StartseiteRegionalBrandenburgBillige Fahrkarten lösen keine Probleme in der Infrastruktur

9-Euro-Ticket

Billige Fahrkarten lösen keine Probleme in der Infrastruktur

Potsdam / Lesedauer: 5 min

Das 9-Euro-Ticket ist für den Brandenburger Landtagsabgeordneten Clemens Rostock (Die Grünen) ein Erfolg. Doch zukünftig hält er ein anderes Preis-Modell für realistischer.
Veröffentlicht:09.06.2022, 13:14

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Herr Rostock, die Züge in Brandenburg sind so voll wie nie. In der Bahn herrscht Chaos. Ist das 9-Euro-Ticket ein Erfolg oder ein Misserfolg?

Im Großen und Ganzen, glaube ich, ist es ein Erfolg. Man darf nicht vergessen, dass es nicht primär verkehrspolitisch motiviert war, sondern als ein Entlastungspaket für die Pendler gedacht war. Denn es ist ja so, dass vor allem Menschen mit geringerem Einkommen überproportional oft den ÖPNV nutzen.

Aber im Moment nutzen längst nicht nur Pendler die Züge...

Man sieht, dass man mit einem guten Tarifangebot, was auch die Grenzen von Verkehrsverbünden überschreitet, Menschen in den ÖPNV locken kann. Das bisherige System mit Tarifwaben und Tarifgrenzen schreckt eben viele auch ab.

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Heißt das, dass das 9-Euro-Ticket nach dem Ende der drei Monate bleiben muss? Oder ein ein vergleichbar günstiges Ticket für deutschlandweite Fahrten kommen sollte?

Wir Grüne streiten seit Langem für einen Deutschland-Tarif: Wir wollen ein verständliches, einheitliches Tarifsystem für das ganze Land, bei dem keine regionalen Grenzen mehr bestehen. Was das 9-Euro-Ticket betrifft, muss man schon sagen, dass das ein überaus günstiges und damit für die öffentlichen Haushalte sehr teures Angebot ist. Grundsätzlich brauchen wir aber so ein Angebot auch künftig: Ein Produkt, das möglichst viele Menschen in Busse und Bahnen lockt. Das viel diskutierte 365-Euro-Jahresticket ist preislich schon realistischer.

Und wo sollen die dann alle hin? Wenn man sich den Brandenburger Nahverkehr anguckt, sind die Regionalzüge auf manchen Strecken im Moment hoffnungslos überfüllt...

Auf Landesebene sind wir dabei, den Schalter umzulegen, nachdem jahrzehntelang Züge abbestellt und Linien stillgelegt wurden. Zum Fahrplan-Wechsel Ende des Jahres werden wir zum Beispiel sechs Millionen Zugkilometer mehr bestellen. Darüber hinaus investieren wir in die Infrastruktur: mit den i2030-Projekten und den darüber hinaus gehenden Reaktivierungs-Projekten.

Ist das die Konsequenz aus dem Erfolg des 9-Euro-Tickets?

Das Ticket zeigt uns auf jeden Fall nochmal die Schwachstellen unseres Systems auf, auch wenn diese im Grunde schon vorher bekannt waren. Zumal wir noch etwas anderes erleben: Viele Menschen können das 9-Euro-Ticket derzeit kaum nutzen, weil bei ihnen im Dorf keine Busse fahren, und der nächste Bahnhof viele Kilometer weit entfernt ist.

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Was wollen Sie da machen?

Im Grunde wollen wir ein hierarchisches System schaffen: Die Bahnlinien sind das Rückgrat des Öffentlichen Verkehrs. In den Räumen dazwischen, wo es keine Schienen gibt, sollen stündlich fahrende Busse die Region erschließen und an die Bahnlinien anschließen. Und da, wo sich ein regelmäßig verkehrender Bus nicht mehr lohnt, sollen Rufbusse die Menschen je nach Bedarf zu ihrem Ziel bringen. So wollen wir eine Mobilitätsgarantie erreichen.

Verkehrsminister Guido Beermann (CDU) plant allerdings nicht nur einen Ausbau des Nahverkehrs. Er will auch Strecken stilllegen.

Das ist leider so. Aber als Grüne werden wir das verhindern: Da werden wir kämpfen.

Das heißt, Sie halten einen Weiterbetrieb der RB 63 zwischen Eberswalde und Templin und der Regionalbahnen 73 und 74 zwischen Kyritz, Pritzwalk und Meyenburg für denkbar?

Bei der RB 63 ist es kompliziert: Denn der Probebetrieb ist suboptimal organisiert. Im Moment gibt es unter anderem Langsamfahrstellen und schlechte Anschlüsse. Das ist schlicht nicht attraktiv. Eine unendliche Fortführung eines schlechten Probebetriebs ist auch nicht die Lösung. Wir brauchen hier eine Perspektive mit guten Anschlüssen und einem ordentlichen Takt, also stündlichen Verkehren. Auch hier ist die Lösung tatsächlich, dass man investiert. Im Reaktivierungsgutachten hat die Strecke schließlich gut abgeschnitten.

Und was soll nun passieren, wenn im Dezember der Probebetrieb ausläuft?

Das ist die Frage, über die wir in der Koalition auf jeden Fall noch diskutieren werden. Wir Grünen sind jedenfalls bekannt dafür, den Schienenverkehr ausbauen und nicht stilllegen zu wollen. In der Prignitz verstehen wir die Situation im Übrigen noch weniger: Hier werden ohne Not Lücken in das bestehende Netz gerissen. Und gleichzeitig entsteht ein Konflikt zwischen dem Berliner Umland, wo massiv ausgebaut wird, und den ländlichen Räumen, die abgehängt werden. Das geht so nicht – schließlich sind die Nebenstrecken im ländlichen Raum wichtige Zubringer, um die Menschen ins Netz zu bringen.

Ein Thema, für das die Grünen auch massiv kämpfen, sind die Radschnellwege. Da sollte es doch eigentlich ein Gutachten des Ministeriums geben...

In der Tat. Ursprünglich sollte das Ende 2020 schon vorliegen. Wir wissen, dass es inzwischen im Ministerium vorliegt und verstehen nicht, warum das Ministerium es noch nicht veröffentlicht. Zumal die Kommunen zum Beispiel rund um den BER oder in der Region Kleinmachnow, Stahnsdorf, Teltow darauf warten,um ihre lokalen Überlegungen daran ausrichten zu können.

Was sagt das über die Zusammenarbeit mit dem Ministerium, wenn Verkehrspolitiker der Koalitionspartner so behandelt werden?

In einer Koalition gibt es mehrere Ebenen: Mit den verkehrspolitischen Sprechern der anderen Fraktionen, also Nicole Walter-Mundt und Sebastian Rüter, arbeite ich meist gut und vertrauensvoll zusammen. Dass es zwischen dem Parlament und dem Ministerium auch mal unterschiedliche Ansichten gibt, ist im politischen Betrieb normal – aber grundsätzlich kann jede Zusammenarbeit noch besser werden.