StartseiteRegionalBrandenburgNonnemacher schießt in Wutrede gegen „Corona-Leugnerei” der AfD

„Wenn ein Patient am Ersticken ist”

Nonnemacher schießt in Wutrede gegen „Corona-Leugnerei” der AfD

Potsdam / Lesedauer: 4 min

Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher hat in einer Wutrede im Landtag über die dramatische Situation in den Kliniken des Landes gesprochen und der AfD „Corona-Leugnerei” vorgeworfen.
Veröffentlicht:18.12.2020, 10:45

Artikel teilen:

Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) hat im Potsdamer Landtag eine Wutrede zur aktuellen Corona-Lage im Land gehalten und wird dafür nun im Netz gefeiert. „Sie haben einfach keine Ahnung!”, sagte sie zu Abgeordneten der AfD-Fraktion während einer Debatte am Donnerstag.

Besonders die Krankenhäuser im Süden Brandenburgs haben derzeit mit besonders vielen Corona-Fällen zu kämpfen. Am Freitag sollen 50 Covid-19-Patienten aus Brandenburg nach Berlin verlegt werden, unter anderem in das Notkrankenhaus auf dem Messegelände.

Gefahr nicht relativieren

Angesichts dieser Lage warnte Nonnemacher davor, die Gefahr, die von dem Virus ausgehe, zu relativieren. „Hören Sie doch mal auf mit dieser Corona-Leugnerei! Ich kann es wirklich nicht mehr ertragen”, sagte sie zur Abgeordneten Sabine Barthel (AfD), die vorher gesprochen hatte. Sie rief die Parlamentarier auf, sich selbst ein Bild von der Lage zu machen und mit den Landräten, Klinikdirektoren, Ärzten und Schwestern im Süden des Landes zu reden. „Dann wüssten Sie vielleicht mal, was hier los ist!” Schließlich würden einige Kreise kurz davor stehen, den Katastrophenfall auszurufen.

Hier ist die komplette Rede aus dem Rundfunkarchiv des rbb.

Bitte akzeptieren Sie die Marketing-Cookies um diesen Inhalt darzustellen.

Nonnemacher griff den AfD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Hans-Christoph Berndt scharf an. Sie warf ihm vor, keine Ahnung von der Lage zu haben, auch wenn er Zahnarzt sei. „Sie bleiben Zahnarzt und Rechtsextremist!” Und weiter: „Sie haben nie klinisch gearbeitet, nie in einer Notaufnahme gestanden, wenn Patienten ankommen, die keine Luft mehr kriegen. Sie wissen nicht, wie das ist, wenn ein Patient am Ersticken ist.” Dieser Lage würden sich aber gerade die Mitarbeiter in den Kliniken im Süden Brandenburgs stellen und sie hoffe, dass dies nicht auch in den anderen Kliniken des Landes der Fall würde.

Nonnemacher ist ebenfalls ausgebildete Ärztin und hat jahrelang in einem Krankenhaus gearbeitet.

AfD-Fraktionschef Christoph Berndt hatte zuvor eine Aufhebung des Lockdowns und mehr Schutz gefährdeter Gruppen gefordert. „Der verschärfte Lockdown ist nicht alternativlos“, sagte er. Die AfD zweifelt die von Bund und Ländern beschriebene Gefahr des Coronavirus an und hält die ergriffenen Maßnahmen für überzogen.

Während ihrer gut vier Minuten langen Wutrede bekam die Ministerin immer wieder Applaus im Landtag und das setzte sich danach auch im Netz fort. Einen Ausschnitt der Rede haben inzwischen hunderttausende Menschen auf Facebook und Twitter gesehen.

Neuer Höchstwert an Corona-Infektionen

Angesichts eines neuen Höchstwertes an Corona-Infektionen hatte Nonnemacher in Berlin um Unterstützung gebeten. „Es gibt inzwischen massive Notsignale aus den Krankenhäusern im Süden“, sagte Nonnemacher am Donnerstag im Gesundheitsausschuss des Landtages.

Die Betten könnten „extrem knapp werden“. Aber: „Triage ist im Moment hier in Brandenburg kein Thema.“ Triage bedeutet, dass Mediziner wegen knapper Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen und wem nicht.

Brandenburg will Kleeblatt-Fall ausrufen

Brandenburg will möglicherweise auch den sogenannten Kleeblatt-Fall ausrufen, mit dem ein Land bestimmte Nachbarländer bei der Aufnahme von Patienten um Unterstützung bittet. „Im Moment käme ein Ausweichen nach Sachsen-Anhalt ins Gespräch“, sagte Nonnemacher. In Sachsen sei die Lage so katastrophal, dass der Bettennotstand dort noch größer sei als in Brandenburg. Auch Thüringen sei stärker betroffen. Die Bitte an Sachsen-Anhalt wird dem Ministerium zufolge noch geprüft. Den Katastrophenfall will Brandenburg derzeit aber nicht ausrufen.

Deutschland ist beim Kleeblatt-Konzept in fünf Gebiete aufgeteilt: Nord (Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen), Ost (Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen), West (Nordrhein-Westfalen), Südwest (Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Baden-Württemberg) und Süd (Bayern), die sich bei Engpässen jeweils gegenseitig helfen können.

Der Brandenburger Landtag bestätigte den harten Lockdown, der seit Mittwoch im Land gilt. Die Koalitionsfraktionen von SPD, CDU und Grünen stimmten am Donnerstag für die neue Verordnung, die AfD lehnte sie ab, während sich Linksfraktion und Freie Wähler enthielten. Der Landtag hatte am Dienstag beschlossen, dass er sich stärker beteiligen kann, nachdem die Landesregierung neue Corona-Regeln verkündet hat. Damit ist auch ein Widerspruch möglich.

Ausgangsbeschränkung seit Mittwoch

Seit Mittwoch gilt eine Ausgangsbeschränkung. Wer tagsüber unterwegs ist, darf das unter anderem nur noch zum Arbeiten, Einkaufen, für Arzt- und Behördenbesuche, zwischen 22 Uhr und 5 Uhr ist auch Joggen und Spazierengehen verboten. Läden außer etwa Supermärkten, Drogerien, Apotheken, Buchhandlungen und Tankstellen sind geschlossen, Alkoholtrinken ist in der Öffentlichkeit verboten.

Die Landesregierung will am Freitag ihre Impfstrategie vorstellen. Nonnemacher rechnet mit dem Ausliefern der ersten Impfdosen kurz nach der Zulassung des Corona-Impfstoffs der Firma Biontech und des US-Konzerns Pfizer durch die Europäische Arzneimittelagentur EMA. „Das kann gegen Ende der Weihnachtsfeiertage sein. Wir bereiten uns darauf vor.“