Gerade als Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) im Radio die Ergebnisse des MV-Gipfels in Sachen Corona-Einschränkungen bekanntgab, nahm sich eine Mitarbeiterin der Vorpommerschen Landesbühne die Besucher der Premiere von „Der Zorn” vor. Am Samstag gegen 19 Uhr zog sie jedem der rund 50 Gäste in der Zinnowitzer Blechbüchse eine Probe für den persönlichen Schnelltest aus beiden Nasenlöchern. „Den gebe ich Ihnen jetzt mit. Und wenn sie nach zehn Minuten einen Strich sehen, sind sie negativ. Bei zwei Strichen positiv.”
Das Warten auf den erlösenden Strich
Während Glawe weitere Verschärfungen der Corona-Regeln aufgrund steigender Inzidenzzahlen referierte, wartete auch ich auf den erlösenden einen Strich, der dann tatsächlich nach zehn Minuten auf dem Plasteplättchen aufschimmerte. Dem Besuch der theaterinternen Voraufführung stand nichts mehr im Wege. Die Absolventen des vierten Studienjahres hatten „Der Zorn” der aus Georgien stammenden Autorin Nino Haratschwili eingeübt. Geprobt wurde unter Corona-Regeln – mit Abstand, mit Maske und mit regelmäßigen Schnelltests für Theater-Mitarbeiter, sagt Pressesprecherin Martina Krüger.
„Der Zorn” soll zu Nachdenken anregen
Natürlich fordert der Titel „Zorn” einen Blick auf das aktuelle Deutschland heraus: Zornig sind viele Menschen angesichts der Corona-Krise und der durch die Regierungen verhängten Einschränkungen. Nino Haratschwili hat ihr Stück aber bereits 2010 geschrieben, als niemand dieses Virus und seine weltweiten Folgen erahnen konnte. „Zorn” interpretiert Regisseur Oliver Trautwein daher auch allgemeingültiger: „Wir alle schleppen viel veralteten, verkursteten, gesellschaftlich verordneten Ballast mit uns herum.” Deshalb könne das Stück dazu anregen, über eine mögliche Reform unseres MIteinanders nachzudenken.
Verweis auf die Luca-App etwas versteckt
Vor dem Nachdenken loggten sich vereinzelte Besucher in die Kontaktverfolgungs-App Luca ein – das Schild samt Luca-QR-Code hätte durchaus auffälliger platziert werden können -, um anschließend auf die vorgesehenen Plätze eingewiesen zu werden. Die waren für die nicht öffentliche Aufführung auf Abstand gehalten, nur jede zweite Reihe war besetzt. Zwischen jedem besetzten Sitz lagen mindestens drei leere. Pärchen durften zusammensitzen. Maskenpflicht war angesagt. Eine Stunde und 15 Minuten unter einer FFP2-Maske können ziemlich anstrengend werden.
Verdienter Applaus für die Studenten
Trotzdem, der Theatergenuss ist nach einer persönlichen einjährigen Pause wieder zu spüren, die geheimnisvolle Verbindung, die sich zwischen Schauspielern und Besuchern herstellt. „Zorn” präsentiert Menschen auf einer kargen Bühne, die Haus, Wald und Gefängnis zugleich ist, in Ausnahmesituationen: Das zerstrittene Ehepaar, das den kleinen Sohn vermisst. Der Polizist, der auf brutale Art einen jungen Mann verhört, der mit einer selbst gebastelten Bombe ein Flugzeug stoppt. Die reiche aber unglückliche Unternehmersfrau, die sich mit einer Hotelangestellten anfreundet. Die einzelnen Szenen, pointiert abgespielt und sich wiederholend wie in einem Film, fügen sich allmählich zu einem Netz, zu einem Beziehungsgefüge voller Probleme. Die jungen Schauspieler zeigen, was Theater vor allem ausmacht: Gefühle beim Publikum auszulösen. Dafür gab es verdienten und reichlichen Applaus für die Eleven, die sich nun in einer ungewissen Zeit für die Schauspielkunst bewerben müssen.
Kann es auch eine Theater-Blase geben?
Das Schauspiel-Experiment unter Corona-Bedingungen ist gelungen. Vielleicht können die Theater die Politiker ja doch davon überzeugen, dass sie in der Lage sind, zumindest für einen Abend einen virusfreie Blase zu bilden, immerhin begeben sich die Profi-Fußballer in ihren Blasen ja sogar auf weite Auslandsreisen bis nach Katar.
Kommentare (1)
Was für ein Aufwand
Wenn die Politik weitere Vorstellungen trotz schlüssiger Konzepte verhindert, findet das Theater mit steigenden Teilnehmer ZAHLEN auf der Straße statt.