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Sechs Tote

Impf-Katastrophe in Berliner Pflegeheim?

Berlin / Lesedauer: 5 min

Nach einer Impfaktion gegen das Coronavirus sollen in einem Berliner Pflegeheim acht Senioren verstorben sein. Die Einrichtung räumt sechs Todesfälle ein, nennt aber andere Gründe.
Veröffentlicht:17.02.2021, 18:14

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Ein anonymes Interview mit einer Person, die in einem Pflegeheim in Berlin-Spandau arbeiten soll, geistert seit Tagen durchs Netz – und wirft Fragen auf. Die vermeintliche Pflegekraft schildert verheerende Folgen einer Impfaktion am 3. Januar 2021. Es wird behauptet, dass im Pflegeheim der Agaplesion Residenz Havelgarten nach der ersten Impfung gegen Covid-19 innerhalb von vier Wochen 8 von 31 an Demenz erkrankte Senioren verstorben seien.

Es starben tatsächlich Bewohner

Der Nordkurier fragte bereits am Montag in der Einrichtung nach, ob etwas was an den Gerüchten dran ist. Die Antwort erfolgte zwei Tage später: Ja, es habe Todesfälle innerhalb von vier Wochen nach der Impfung mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer gegeben. Sechs von 32 geimpften Senioren der Wohngruppe für Menschen mit Demenz seien tatsächlich verstorben – denn auf der Station habe es unmittelbar nach der Impfaktion einen Corona-Ausbruch gegeben.

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Unternehmenssprecher Andreas Wolff teilte dem Nordkurier am Mittwoch mit, dass es nach der Impfaktion am 3. Januar bei Bewohnern zu Symptomen gekommen sei, deshalb habe man an den Tagen darauf mehrere Testungen (am 04., am 05. und am 09. Januar) durchgeführt. Wolff wörtlich: „Von den insgesamt 13 positiv getesteten Bewohnerinnen und Bewohnern sind leider im Laufe des Januars 2021 sechs Bewohnerinnen und Bewohner verstorben, sieben weitere dagegen genesen.”

Verstörende Schilderungen

In dem kursierenden Video hatte der angebliche Insider eindringlich von der rapiden Verschlechterung des Gesundheitszustands der an Demenz erkrankten alten Menschen nach der Impfung berichtet. Die Person will auch dabei gewesen sein, als Senioren im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gestorben seien. Das Sterben sei „unmenschlich” und anders als im normalen Alltag einer Senioreneinrichtung gewesen, berichtet der angebliche Agaplesion-Mitarbeiter mit verfremdeter Stimme. Die alten Menschen, heißt es, hätten schwer geatmet, stark gezittert, seien innerlich wie weggetreten gewesen.

Interview und dazugehöriger Artikel wurden auf einer einschlägigen Newsseite veröffentlicht. Der angebliche Augenzeuge wurde dort über 45 Minuten von den Rechtsanwälten Rainer Füllmich und Viviane Fischer, zwei bekannten Juristen der Querdenker-Szene, befragt. Die Berichte wurden von mehreren Zehntausend Menschen gelesen.

Es bleiben Fragen – Betreiber schweigt

Dass der Vorfall bislang nur bei vermeintlich fragwürdigen Medien ein Thema war, ist für die Pflegeeinrichtung (Trägerin ist die Diakonie) ein legitimer Grund, weitere Nachfragen seriöser Medien zu dem Thema unbeantwortet zu lassen. Zwar erhielt der Nordkurier nach zwei Tagen eine lange Stellungnahme (am Ende dieses Artikels in voller Länge nachzulesen) – doch wichtige Fragen blieben offen: So bestätigte die Einrichtung etwa nur sechs Todesfälle. Wie konnte es überhaupt zu dem Corona-Ausbruch wenige Stunden nach der Impfung kommen? Und wie erklärt sich das Heim die Vorwürfe, kennt es womöglich sogar deren Urheber?

Antwort auf all diese Fragen seitens des Pressesprechers: „Wir haben Ihnen sehr ausführliche Antworten zukommen lassen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir dem nichts mehr hinzuzufügen haben. Vielmehr möchte ich gerne auf die Quelle des Berichts 2020news.de hinweisen, deren Inhalte alles andere als seriös sind.”

Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen

Die Schilderungen des vermeintlichen Insiders und die Recherchen der Querdenken-Aktivisten sind aber offenbar nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Zumindest werden in der Stellungnahme des Unternehmens nicht nur sechs Todesfälle, sondern auch weitere Behauptungen des Interviewten bestätigt. Unter anderem berichtet die Person, dass bei der Impfaktion Bundeswehrsoldaten anwesend gewesen seien. Die Senioren hätten darauf eingeschüchtert reagiert, heißt es.

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Das Unternehmen dazu: „Bei der Impfung am 03.01.2021 war ein Bundeswehrsoldat bekleidet mit einem Einwegkittel auf dem Wohnbereich anwesend.” Dieser habe keinen direkten Kontakt zu den Bewohnern gehabt, sondern den Impfarzt bei der Dokumentation unterstützt. In der Stellungnahme heißt es dazu an anderer Stelle widersprüchlich: „Falsch ist ferner, dass während der beiden Impfungen [im Bezug auf die Folgeimpfung] Bundeswehrsoldaten anwesend waren. Richtig ist, dass grundsätzlich zu jedem mobilen Impfteam immer Bundeswehrsoldaten dazugehören.”

Auch die Behauptung, die ersten Corona-Symptome seien bei Bewohnern der Demenz-Station unmittelbar nach der Impfung aufgetreten, wird in der Mitteilung der Einrichtung bestätigt. Die ersten Tests auf Covid-19 habe es „aufgrund von auftretenden Symptomen einer möglichen Corona-Infektion” bereits am Folgetag gegeben. Das Unternehmen weist auch daraufhin, dass alle am 03.01.20 geimpften Senioren bei Routinetests am 27. und 29.12.20 noch negativ waren.

„Topfit” und ohne Vorerkrankungen

Im Gespräch mit den Querdenken-Aktivisten hatte die interviewte Person versichert, dass die Verstorbenen vor der Impfung in einem ihrem hohen Alter entsprechend guten körperlichen Zustand gewesen seien. Sie nannte auch Details: Ein Verstorbener sei beispielsweise ehemaliger Opernsänger gewesen, habe am Tag vor der Impfung noch Klavier gespielt und regelmäßig Sport getrieben.

Der erste Todesfall soll bereits sechs Tage nach der Impfung eingetreten sein, fünf weitere Senioren seien zirka 14 Tage danach, zwei weitere innerhalb von vier Wochen, verstorben. Erste Krankheitssymptome hätten sich bei vier Geimpften – wie vom Heim bestätigt – sehr bald nach der Impfung gezeigt.

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Unter anderem sei es zu Fieber, Ödemen und Schnappatmung gekommen – zudem sei eine unzureichende Sauerstoffsättigung im Blut festgestellt worden, behauptet die angebliche Pflegekraft. Teilweise seien die Senioren am Abend der Impfaktion lethargisch und nicht mehr ansprechbar gewesen, obwohl sie vor der Impfung noch altersentsprechend „topfit“ gewesen seien und keine schweren Vorerkrankungen aufgewiesen hätten.

Wurden demenzkranke Senioren festgehalten?

Im Statement des Agaplesion-Heimes heißt es dazu: „Richtig ist, dass Bewohnerinnen und Bewohner leichte Symptome von Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schmerzen an der Einstichstelle aufwiesen.” Hierbei handele es sich um typische Impfreaktionen. Zur Behauptung, Senioren seien beim Impfen festgehalten worden: „Falsch ist, dass körperliche Gewalt in Form von Festhalten oder Nötigung stattfand.” Ein achtsamer Umgang mit den Bewohnern sei in der Einrichtung selbstverständlich.