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Demminer Falkner betreut Vogel-Nachwuchs

Demmin / Lesedauer: 5 min

Mehrere Tage hat Gerd Borgwardt seine Falkenjungen alle vier Stunden gefüttert. Wenn er ihnen das nächste Mal nahe kommen darf, werden sie wieder wild und scheu sein.
Veröffentlicht:10.06.2022, 13:53

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Die beiden Vögel sperren ihre Schnäbel weit auf und kreischen, als Gerd Borgwardt leise an sie herantritt. Noch sind sie weiß und flaumig und abgesehen von den raubvogelartigen Schreien und den kräftigen Schnäbeln erinnert aus Laiensicht kaum etwas an die erwachsenen Falken, die sie einmal werden sollen. Erst sieben und acht Tage sind die Jungvögel alt, denn nordische Wanderfalken brüten spät. Insgesamt vier befruchtete Eier hatte die Mutter gelegt, doch nur zwei Jungen kamen durch. Sie aber schlüpften ganz ohne die Hilfe des Demminer Falkners und Züchters, was seiner Erfahrung nach durchaus nicht selbstverständlich ist.

Richtiger Zeitpunkt für die erste Mahlzeit

Gerd Borgwardt nahm die beiden Jungen gemäß der gängigen Praxis zunächst in seine Obhut. Es komme vor, dass die Elterntiere, die mit Hühnerküken gefüttert werden, ihre eigenen Jungen für Nahrung halten und sie töten, erklärt er. In den acht bis neun Tagen, ehe er sie den Eltern zurückgibt, muss der Falkner die Jungvögel alle vier Stunden füttern. Den richtigen Zeitpunkt für die erste Mahlzeit zu treffen sei das schwierigste an der Pflege des Nachwuchses, sagt er: „Man darf sie nicht zu früh füttern, sonst treten Fehlgärungen auf und die Vögel können sterben.“ Ziemlich genau acht Stunden nach dem Schlüpfen erhalten die Vögel zum ersten Mal Nahrung, üblicherweise Eintagesküken. Auch wie viel die Jungvögel fressen dürfen, lernte Gerd Borgwardt mit den Jahren.

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Obwohl er inzwischen mehrere Jahrzehnte Erfahrung mit Greifvögeln hat, bei der schwierigen Geschlechtsbestimmung ist er sich nur zu 60 Prozent sicher. Zwar deuten ein paar äußerliche Indizien wie die längliche Kopfform darauf hin, dass es sich bei dem aktuellen Nachwuchs um zwei Weibchen handelt. Um Klarheit zu erhalten, hat der Züchter die Eierschalen jedoch für eine Laboruntersuchung eingeschickt.

Begeistert auch von Storch und Mauersegler

Für Vögel interessierte sich Borgwardt, der 1978 seine Falknerprüfung ablegte und heute selbst prüft, bereits als Kind. Die Meisen, die seine Tante damals fütterte, waren zwar deutlich kleiner als die Falkenjungen, die er jetzt aufzieht. Zu klein waren sie ihm nicht. „Ich saß immer da und habe ihnen zugeschaut“, erzählt Gerd Borgwardt, der sich noch heute für die Mauersegler im Hof und den Storch gegenüber begeistern kann. „Später habe ich ein Bestimmungsbuch geschenkt bekommen.“

Als ein Bussard aus dem Horst fiel, päppelte Borgwardt ihn auf. Dass der Junge in Lindenberg einen Greifvogel hielt, sprach sich unter den Bewohnern schnell herum, bis ein Falkner aus Rosenow aufmerksam wurde. „Er hat mir gesagt: Das, was du da machst, ist verboten. Das hatte ich gar nicht gewusst“, erinnert sich Borgwardt. Also lernte er die Kunst der Falknerei, trat später dem Deutschen Falkenorden bei. Der Bussard wurde sein Übungsvogel.

Gelassenheit der Falken fasziniert

Inzwischen hat sich Gerd Borgwardt auf die Zucht von Falken spezialisiert, weil ihn sowohl ihr Aussehen als auch ihr Wesen faszinieren. „Habichte zum Beispiel sind scheuer und fliegen bei dem kleinsten Geräusch auf, sie sind quasi die Terrier unter den Vögeln“, erklärt er. Falken seien dagegen gelassen. Trotzdem sank ihre Population in freier Wildbahn zeitweise stark: Pestizide und Herbizide machten die Eier laut Borgwardt dünnschalig und zerbrechlich und bewirkten, dass Embryonen abstarben.

1974 sei die Greifvogelart im Osten Deutschlands so komplett ausgestorben gewesen. Erst durch Auswilderung habe sich der Bestand allmählich wieder etwas erholt. „1977/78 gelang die erste Zucht in Gefangenschaft“, weiß Borgwardt.

Die Wanderfalken, die er zurzeit großzieht, sollen nicht ausgewildert werden. Einen will Borgwardt für die Entenjagd behalten, den anderen einem Falknerfreund schenken. Viel Geld bekomme man für die Tiere ohnehin nicht mehr, die Nachfrage sei gesunken, berichtet Borgwardt.

Eltern verteidigen Jungvögel erbittert

Bevor er seinen Falken jedoch für die Jagd trainieren kann, werden die Jungtiere in den nächsten Wochen von ihren Elterntieren weiter aufgezogen, die in der Zwischenzeit auf Hühnereiern saßen. „Sie stellen sich sofort um vom Brüten auf die Pflege der Jungen“, weiß Borgwardt. Falkeneltern zögen so mitunter auch Habichte auf.

Während sich die erwachsenen Tiere um ihren Nachwuchs kümmern, wird Gerd Borgwardt nicht mehr an die beiden Jungvögel herankommen: Die Eltern verteidigen sie erbittert. Wenn die beiden Wanderfalken schließlich flügge sind, werden sie deshalb wieder „völlig scheu und wild“ sein. An den Züchter werden sie sich nicht mehr erinnern. Das Vertrauen der Vögel muss sich Borgwardt dann erst wieder mühevoll erarbeiten. Die jungen Wanderfalken wieder an den Menschen zu gewöhnen erfordere vor allem eines: Geduld. „Man muss sie fast rund um die Uhr tragen und beschäftigen“, erklärt Borgwardt. „Man nimmt sie oft auf die Faust, spricht mit ihnen, damit sie sich an die Stimme gewöhnen, streichelt sie mit einer Mauserfeder...“ Für Gerd Borgwardt ist es all die Mühe wert, wenn er daran denkt, wie die erwachsenen Vögel fliegen – bis zu 300 Meter hoch in der Luft. „Man gibt ihnen täglich die Freiheit und sie kommen trotzdem zurück“, beschreibt er. Nach all den Jahren der Falknerei überwältigt ihn das noch immer.