StartseiteRegionalDemmin▶ Jarmener Apotheker fühlt sich an Katastrophengebiete erinnert

Versorgung in der Corona-Krise:

▶ Jarmener Apotheker fühlt sich an Katastrophengebiete erinnert

Jarmen / Lesedauer: 4 min

Schon lange arbeitet Andreas Portugal weltweit in Katastrophengebieten. Nun findet er zu Hause eine Situation vor, die ähnliche Probleme mit sich bringt
Veröffentlicht:25.03.2020, 10:38

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Andreas Portugal ist Inhaber der „Apotheke zu den drei Rosen“ in Jarmen mit einer Filiale in Tutow. Notstandsgebiete kennt er: Nordindien nach einem schweren Erdbeben 2001, Sri Lanka nach dem verheerenden Weihnachts-Tsunami 2004 in Südostasien, das Erdbeben 2010 in Haiti, im November 2013 der Taifun auf den Philippinen, das alles mitreißende Hochwasser auf dem Balkan 2014. Die Liste der Krisenregionen, in denen der Vorpommer für die Hilfsorganisation „Apotheker ohne Grenzen“ arbeitete beziehungsweise Einsätze seiner Kollegen koordinierte, liest sich beeindruckend.

Doch auch wenn dort vieles anders als in der derzeitigen Corona-Krise war, fühlt er sich derzeit immer wieder an diese Situationen erinnert – und schaltete in eine Art Krisenmodus, was die Organisation von Arbeitsabläufen und Medikamenten-Ausgabe betrifft. Schließlich wirkten Politik und Standesvertretung beim Einbruch des Coronavirus und der Lungenerkrankung Covid-19 in die Pharma-Welt teilweise orientierungslos. Manches wirft bis heute mehr Fragen auf, als es Antworten gibt, wie er schildert. Hinzu kommen die Verunsicherung der Kunden und Hamstertouren auch in Apotheken, nicht zuletzt durch immer neue Meldungen von Engpässen in der Vorsorgung.

Das begann mit dem schnellen Ausverkauf und kaum noch möglichen Bestellungen von Mundschutzmasken oder Schutzanzügen ab Ende Februar und gipfelte darin, dass es mit einem Mal weder Desinfektionsmittel noch die für deren Herstellung nötige Grundsubstanz gab – also Isopropanol, einfachen vergällten Alkohol. Probleme, die insbesondere die auch von den Apotheken belieferten Arztpraxen, Heime und Pflegedienste an den Rand ihrer Arbeitsfähigkeit zu bringen drohten. Gleiches galt für die häusliche Pflege. „Wir hatten da sogar schon Anfragen aus Waren und Grimmen.“

„Hebt die Gefäße auf und bringt sie wieder mit!”

Erst seit dem Wochenende herrscht zumindest an dieser Front etwas Entspannung, nachdem der Zuckerfabrik Anklam erlaubt wurde, mit dem von ihr hergestellten Bioethanol auszuhelfen, und es wieder vermehrt Schutzausrüstung zu erwerben gibt. Wenn auch manchmal nur über Plattformen wie Ebay, von ausländischen Quellen und zu Preisen weit über den früher üblichen.

Damit Andreas Portugal und seine Kollegen allerdings den Isopropanol-Ersatz aus Anklam verwenden dürfen, musste die Biozid-Verordnung außer Kraft gesetzt worden, sodass die meisten nun immer wieder nach einer auch von der Weltgesundheitsorganisation WHO verbreiteten Formel selbst Desinfektionsmittel anrühren. Trotzdem stößt er gerade wieder an unerwartete Grenzen: Denn nun gehen die Behältnisse zum Einfüllen aus. „Wir kriegen keine neuen Verpackungen mehr ran. Die Firma beispielsweise, die uns die kleinen Flaschen liefert, kontingentiert das schon. Deshalb sagen wir unseren Kunden: ‚Hebt die Gefäße auf und bringt sie wieder mit!‘“

Doch die Engpässe in den Apotheken dürften künftig noch zunehmen, prophezeit der Experte mit Blick auf die aktuellen Arznei-Vorräte und die Vermerke auf den Order-Listen beim Großhandel. Und das nicht, weil sich die Leute bei bestimmten Produkten für die normale Hausapotheke vom Hustensaft bis zum Schmerzmittel gerade verstärkt eindecken, nachdem dort eine Verknappung vorausgesagt worden war. „Selbst Fieberthermometer haben wir nicht mehr. Erst gingen die Stirn- und Ohrthermometer aus, jetzt auch die anderen“, berichtet Portugal.

Wirkstoffe kommen nur noch aus wenigen Quellen

Vielmehr hat er all jene Medikamente im Blick, die auf Wirkstoffen basieren, die vorrangig in Indien und China produziert werden. Und das sind im Zuge der Globalisierung immer mehr geworden. Während Indien angesichts der eigenen Notlage jüngst kurzerhand ein Export-Verbot für 26 Wirkstoffe erließ, was gerade auch Antibiotika betrifft, ruht im Reich der Mitte in manchen Werken seit rund vier Monaten die Produktion. Es fehlen also auch den Pharmafirmen außerhalb Asiens wichtige Rohstoffe.

„Egal, wie viele Sorten Medikamente und Herstellernamen wir hier bei uns im Regal haben, der Wirkstoff kommt häufig nur noch aus einer, zwei oder drei Quellen“, sagt der Apotheker. „Diesen Notstand haben wir aber nicht erst seit der Pandemie“, stellt der Jarmener klar. Seit vielen Jahren gebe es entsprechende Warnungen an die Politik. Die indes belächelte das Problem bisher häufig, obwohl es schon in der Vergangenheit an immer mehr Stellen zu Lieferengpässen kam, so die Kritik.

„Wir spüren jetzt noch gar nicht die vollen Auswirkungen der Corona-Krise, weil ja noch immer irgendwo was da ist. Das macht sich vermutlich erst im Herbst und Winter so richtig bemerkbar, wenn nichts mehr nachkommt an Wirkstoffen“, befürchtet Andreas Portugal. Und so hofft der krisenerprobte Apotheker, dass Deutschland so nicht noch zu einem echten Katastrophenfall wird.