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Russland-Politik

SPD-Ministerin findet Boykott russischen Erdöls falsch

Potsdam / Lesedauer: 5 min

Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange (SPD) hat sich kritisch zu Sanktionen gegen Russland geäußert. Mit Benjamin Lassiwe spricht sie zudem über die Zukunft der PCK-Raffinerie.
Veröffentlicht:11.08.2022, 07:30

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Frau Lange, Sie plädieren für eine Fortsetzung der Öllieferungen aus Russland. Warum?

Das stimmt so pauschal nicht. Wir können schon auf Öl aus Russland verzichten – wenn es dafür gleichwertigen Ersatz gibt. Genau das ist derzeit nicht gesichert. Das kritisiere ich. Man tut den zweiten Schritt vor dem ersten. Ich habe mich nie grundsätzlich gegen Sanktionen ausgesprochen. Aber ich stelle mir zwei Fragen: Wirken die Sanktionen? Und welche Folgen haben sie für uns? Das sind sehr legitime Fragen. Ja, mit dem einseitigen Boykott russischen Pipeline-Öls hadere ich. Denn davon hängt die Zukunft der PCK-Raffinerie in Schwedt und die Versorgung in Ostdeutschland ab. Ich bin ja auch Europaministerin, und wir reden immer von der europäischen Gemeinsamkeit und den europäischen Antworten, die wir brauchen. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Hier handelt es sich um einen deutschen Alleingang, der ohne irgendeine Folgenabschätzung beschlossen wurde. Es gab keinen Plan B. Und das ist jetzt das Problem.

Aber es wird doch nach Lösungen für Schwedt gesucht?

Das ist auch dringend erforderlich. Ob es gelingt, ist derzeit eine offene Frage. Es ist mit der Taskforce sicher etwas in Bewegung gekommen. Ob das alles bis Dezember zu tragfähigen Lösungen führt, ist unsicher. Die Verantwortung dafür trägt der Bund, der auch den Boykottbeschluss gefasst hat. Da hängt eine ganze Region dran, Tausende von Menschen, und die Versorgung großer Teile Ostdeutschlands. Ich bin aber nicht ohne Hoffnung, was die jüngsten Entwicklungen angeht. Aber klar mache ich mir große Sorgen um die Region und die Menschen – auch wenn ich dafür von einigen als Putin-Freundin diffamiert werde. Das kümmert mich nicht.

Aber es klingt schon so, als wollten Sie die russlandfreundliche Politik der ostdeutschen Sozialdemokratie fortsetzen...

Nein, tut es nicht. Die alte Russland-Politik hat ihre Grundlage verloren. Ich habe das selbst mehrfach öffentlich dargelegt. Daran trägt Putin die Schuld. Aber Sanktionen hatten immer das politische Ziel, eine Änderung der russischen Haltung zu erreichen. Und davon ist ja überhaupt nichts zu sehen – übrigens seit 2014 nicht. Natürlich schaden die Sanktionen der russischen Wirtschaft, aber das ist nicht der springende Punkt. Sie hatten immer eine politische Absicht, und die wird offensichtlich verfehlt, und der elende Krieg geht trotzdem immer weiter. Deswegen wird man schon einmal innehalten und fragen müssen, ob ein „Weiter so“ hier wirklich der richtige Weg ist, zumal die Kosten und Schäden für uns selbst, für Gesellschaft, Wirtschaft und die Bürger immer höher werden.

Müssten die Sanktionen vielleicht einfach länger in Kraft bleiben, bevor sie wirksam sind?

Das hören wir ja nun seit 2014, mit dem bekannten Ergebnis. Gar nichts ist besser geworden. Ich bezweifle auch eine Wirksamkeit in dem Sinne, dass Russland seinen Kurs grundlegend ändern wird. So tickt das autoritäre Russland nicht. Die internationalen Erfahrungen mit Sanktionen sind da insgesamt nicht sehr ermutigend. Trotzdem unterstütze ich Sanktionen gegen die russische Elite, gegen die Oligarchen, gegen die Propagandisten, gegen alles, was der russischen Rüstungsindustrie nutzen könnte. Das ist alles in Ordnung. Jenseits dessen gilt für mich aber das Prinzip: Sanktionen dürfen uns selbst nicht mehr schaden als Russland. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Und daran bestehen zunehmend Zweifel.

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Warum hat denn der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz, der seinen Wahlkreis bekanntlich in Potsdam hat, dann die Zusatzerklärung zum Ölboykott unterschrieben?

Das kann ich nicht sagen, das müssen Sie den Bundeskanzler fragen.

Haben Sie den Eindruck, dass der Bundeskanzler mitbekommt, was in dem Bundesland passiert, in dem er lebt, und welche Probleme in Schwedt herrschen?

Ja, natürlich. Olaf Scholz ist ein nachdenklicher und ernsthafter Typ, der bekommt sehr viel mit. Nicht so wie andere Lautsprecher in Berlin. Ich weiß, dass er an der Zukunft von Schwedt ein sehr großes Interesse hat. Und da entsteht jetzt auch Bewegung. Ansonsten wird dem Bundeskanzler die bedenkliche Stimmungsveränderung im Lande auch nicht entgangen sein. Da kommt ab dem Herbst einiges auf die Politik zu, um es mal sehr zurückhaltend zu formulieren.

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Wie sollte es aus Ihrer Sicht denn in der Außenpolitik nun weitergehen?

Ich befürchte, dass wir uns auf einen länger anhaltenden Konflikt einstellen müssen. Viele Experten sind ja auch ziemlich ratlos, was den Krieg angeht. Das sind die Klügeren. Die sind mir lieber als die Schwätzer und Scharfmacher. Umso wichtiger ist es, dass wir auch selber durch diese Krise kommen. Und da ist es nicht verboten, auch an unsere eigenen Interessen zu denken. Wenn Deutschland schwach ist, hat das Auswirkungen auf ganz Europa. Deutschland war immer der Wirtschaftsmotor auf dem Kontinent. Nur wer stark ist, kann auch anderen helfen, wie der Ukraine. Ja, wir müssen unsere Energieversorgung umstellen und unabhängig werden von Russland – aber das braucht eben eine gewisse Zeit, das geht eben nicht von heute auf morgen. Und deswegen verstehe ich Beschlüsse nicht, bei denen nicht an die absehbaren Folgen gedacht wurde. Dass dann die Stimmung massiv in den Keller rauscht, kann ja wohl niemanden ernsthaft überraschen.

Wir danken für das Gespräch.