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Corona-Testzentrum Jarmen wegen Insolvenz geschlossen

Betrug bei Corona-Testzentrum in Vorpommern?

Jarmen / Lesedauer: 5 min

Das Corona-Testzentrum Jarmen hat Insolvenz angemeldet. Auslöser sind Betrugsvorwürfe bei der Abrechnung der Tests.
Veröffentlicht:06.09.2022, 19:45

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Bei den ohnehin schon rapide gesunkenen öffentlichen Möglichkeiten, in Vorpommern einen zertifizierten Corona-Test zu bekommen, hat sich jetzt eine neue Versorgungslücke aufgetan. Denn die Anlaufstelle im Jarmener Kulturzentrum ist per September geschlossen worden, der Betreiber Rügentest befindet sich in einem Insolvenzverfahren.

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Auffälligkeiten bei der Abrechnung

Die damals neue Firma war im August 2021 in das Geschäft eingestiegen, errichtete in der Autobahnstadt eine augenscheinlich sehr gut laufende Basis – erst bei der Feuerwehr an der Fabrikstraße, ab April dann im kommunalen Veranstaltungsgebäude an der Rosenstraße. Weitere Stützpunkte gab es in Wolgast, Binz und Bergen, zeitweise wurden je nach Pandemie-Lage und Bedarf auch Außensprechstunden in Loitz realisiert.

Doch zumindest bei der Abrechnung für das vergangene Jahr soll nicht alles stimmig gewesen sein, so der Vorwurf der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Über sie werden in der Regel die Corona-Tests abgerechnet, die Bezahlung erfolgt meist aus dem Gesundheitsfonds der gesetzlichen Krankenversicherung. In diesem Fall stoppte der Geldfluss aber wohl bereits zum Dezember. „Das ist ein laufendes Verfahren, deshalb dürfen wir uns dazu nicht äußern. Schon alleine aus Datenschutzgründen“, erklärte Kerstin Alwardt von der Pressestelle dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaft in Mecklenburg-Vorpommern gegenüber dem Nordkurier.

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Strafanzeige wegen Abrechnungsbetrug

Zurückhaltend auf unsere Nachfrage reagierte auch Manuela Merkel, Pressesprecherin der Staatsanwalt Rostock und Dezernentin für die dort eingerichtete Schwerpunktstaatsanwalt­schaft zur Bekämpfung von Straftaten im Gesundheitswesen. Sie nannte keine Einzelheiten, bestätigte aber eine 2022 eingegangene Strafanzeige der KV wegen des Verdachts von Abrechnungsbetrug gegen Rügentest beziehungsweise den Inhaber. Natürlich erfolge ein gegenseitiger Austausch zu den Erkenntnissen, aber das Prüfverfahren an sich und die Ermittlungen von ihrer Seite seien unterschiedliche Dinge. „Ich habe die strafrechtliche Relevanz zu überprüfen.“

Betreiber sieht Schuld bei Behörden

Betreiber Thorsten Stöver indes geht von der Feststellung seiner Unschuld aus, wie er im Gespräch mit unserer Zeitung klarmachte. Sieht vielmehr die Schuld an den Unstimmigkeiten bei Behörden und Ämtern. Denn nach der Testverordnung sei es so, dass auf den Formularen zu den Corona-Testverfahren Datum und Uhrzeit stehen sollen. „Online funktioniert das. Aber auf den uns zur Verfügung gestellten Formularen für die analoge Bearbeitung, und die sind in Jarmen die Regel, ist gar keine Uhrzeit verlangt. Jedenfalls nicht auf dem Teil, der bei uns verbleibt“, schilderte der Mann. Es fehlte eine entsprechende Rubrik.

Zwar ständen diese Daten sehr wohl auf der dazugehörigen Einwilligungserklärung der Kunden, aber die KV akzeptiere diese „Trennung“ nicht. Genauso wenig wie den fehlenden Vermerk zu einem negativen Testergebnis. Dabei sei dies doch selbsterklärend, wenn es keinen positiven Befund und damit eine behördliche Meldung gebe. „Deren Behauptung ist, wir haben uns die Leute alle ausgedacht“, sagte Stöver. „Aber mal im Ernst, ich kann mir ja keine 5000 Unterschriften ausdenken.“ Nach seiner Auffassung suche die KV nur nach einem Weg, um sich vor den Zahlungen zu drücken, die im aktuellen Jahr und damit über das Prüfverfahren hinaus angefallenen Außenstände inklusive. Und das bei voll laufendem Testbetrieb. „Wir haben von denen noch 175 000 Euro zu kriegen“, bezifferte der Rügentest-Inhaber sein Malheur. „So konnte ich nicht weitermachen.“

Mitarbeiter können nicht mehr bezahlt werden

Wegen der prekären Lage wandte sich der Unternehmer bereits zu Beginn des Sommers an die Rechtsanwaltsgesellschaft Becker & Jaap, eine unter anderem auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Kanzlei mit Büro in Greifswald. Zu Beginn agierte Stöver dabei noch selbst unter Aufsicht von Rechtsanwalt Heiko Jaap, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum 1. September führt jener nun gänzlich die Geschäfte. Der Advokat glaubt nach eigenem Bekunden und seinen bisherigen Informationen nicht nur, dass der Betrugsvorwurf gegen seinen Mandanten unhaltbar ist. Sondern hält die Vorgehensweise der KV obendrein für gesetzeswidrig. Jedenfalls für jene Monate ab Juli, in denen er als Verwalter den Hut aufhat.

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„Ab dem Zeitpunkt wird eigentlich neu gerechnet. Wir hätten uns also auf den Kompromiss einigen können, die Gelder von Januar bis Juni vorerst einzufrieren.“ Mit den ab da fälligen 15 000 Euro hätten zumindest die Angestellten und Bestellungen bezahlt werden können, um den Betrieb der Testzentren aufrechtzuerhalten. „Aber ohne dieses Geld geht einem die Luft aus.“ Deshalb seine Entscheidung, dichtzumachen. Wohl wissend, was das für die Menschen vor Ort bedeutet, die ein Corona-Testzertifikat benötigen.

Er habe den Eindruck, dass die KV versuche, mithilfe der Prüfung und dem Verweis auf eventuell fällige Rückerstattungen Rügentest am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Dabei wurden ja nachweislich Leistungen erbracht. „Sie verstecken sich dabei hinter einer Verwaltungsvorschrift. Aber das hat mit dem Insolvenzrecht nichts zu tun“, betonte Jaap mit Blick auf die jüngsten Monate. „Ich habe so etwas noch nie erlebt. Wir werden da wohl in einem sehr großen Rechtsstreit landen.“

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