StartseiteRatgeberJägerschnitzel – Streit im Netz um ein Stückchen Fleisch

Ost und West

Jägerschnitzel – Streit im Netz um ein Stückchen Fleisch

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Die wichtigsten Themen bei Twitter? Am Mittwoch gehörte das Jägerschnitzel dazu. Jagdwurst oder Pilzsoße? Auch nach 30 Jahren deutscher Einheit bleibt der Konflikt zwischen Ost und West.
Veröffentlicht:23.09.2020, 18:34

Artikel teilen:

Der Tag der Deutschen Einheit steht bevor – und in Deutschland wird mal wieder über Ost, West und die Unterschiede gestritten. Auf Twitter ging es am Donnerstag aber nicht um Sozialismus, Einheitsparteien oder Kitas. Unter den Trends fand sich ein wesentlich bodenständigeres Thema: das Jägerschnitzel.

Lesen sie auch: Feiern zum 30. Jahr der Deutschen Einheit eröffnet

Eine hitzige Debatte auf Twitter

Worunter der Westdeutsche (fälschlicherweise) ein Stück plattgeklopftes Fleisch mit Panade und Pilzsoße versteht, bestellt der Ostdeutsche mit dem Begriff ein gebratenes Stück Jagdwurst (mal mit und mal ohne Panade). Ein deutsch-deutscher Unterschied, den auf Twitter erstaunlich viele Menschen ernst nehmen und der in teils aggressiven Kommentaren mündete.

Lesen Sie auch: Gerecht ist anders - Warum der Osten weiter abgehängt wird

Dabei ist es doch so: Weil es letztlich um Geschmack geht, gibt es vielleicht keine richtige, aber sehr, sehr viele unterschiedliche Meinungen zum Thema Jägerschnitzel. Ein paar davon, haben wir in der Redaktion des Nordkurier gesammelt.

Mirko Hertrich, Chefreporter in der Neubrandenburger Lokalredaktion, kann sich im Schnitzel-Streit nicht so recht frei von seiner kulturellen Prägung machen. Dafür hat er andere Ost-Gerichte längst lieben gelernt:

„Das West-Jägerschnitzel zählt nicht zu meinen absoluten Leib-und-Magen-Speisen, ich würde es der Ost-Variante aber doch vorziehen. Meine Theorie ist, dass das Ost-Jägerschnitzel in Vor- und Nachwendezeiten das beliebteste Essen in den Kantinen der Schulen war und deswegen Generationen damit aufgewachsen sind. Anders kann ich mir die Begeisterung der Kollegen nicht erklären, wenn Jägerschnitzel auf der Speisekarte steht und sie darüber fabulieren, ob die Jagdwurst gebraten oder gedünstet wird.

Mir fehlt die Paprika, die von einem Jägersmann waidgerecht zur Strecke gebracht wurde oder so. Und ist die Soße eigentlich die gleiche wie beim Wurstgulasch? Auch ein Nationalheiligtum im Osten, das ich im Zuge meiner „Ossimilierung” immer mehr für mich entdecke. Aber meine wahre kulinarische Offenbarung im Osten der Republik ist und bleibt Soljanka. Die säuerlich-scharfe Suppe muss man probiert haben. Und natürlich Hackepeter mit schön viel Zwiebeln.”

Unser Redakteur Carsten Schönebeck dagegen müht sich seit Jahren um die Bekehrung der Ungläubigen zur Jagdwurst:

Es ist ja schon sprachlicher Unsinn. Zu den wesentlichen Merkmalen des Jägerseins zählt es nämlich nicht, besonders würzige Pilzsößchen zu kochen. Was der Westdeutsche sich dabei gedacht hat, wird wohl auf ewig sein Geheimnis bleiben. Auch dass der Jäger sich – auf dem Hochsitz – ein Stück Kalbsoberschale dünn klopft, dabei die Rehe verscheucht, und anschließend das Fleisch in Ei und Mehl wendet, scheint mir eher unwahrscheinlich. Das Stück grobe Wurst entspricht da schon eher der rustikalen Jagd-Logik.

Und kulinarisch ist es allemal das bessere Gericht, für das ich im Westen werbe, seit ich es vor 15 Jahren erstmals in der Greifswalder Mensa essen durfte. (Ja, ich war auch überrascht, als ich sah, was ich da angeblich bestellt hatte.) Dass der typische Westdeutsche bei der Beschreibung einer gebrutzelten Jagdwurst die Nase rümpft, ist für mich völlig unverständlich. Ich weigere mich aber, es als Ausdruck von Arroganz zu werten. Sie wissen es eben einfach nicht besser. Insofern steht allen Fans des Ost-Schnitzels noch ein steiniger Weg der Missionierung des Westens bevor. Ich jedenfalls bin sicher: Auf lange Sicht setzt sich der Osten durch – zumindest in der Schnitzelfrage.

Und unser neuer Kollege Alexander Drößler hat erst vor wenigen Tagen seine ersten Schnitzelerfahrungen im Osten gemacht – und sucht nun nach legalen Bezugsquellen für Pilze:

Gerade frisch aus Ostwestfalen nach Neubrandenburg gezogen, freute ich mich auf ein schönes Jägerschnitzel mit den Kollegen in der Mittagspause. Doch ich staunte nicht schlecht, als ich auf den Teller schaute. Nudeln in Tomatensauce und dazu etwas, dass ich zuvor noch nie gesehen hatte und das aussah wie ein Kartoffelpuffer, waren definitiv nicht das, was ich erwartet hatte. Wo waren die Pommes, die braune Sauce mit Pilzen und das schöne Schnitzel? “Ist doch Jägerschnitzel”, klärten mich die Kollegen auf. Wie bitte? “Ja, panierte Jagdwurst.” Das fleischhaltige Etwas kurz skeptisch beäugt, nahm ich den ersten Bissen und dachte ostwestfälisch-bodenständig: “Schmeckt wie eine Bratwurst, aber kann man essen.” Nur wo ich jetzt mein Wessi-Jägerschnitzel herbekomme, konnte mir noch niemand verraten. Denn das wäre zur Abwechslung trotzdem mal wieder schön. Haben Sie einen Tipp?