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NSU-Prozess

Verteidiger fordern sofortige Freilassung Zschäpes

München / Lesedauer: 4 min

Maximal zehn Jahre Haft hatten Beate Zschäpes Vertrauensanwälte im NSU-Prozess gefordert. Nun war das zweite Verteidiger-Team mit seinem Plädoyer an der Reihe.
Veröffentlicht:05.06.2018, 15:29
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Drei Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe fordern einen fast vollständigen Freispruch und die sofortige Freilassung der mutmaßlichen Rechtsterroristin. „Frau Zschäpe ist keine Terroristin, sie ist keine Mörderin und keine Attentäterin”, sagte Rechtsanwalt Wolfgang Heer am Dienstag in seinem Plädoyer im Münchner NSU-Prozess.

Von den zehn Morden, den Bombenanschlägen und Raubüberfällen, die dem „Nationalsozialistischen Untergrund” vorgeworfen werden, sollte die 43-Jährige demnach ebenso freigesprochen werden wie vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Zu verurteilen sei sie lediglich wegen einfacher Brandstiftung, sagte Heer – Zschäpe hat zugegeben, die letzte Fluchtwohnung in Brand gesteckt zu haben.

Mit Verteidigern überworfen

Heer gehört mit Wolfgang Stahl und Anja Sturm zu den drei Anwälten, die Zschäpe schon seit Prozessbeginn im Mai 2013 vor dem Oberlandesgericht München vertreten. Mit diesen dreien hat sich Zschäpe aber schon vor längerem überworfen; sie wird seither zusätzlich von einem zweiten Verteidiger-Team vertreten, Mathias Grasel und Hermann Borchert. Diese hatten in ihrem Plädoyer eine maximal zehnjährige Haftstrafe gefordert, wegen besonders schwerer Brandstiftung und Beihilfe zu Raubüberfällen.

Die Bundesanwaltschaft hatte für Zschäpe lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung gefordert. Nach Überzeugung der Anklage war Zschäpe eines von drei gleichberechtigten Mitgliedern der Terrorzelle NSU und sollte deshalb als Mittäterin an sämtlichen Verbrechen der Gruppe bestraft werden. Dazu zählen zehn Morde, neun davon aus rassistischen Motiven, einer an einer deutschen Polizistin.

„Sie hat keine Waffen beschafft.”

Heer wies dies zurück und konterte: „Sie hat keine Waffen beschafft. Sie hat an den Taten insgesamt nicht mitgewirkt. Sie war noch nicht einmal in der Nähe auch nur eines Tatortes und hat die Straftaten von Mundlos und Böhnhardt auch nicht „vom Küchentisch aus” gesteuert.”

Zu der „monströsen” Anklage sagte er: „Alltägliche Handlungen dürfen nicht mit dem Krümmen des Zeigefingers am Abzug einer Schusswaffe und auch nicht mit der Zündung einer Bombe gleichgesetzt werden.” Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die die Morde und Anschläge begangen haben sollen, hatten sich nach ihrem Auffliegen 2011 selbst erschossen.

Sofortige Entlassung gefordert

Die Brandlegung in der Fluchtwohnung in Zwickau sei „alles, was von der Anklage des Generalbundesanwalts übrig bleibt”, sagte Heer. Eine konkrete Strafmaß-Forderung dafür nannte er nicht. Er argumentierte aber, die maximal mögliche Strafe sei mit der mehr als sechsjährigen Untersuchungshaft abgegolten. „Daher ist die sofortige Haftentlassung geboten.” Anzeichen dafür, dass das Oberlandesgericht darüber bereits vor dem anstehenden Urteil entscheiden könnte, gab es zunächst nicht.

Heer beklagte schon zu Beginn des Plädoyers der drei Anwälte, das mehrere Tage dauern soll, Zschäpe habe „keinen fairen Prozess erfahren”. Nicht nur Generalbundesanwalt und Bundeskriminalamt, auch das Gericht selbst habe „gravierende Verfahrensverstöße begangen”.

Diese hätten bereits mit den ersten Polizeikontakten Zschäpes begonnen und sich durch das gesamte Ermittlungsverfahren und den Prozess selbst gezogen. Unmittelbar nach ihrer Festnahme habe ein Beamter Zschäpe in ein halbstündiges „lockeres Gespräch” verwickelt und behauptet, es gehe ihm nicht um verfahrensrelevante Themen. Gleichwohl habe er Aussagen Zschäpes über deren Familiensituation, über ihre Flucht und die Konspiration im Untergrund protokolliert.

Verteidigung beklagt Vorverurteilung Zschäpes

Ebenso habe sich später ein Beamter des Bundeskriminalamtes verhalten, der Zschäpe auf einem Transport begleitete. Das Verhalten der Polizisten sei durchweg rechtswidrig gewesen, kritisierte Heer und warf dem BKA „planvolle und systematische Rechtsverstöße” vor.

Zugleich beklagte er eine Vorverurteilung Zschäpes und attackierte dabei auch den früheren Generalbundesanwalt Harald Range und BKA-Chef Jörg Zierke: Beide hätten Zschäpe bereits früh als Mitglied einer „Mörderbande” oder des „Zwickauer Mördertrios” bezeichnet.

Auch den OLG-Senat deckte Heer mit scharfer Kritik ein: Als Zschäpe mit ihren drei Anfangsverteidigern brach, habe das Gericht hinter dem Rücken der Anwälte mit anderen Juristen verhandelt. Dass Zschäpe eine Aussage plane, hätten die Anwälte aus Medien erfahren.

Urteil in absehbarer Zeit?

Heer griff auch Zschäpes Vertrauensanwälte an, die ihrer Mandantin zu einer schriftlichen Einlassung geraten hatten. Beide seien „de facto zu einer ordnungsgemäßen Beratung nicht in der Lage” gewesen. Zschäpe aber habe auf den Rat ihrer neuen Verteidiger gebaut und sei selbst nicht imstande gewesen, „Risiken bei der Abfassung der Erklärung durch Rechtsanwalt Borchert zu überblicken”. Der Senat werde sich deshalb nur begrenzt auf Zschäpes Erklärungen stützen können.

Zuletzt hatten im NSU-Prozess die Verteidiger der vier Mitangeklagten Zschäpes plädiert. Heer, Stahl und Sturm beenden nun die Reihe der Schlussvorträge, die Ende Juli 2017 mit dem Plädoyer der Anklage begonnen hatte. Damit könnte in absehbarer Zeit ein Urteil kommen – wenn es nicht, wie schon so oft, neue Verzögerungen gibt.