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Diamantene Hochzeit

Diese Ehe hält seit 60 Jahren

Tutow / Lesedauer: 7 min

Mit seiner Frau Christa ist das Tutower Feuerwehr-Urgestein Horst Buntrock noch länger verheiratet als mit der Löschtruppe, wenn auch nur ein paar Monate.
Veröffentlicht:11.01.2020, 10:55

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Wäre das Wetter den Traditionen bei Christa und Horst Buntrock aus der Tutower Dammstraße  38 gefolgt, hätte es dieser Tage mächtig wintern müssen. Denn sowohl zur Eheschließung als auch zur Silbernen und Goldenen Hochzeit legten sich Frau Holle und Väterchen Frost jedes Mal voll ins Zeug. Doch jetzt zur Diamantenen war vom eisigen Duo nichts zu hören und zu sehen. Dabei begann schon die Liebesgeschichte der beiden Pommern in stürmischen und kalten Zeiten, jedenfalls geschichtlich gesehen. Stammen sie doch aus Teilen Deutschlands, die heute zu Polen gehören, wären sich ohne die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges vermutlich nie begegnet.

Als Fünfjähriger auf der Flucht

Horst erblickte am 9.  Oktober 1939 in Kolberg das Licht der Welt, der Vater Reichsbahner, die aus der Landwirtschaft kommende Mutter Hausfrau. Er musste bereits als Bub hautnah erleben, was Krieg bedeutet. So etwa, als seine zur Festung erklärte Heimatstadt Anfang März 1945 von der Roten Armee vom Hinterland abgeschnitten und zwei Wochen lang belagert wurde. So gut wie kein Stein blieb auf dem anderen, immer wieder sah der Fünfjährige Verletzte und Tote. Mit Mutter und Bruder – der Vater war da längst als Lokführer im Wehrmacht-Einsatz – gelang die Flucht nur dank einer Evakuierung über die Ostsee.

Ihr Lazarettschiff sei auf der Fahrt gen Westen ständig Beschuss ausgesetzt gewesen und in Swinemünde unmittelbar nach dem verheerenden amerikanischen Luftangriff mit Tausenden Opfern eingelaufen. „Ich habe da überall noch die Toten in den Straßen gesehen, so was vergisst man nicht.“ Ein Zug mit zerschossenen Türen und Fenstern brachte sie über Stettin nach Rostock, von dort ging es weiter nach Hamburg und Cuxhaven. Ein Jahr war das Trio im nahen Otterndorf einquartiert, bevor es sich im März in die Sowjetische Besatzungszone aufmachte – nach Tutow, wo ein Cousin des Vaters lebte, der auf dem Fliegerhorst gedient hatte.

Neustart mit Entbehrungen und Schicksalsschlägen

Rund sechs Monate später verschlug es auch Christa dorthin, ihre Familie stammte aus dem nördlich von Stettin gelegenen Odermünde. Der Vater arbeitete dort in der Feldmühle, einem riesigen Papier- und Zellstoffwerk, als Chemiker und agierte im Werkschutz, was ihm die Einziehung zum Frontdienst ersparte. Die Jubilarin wurde am 2.  Januar 1939 als jüngstes von vier Geschwistern geboren, da hatten ihre Eltern gerade die frisch gebaute eigene Doppelhaushälfte bezogen. „Die wollten da auf keinen Fall weg.“ Aber im Herbst 1946 wurde nur noch ihr als Spezialist für die Besatzungsmacht arbeitender Vater geduldet, Mutter und Kinder verabschiedeten sich per Kahn über die Oder und das Stettiner Haff, von dort ging es die Peene hinauf. „In Jarmen mussten alle raus, wir wurden nach Tutow aufgeteilt, kamen in die Kasernen auf dem Flugplatz.“

Kannten sich schon „aus dem Sandkasten”

Für Horst und Christa war dieser etwas versteckte Flecken Vorpommerns ein Neustart, verbunden mit vielen Hoffnungen, aber ebenso Ungewissheiten, Entbehrungen und Schicksalsschlägen. So erfuhr er, dass sein Vater inzwischen in Thüringen eine neue Familie gegründet und seine alte für tot erklärt hatte. Und ihr Bruder starb 14-jährig auf dem Flugplatz, als er beim Hantieren mit Munition eine Explosion auslöste. Als die Gebäude auf dem Militärgelände abgerissen wurden, zogen die Familien in die Alleestraße um, seine in die Nummer 20, ihre in die 14. „Wir haben uns praktisch in der Sandkiste kennengelernt“, berichtet die Seniorin. Doch Interesse aneinander war weder da noch in der Schule auszumachen, die beide gemeinsam besuchten, er immer einen Jahrgang voraus.

Als Horst Buntrock 1954 die achte Klasse beendete, fing er bei der Bauunion Küste in Stralsund eine zweijährige Maurer-Lehre an. „Wir waren 300 Lehrlinge. Von dort sind wir gleich am ersten Tag alle nach Berlin geschickt worden, ich mit 14 Jahren und einem großen Koffer.“ 1957 ging er zum Stadtbauhof Rostock, doch als sie ihn im Jahr darauf zur LPG Laage „delegierten“, suchte sich der junge Mann bald einen Job näher an der Heimat – in der Baubrigade des VEG Neu Plötz. Zumal da schon die hübsche Nachbarin namens Christa eine Rolle spielte. Sie verdiente sich damals mit verschiedenen Anstellungen ihren Lebensunterhalt, Lehrstellen für Frauen waren Mangelware. Mal arbeitete sie in der Konservenfabrik, später in der Kindergartenküche.

Wohnung der Eltern zur Hochzeit „gerammelt voll“

Zwischendurch aber schlug die Liebe kräftig zu. Denn als sich das Paar mit 19 Jahren so richtig kennenlernte, hatte das nachhaltige Folgen, einschließlich einer schnellen Verlobung. „Wir mussten uns ja beeilen, im März 1960 wurde unser ältester Sohn Bernd geboren“, erzählt die 80-Jährige schmunzelnd. Die kirchliche Trauung am 9.  Januar wurde wegen des Winters vom großen Gotteshaus in Tutow-Dorf in einen kleinen Gemeinderaum in Tutow verlegt, die Hochzeitsfeier fand in der engen Wohnung der Brauteltern statt. „Die Bude war gerammelt voll. Und draußen hat es gestürmt und geschneit.“

Trotz des Kindes musste das Paar mit einem Dachzimmer der Alleestraße 14 auskommen, später durften sie in die zwei Räume der Unterwohnung ziehen. Aber als 1964 Tochter Diana und 1965 Sohn Vido folgten, wurde es viel zu eng. So freuten sich die Buntrocks, als sie in jenem Jahr das Haus eines nach Altentreptow verzogenen alten Lehrer-Ehepaars an der Dammstraße übernehmen durften. „Mein Mann hat hier viel selbst gemacht, alles neu ausgebaut.“

Arbeitsplatz bis zur Rente

Damals wandelten sie auch beruflich längst auf festeren Pfaden. Ihr Gatte musste wegen Materialknappheit beim VEG zwar noch 1959 zum Kreisbauhof Greifswald, aber 1961 kam er zurück. Die Baubrigade ging später in der Zwischengenossenschaftlichen Bauorganisation (ZBO) Daberkow auf, 1978 wechselte Horst Buntrock zur ZBO Bentzin. Allerdings arbeitete der Maurer wegen seiner Schwindelfreiheit am Ende viel häufiger als Zimmerer. Die Firma rettete sich in die Nachwendezeit, sodass der Tutower dort bis zur Rente im Jahr 2000 aushielt.

Damals ging auch seine Ehefrau in den Ruhestand, die Anfang der 1970er in der nahen Konsum-Gaststätte „An den Tannen“ Anstellung fand. Erst als Mädchen für alles, dann nach einer Facharbeiter-Ausbildung als Köchin. Schichtarbeit war angesagt, denn selbst die Schulspeisung wurde von dort aus übernommen. Als der Chef das Lokal Anfang der 1990er privatwirtschaftlich übernahm, durfte sie als eine von wenigen bleiben.

Zwangsverpflichtet in die Feuerwehr

Neben dem Angeln zählt seit jeher die Feuerwehr zu Horst Buntrocks Steckenpferden, wenn auch anfangs unfreiwillig. Schließlich wurde der junge Mann mangels Personal zum 1.  Juli 1960 für die Löschgruppe zwangsverpflichtet. Und musste gar 50 Mark Strafe zahlen, weil er sich querstellte. Er war nach den Kriegserlebnissen Gegner von Uniformen, erst recht der farblich an die SS erinnernden schwarzen, wie sie die Kameraden tragen sollten. Doch bald schon wurde er einer der Aktivsten in der Löschtruppe, hält ihr bis heute in der Ehrenabteilung die Treue. Genau wie Christa, die 1968 dazu stieß – in die von Frauen dominierte Abteilung vorbeugender Brandschutz.

Keine Frage also, dass auch die Feuerwehr Gratulanten schickte, anders als zur Goldenen Hochzeit. Vor zehn Jahren nämlich waren die Kameraden vollauf mit dem Schneetief „Daisy“ beschäftigt und das Paar gar nicht zu erreichen: Buntrocks feierten ihr Jubiläum nämlich in Demmin und mussten dort wegen der zugewehten Straßen mit der ganzen Gesellschaft ungeplant übernachten. Ein Problem, das diesmal ausnahmsweise nicht drohte.