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Proteste gegen Rechts

Demokratiedebatte nach Strafbefehl für Demminer Aktionsbündnis

Demmin / Lesedauer: 3 min

Der Strafbefehl gegen einen Versammlungsleiter des Aktionsbündnisses 8. Mai sorgt weiter für Diskussionen.
Veröffentlicht:02.01.2021, 12:38

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Hinterlässt das Strafverfahren gegen Dieter R. negative Auswirkungen auf wichtige demokratische Grundstrukturen, wie das Recht auf Demonstrationsfreiheit? Das zumindest glaubt Heinz Wittmer, Sprecher des Aktionsbündnisses 8. Mai.

Verstoß gegen Versammlungsauflagen

Wegen des Verstoßes gegen Versammlungsauflagen möchte die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg dem Versammlungsleiter der Proteste gegen den Neonazi-Aufmarsch vom 8. Mai 2019 in Demmin eine Strafe von 1500 Euro beziehungsweise 50 Tagen Haft aufbrummen.

Es geht um von Demonstrationsteilnehmern mitgebrachte Glasflaschen, Bierdosen und Musik, die zu lange gespielt wurde. Das Bündnis sieht diese Vorwürfe der Behörden als haltlos an. Die versammlungsrechtlichen Auflagen von 2019 wurden mit der Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen begründet. Polizeipressesprecherin Diana Mehlberg hatte allerdings erst kürzlich im Zusammenhang mit der Verleihung eines Preises für das Bündnis betont, dass die Proteste des Bündnisses in den vergangenen Jahren friedlich verlaufen seien.

Linke kritisiert Anklage

Tilla Steinbach, Mitarbeiterin der Pressestelle des Landkreises, sieht allerdings den Versammlungsleiter in der Pflicht. Dieser habe einen ordnungsgemäßen Verlauf der Versammlung sicherzustellen. „Störungen des Ablaufs der Versammlung oder des Aufzuges können als Ordnungswidrigkeit oder Straftat geahndet werden. Weitergehende Auskünfte werden unter Hinweis auf ein laufendes Verfahren nicht erteilt“, so Tilla Steinbach.

Dagegen erklärt Peter Ritter, Landtagsabgeordneter der Linken, dass seine Partei für derartige strafrechtliche Verfolgungen keinerlei Verständnis habe. „Meine Fraktion hat erwartet, dass derartige Anklagen spätestens seit dem vor Jahren im Landtag gefassten Beschluss zur Demonstrationskultur nicht mehr möglich sind. Wir sehen uns leider getäuscht. Der Protest gegen den alljährlichen Naziaufmarsch kann nicht laut, fröhlich und bunt genug sein. Ich erwarte daher, dass die zuständigen Behörden ihre Entscheidung zum Strafbefehl zurücknehmen“, kritisiert Ritter.

AfD vermisst Selbstkritik beim Bündnis

Enrico Schult (AfD) ist vom Strafverfahren dagegen nicht überrascht, da seiner Ansicht nach das Aktionsbündnis auf Webseiten verlinkt, auf denen unverhohlen gegen Polizei und staatliche Institutionen aufgestachelt wird. Das habe zwar nichts mit dem jetzigen Strafverfahren zu tun, doch: „Anstatt einmal selbstkritisch die eigene Gästeliste zu hinterfragen, auf der ja ohnehin die auswärtigen Aktivisten die Mehrheit bilden, übt man nun scharfe Kritik an der Staatsanwaltschaft – ein völlig realitätsfernes Gebaren“, bemängelt Schult.

Heinz Wittmer kritisiert vor allem den „Kontrollwahn“ von Behörden. Für Menschen, die mit einer Demonstration ihre Meinung kundtun wollen, werde es immer schwieriger, anschließend nicht von den Behörden verfolgt zu werden. Die Angst vor einer möglichen Strafverfolgung geht sogar soweit, dass Siedenbrünzows Bürgermeister Dirk Bruhn 2019 als Anmelder einer Versammlung erst zustimmte, nachdem ihm ein Rechtsanwalt zur Seite gestellt wurde. „Heute muss sich ein Versammlungsleiter im Versammlungsrecht sehr gut auskennen, um vor Ort eine Veranstaltung durchführen zu können. Dadurch ergibt sich das Problem, dass sich immer weniger Leute bereit erklären, dieses Amt zu übernehmen“, erklärt Heinz Wittmer.

Proteste sollen weitergehen

Das war nicht immer so. Bis 2017 gab es einen Runden Tisch, an dem sich Vertreter von Polizei, Ordnungsamt und Aktionsbündnis zusammensetzten und die Auflagen gemeinsam ausarbeiteten. „Weil viele Auflagen unverhältnismäßig waren, brachten wir unsere Rechtsanwälte, die sich sehr gut mit Versammlungsrecht auskennen, zu den Treffen mit. Die Behörden wollten den Diskussionen um grundlegende Fragen ausweichen und wechselten zu nervigen Einzelgesprächen und somit endete der Runde Tisch“, so Wittmers Sicht auf die Entwicklung.

Wie der Sprecher des Bündnisses deutlich machte, ist davon auszugehen, dass es auch zukünftig Proteste gegen den Neonaziaufmarsch geben wird. Die Frage sei nur, wer sich der Aufgabe eines Versammlungsleiters annimmt oder ob, wie bei früheren Protesten gegen die Castortransporte nach Gorleben, gänzlich auf Versammlungsleiter verzichtet werde. „Die Antwort geben die Behörden mit dem Umgang mit den Menschen, die sich dieser Aufgabe stellen“, so Wittmer.