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Historische Aufarbeitung

Ein Film ohne Anklage und ohne Antworten

Demmin / Lesedauer: 4 min

Eine Film-Doku über die Arbeit der Norddeutschen Realisten ist nicht die erste Auseinandersetzung mit dem Demminer Massensuizid 1945 – und doch für die Erinnerungskultur so wichtig.
Veröffentlicht:13.05.2022, 12:53

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Ein sich sanft windender Fluss umgeben von grünen Wiesen, im Hintergrund ein Wald: Auf den ersten Blick erinnert die Aufnahme an ein romantisches Landschaftsgemälde, doch bei näherem Hinsehen bewegt sich das Bild langsam. Nebelschwaden kriechen über den Flusslauf, Vögel zwitschern, Wasser plätschert leise. Eine solche Szene habe er schon immer aufnehmen wollen, erzählte der Filmemacher Tom Salt bei der Vorführung im Demminer Kino. In der Nähe von Demmin fand er sie, diese scheinbar unberührte Natur, dieses harmonische Landschaftsbild. Dann ist die Kinoleinwand plötzlich schwarz. Die Worte „Es gibt keine unschuldigen Landschaften“ erscheinen, ein Zitat des Malers und Bildhauers Anselm Kiefer.

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So beginnt die kurze Dokumentation „Dreistromland“, für die der Regisseur und Produzent Tom Salt Mitglieder der Künstlergruppe Norddeutsche Realisten bei ihrer Arbeit in und um Demmin begleitet hat und dabei gewissermaßen selbst zum Plein-Air-Maler wurde. Mit dem Symposium im Rahmen des von der Evangelischen Kirchengemeinde initiierten Projekts „über.wunden“ sollte 75 Jahre nach Kriegsende die Aufarbeitung des Traumas des Demminer Massensuizids zum Ende des Zweiten Weltkrieges gefördert werden.

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Die dabei entstandenen Gemälde und der Film bezeugen eine neue Art der Aufarbeitung, die Bürgermeister Thomas Witkowski begrüßt. „Es ist ein ganz stiller Film, sehr interessant und berührend“, findet er. „Die Dokumentation und auch die Bilder sind nicht anklagend. Sie stellen die Schönheit unserer Natur dar.“ Und trotzdem sei im Hintergrund die Geschichte bemerkbar, das Bewusstsein über die Massenselbstmorde zu Kriegsende, die nicht explizit gezeigt werden und dennoch plastisch wirken.

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Die Künstlerin Corinna Weiner etwa hat eine Frau in einem weißen Kleid gemalt. Einen Faden haltend steht sie im Fluss, ihr Gesicht ist nicht mehr im Bild. Zum ersten Mal hatte sich die Malerin in Demmin nicht nur in Hinblick auf Farben und Komposition, sondern auch auf einer moralischen Ebene gefragt: „Was ist richtig zu tun?“ Darüber spricht sie in der Dokumentation.

Film und Gemälde setzen aus Sicht von Witkowski Impulse, sich weiter mit der Geschichte auseinanderzusetzen, „ohne anklagend zu sein und ohne Antworten zu geben.“ Die Erinnerungskultur habe sich gewandelt.

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In den vergangenen Jahren wurden die Ereignisse zu Kriegsende auf verschiedene Arten aufgegriffen. Wissenschaftlich, künstlerisch – in Film, Literatur, Musik und Bildern – und häufig auch gemeinschaftlich. An dem Trauertuch etwa hatten viele Menschen an unterschiedlichen Orten mitgearbeitet. Im Zeitzeugencafé treffen sich immer wieder Demminer, um über ihre Erinnerungen zu sprechen.

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Nicht immer blieben die Ergebnisse, insbesondere der künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Kriegsende, ohne Kritik. Skeptiker argumentierten mit der Sorge vor einer weiteren Stigmatisierung der Stadt, vor einem Verharren in der Geschichte. Aus Sicht von Witkowski ist allerdings jede sachliche Beschäftigung mit dem Thema ein Gewinn. „Jede Art der Auseinandersetzung mit unserer Geschichte bringt uns nach vorne und ist ein Stück Erinnerungskultur und Verarbeitung“, sagte er so zuletzt auch im Podcast des T30-Vereins.

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Zumal das Interesse weiter groß ist. Der Garten der Erinnerung werde von „Jung und Alt, intern und extern sehr gut angenommen“, berichtet Witkowski. Immer wieder gebe es Nachfragen von Touristengruppen. „Mit dem Garten der Erinnerung haben wir endlich einen Ort im Herzen der Stadt, zu dem wir Leute führen können, damit sie sich informieren können“, erklärt der Bürgermeister. Auch der Film „Dreistromland“ stehe der Stadt weiter zur Verfügung und soll künftig wieder gezeigt werden.