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Proteste

Energie-Preise, Inflation, Corona – Verfassungsschützer warnt vor „Wutwinter“

Potsdam / Lesedauer: 4 min

Verfassungsschützer und Innenpolitiker befürchten, dass Extremisten steigende Preise und Energiekrise zur Stimmungsmache nutzen. Wird vor allem Ostdeutschland Proteste erleben?
Veröffentlicht:07.08.2022, 17:18
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Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller warnt, dass Extremisten die Energiekrise und die hohe Inflation für ihre Zwecke ausnutzen könnten. „Extremisten träumen von einem deutschen Wutwinter“, sagte er der „Welt am Sonntag“. „Sie hoffen, dass Energiekrise und Preissteigerungen die Menschen besonders hart treffen, um die Stimmung aufzugreifen und Werbung für ihre staatsfeindlichen Bestrebungen zu machen. Wir verfolgen dieses Treiben mit wachsamen Augen und offenen Ohren.“

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Extremisten stehen in den Startlöchern

Auch brandenburgische Politiker und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) äußerten Sorge vor einer Stimmungsmache. „Ich rechne mit einer großen Protestwelle im Herbst“, sagte die innenpolitische Sprecherin der SPD im brandenburgischen Landtag, Inka Gossmann-Reetz. „Die Extremisten stehen in den Startlöchern und werden gezielt jede Krise nutzen.“

Auch der brandenburgische CDU-Landtagsfraktionschef Jan Redmann sagte, die Einschätzungen des Verfassungsschützers Müller müssten ernst genommen werden. Eine große Mehrheit in der Gesellschaft wolle sich aber nicht von Putin am Nasenring durch die Manege führen lassen, sagte Redmann. „Gerade uns Ostdeutschen muss niemand erklären, dass die Freiheit niemals kostenlos zu haben ist. Ich bin mir sicher, dass wir im Herbst eine Gesellschaft erleben werden, die genau aus diesem Grund in der Krise Energie sparen wird.“

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Suche nach Sündenböcken für die Krise

Im Juli hatte der brandenburgische Verfassungsschutzchef Müller dem „Spiegel“ zudem gesagt, es sei auch klar, „dass die meisten Menschen, die sich um die nächste Nebenkostenabrechnung sorgen, keine Extremisten und kein Fall für den Verfassungsschutz sind“.

Nach Ansicht von SPD-Fraktionsvize Gossmann-Reetz sind es viele Menschen nicht mehr gewohnt, „dass es gute Zeiten, schlechte Zeiten gibt“. In einer Krise beginne die Suche nach Sündenböcken. Zugleich rechne sie damit, dass Extremisten im parlamentarischen Raum versuchen werden, vermeintlich konstruktiv und als demokratiefördernd aufzutreten.

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Geht die Krise zu Lasten des Ostens?

Aus Sicht des CDU-Politikers Redmann können die Belastungen für die Bürger und die drohende Energiekrise „eine besondere emotionale Dimension“ gerade in Ostdeutschland mit sich bringen. „Bei vielen Menschen im Osten gibt es das Gespür, dass krisenhafte Situationen immer strukturell zu Lasten des Ostens gehen. Das kann ich gut verstehen. In den letzten 30 Jahren nach der Wende ist vieles mühsam aufgebaut worden. Das hat viel Kraft gekostet. Viele Enttäuschungen sitzen noch tief.“ Aus diesem Grund trage die Politik hier eine besondere Verantwortung, meinte Redmann.

Die SPD-Politikerin Gossmann-Reetz sagte, im Osten werde der Wert der Demokratie stärker an sozialen Leistungen gemessen. Die Absicherung durch den Staat habe einen höheren Stellenwert als im Westen, so dass der Staat in Krisenzeiten auch eher infrage gestellt werde. „Dann werden politisch Verantwortliche schneller als Sündenböcke angesehen.“

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Ostdeutsche skeptisch bei Sanktionen gegen Russland

Eine Mehrheit der Bundesbürger trägt die Sanktionen gegen Russland laut einer Befragung aus dem Juli mit. Im Osten Deutschlands überwog jedoch mit 51 Prozent die Ablehnung, wenn die Sanktionen Energieprobleme und einen Rückgang der Wirtschaftsleistung zur Folge haben. Im Westen ist eine Mehrheit von 63 Prozent für die Sanktionen, unabhängig der genannten negativen Folgen, wie die Befragung von Infratest dimap im Auftrag des ARD-Morgenmagazins ergeben hatte.

Bundesinnenministerin Faeser sagte der „Welt am Sonntag“: „Demokratiefeinde warten nur darauf, Krisen zu missbrauchen, um Untergangsfantasien, Angst und Verunsicherung zu verbreiten.“ Derzeit suchten solche Kreise nach neuen Themen mit Mobilisierungspotenzial. Angesichts wachsender Krisenstimmung infolge von Corona, Krieg und Energiepreisen hatte sich auch der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, besorgt geäußert.