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Arzt vs. Heilpraktiker

Macht die Schulmedizin etwas falsch?

Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Ganzheitliche Medizin ist ein großes Thema: Der ganze Menschen soll in den Blick genommen werden. Müssen Patienten dafür zum Heilpraktiker gehen?
Veröffentlicht:06.09.2018, 16:09
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„Wir nehmen den ganzen Menschen in den Blick” oder „Wir arbeiten ganzheitlich” – mit solchen Sätzen werben Heilpraktiker gern für ihre Arbeit. Das klingt verlockend. Wer will nicht als ganzer Mensch betrachtet werden, wenn ihm etwas wehtut? Die Frage ist: Müssen sich Patienten tatsächlich von der Schulmedizinabwenden, um als fühlende Wesen betrachtet zu werden? Oder umgekehrt: Gibt es überhaupt eine Medizin, die nicht ganzheitlich arbeitet?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit als einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens”. Wenn sich die Medizin um den Erhalt oder die Wiederherstellung der Gesundheit kümmert, sollte sie also – streng genommen – immer ganzheitlich arbeiten.

„Man kann körperliche Probleme nicht vom sozialen Umfeld und der Psyche getrennt betrachten”, sagt Sabine Gehrke-Beck, Allgemeinmedizinerin an der Berliner Charité. Wie lebt jemand? Mit wem und wo? Wie sieht seine Vorgeschichte aus?

„Schulmediziner behandeln Patienten zu oft nur funktionell”

Fragt man eine Heilpraktikerin, was sie unter ganzheitlicher Medizin versteht, sieht die Antwort ähnlich aus. Für Monika Gerhardus, Vorsitzende der Union Deutscher Heilpraktiker (UDH) in Hessen, ist der Mensch einerseits Produkt seiner Gene und andererseits auch geprägt durch soziale, kulturelle und religiöse Einflüsse. Hinzu kommt das Leben – etwa das Älterwerden mit seinen physischen und psychischen Folgen. Allein für die Heilpraktiker beansprucht Gerhardus diese Art der Betrachtung keineswegs. Genauso könne durchaus auch ein Schulmediziner behandeln. Die Frage ist: Tut er das auch?

Prof. Dietrich Grönemeyer stellt das zumindest infrage. Eine zunehmend spezialisierte Medizin verliere solche Aspekte aus dem Blick, sagt er. Der Arzt aus Bochum hat gerade ein Buch zu ganzheitlicher Heilkunst herausgebracht und sagt: „Wir Schulmediziner behandeln den Patienten zu oft nur funktionell und unter Ausnutzung aller Möglichkeiten der modernen Gerätemedizin. Das ist einerseits richtig. Andererseits bleibt uns so kaum noch Zeit für das Gespräch mit dem Patienten.”

Genau das sei aber entscheidend für eine ganzheitliche Medizin – da sind sich die Experten einig. Für den Patienten heißt das: Augen auf bei der Wahl des Arztes. Vor allem der Hausarzt sei entscheidend für eine ganzheitliche Versorgung. Er hält die Fäden in der Hand, kennt die Vorgeschichte seiner Patienten und ist in der Lage, Zusammenhänge herzustellen.

Arzt solle kein Fachchinesisch sprechen

Aber woran erkennen Patienten, dass ihr Arzt so behandelt? Ein guter Hausarzt nimmt seine Patienten ernst, sagt Gehrke-Beck. Wie reagiert er, wenn der Patient eine Empfehlung anzweifelt? Was, wenn der Patient sagt: „Das möchte ich nicht”? Wischt der Arzt solche Bedenken einfach vom Tisch, ist er vielleicht nicht der richtige, gibt sie zu bedenken. Grönemeyer zufolge ist wichtig, dass der Arzt die Sprache des Patienten spricht, kein Fachchinesisch. „Er sollte auch versuchen, meine Selbstheilungskräfte zu aktivieren, gleichzeitig aber die Grenzen aufzeigen und dann auch klar entscheiden: Kernspin, Katheter oder Operation.”

Für manche Patienten gehören zur Ganzheitlichkeit allerdings auch alternative Heilmethoden wie Akupunktur oder Phytotherapie, die nicht jeder Haus- oder Facharzt anbietet. Hat jemand an solchen Methoden Interesse, sollte er das dem Mediziner gegenüber offen ansprechen. „Nur wer ehrlich gegenüber dem Hausarzt ist, hat auch die Chance auf eine ganzheitliche Versorgung”, sagt Gehrke-Beck.

Urteilen sollte der Hausarzt darüber nicht, aber er kann seine Bedenken mitteilen. Beispielsweise kann er erklären, inwiefern die Wirksamkeit einer Methode wissenschaftlich bewiesen ist. Schließlich bezahlen Patienten solche Therapien in der Regel aus eigener Tasche. Manches kann aus Gehrke-Becks Sicht auch schaden – etwa weil es den Patienten in eine passive statt in eine aktive Rolle drängt. Der Hausarzt kann ihr zufolge also auch als Berater dienen.