitsky ist schon vor dem neuen Prozess klar: „Es war ein Mord.” Es sei bewusst in Kauf genommen worden, dass etwas passieren könne. Nicht jeder halte sich immer an Geschwindigkeitsbegrenzungen. Aber mit dem Dreieinhalbfachen der erlaubten Geschwindigkeit unterwegs zu sein, sei eine völlig andere Dimension. „Es ist ein Terror auf der Straße. Das Fahrzeug wird zur Tatwaffe.”

Kein Geständnis, keine Entschuldigung

Am meisten schmerzt Warshitsky, dass die beiden Angeklagten nicht gestanden haben. Im Prozess hätten sie nur versucht, sich selbst zu retten, meint er. Auch eine Entschuldigung habe es nicht gegeben. „Einfach mal Respekt erweisen – das war nie der Fall.”

Eine Verkehrspsychologin hatte einen der Männer als Autofahrer beschrieben, der „massiv selbstüberschätzend” unterwegs gewesen sei. Es sei ihm bei dem Rennen darum gegangen, „zu gewinnen und dadurch sein Ego aufzuwerten”. Er habe kein Bewusstsein für seine Schuld.

Der Sohn will weiter auf das Schicksal seines Vaters aufmerksam machen. Denn die Gefahren illegaler Autorennen seien enorm. „Es betrifft ja nicht nur meine Familie und mich, es betrifft jeden da draußen.” Der Sohn hat sich vorgenommen, an jedem Verhandlungstag ins Gericht zu kommen.