Literatur-Rezension
Geschichten um Liebe und Opportunismus in der Diktatur
Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Roland Gutsch
„Hol der Deiwel dieses Leben, kann der Mensch nicht mal mehr Magd werden”, verflucht Kali, die ihren prügelnden Säufer-Ehemann verlassen hat und nun bei dem Rosenzüchter Vilmos knechten möchte, die neue Mode, als gleichwertig, wenn nicht sogar als eine „Persönlichkeit”, angesehen zu werden. „Seit überall dieser Kommunismus ist”, gerate ihr „der Kopf so durcheinander”.
In der bäuerlichen Gegend unweit der Stadt Kolozsvár – die frühere ungarische Provinz gehört zu Rumänien – soll Ende der 1940er der Rückständigkeit mit Gewalt der Garaus gemacht werden und der sogenannte Fortschritt einziehen. Heißt: Auch Siebenbürgen wird höchst unsanft sowjetisch verformt.
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Die rumänisch-ungarische Schriftstellerin Andrea Tompa (51) lässt in ihrem knapp 1000 Seiten starken Roman „Omertà” auf literarisch außergewöhnliche Weise diese Phase rumänischer Diktatur lebendig werden. Vier kleine Leute, emotional verbunden, erzählen als „Ich” nacheinander ihre Geschichten. Voll geständig, grundehrlich beichtend, nachgerade körperlich präsent. Wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Rau, anrührend, traurig, bisweilen heiter. Was, zumal in der feinen Übersetzung aus dem Ungarischen von Autorenkollegin Terézia Mora, ein großes Lektüre-Ereignis ergibt.
Ein bekennender Mitläufer
Neben besagter Kali, die stolz auf ihre Begabung als Berichterstatterin lehrreicher Unglaublichkeiten ist, spielt der grüblerische Gärtner Vilmos eine wichtige Rolle. Der liebt seine Rosen, seine Ruhe, auch die Frauen, und kann/mag sich kaum des Aufstiegs, den ihm der Stalinismus beschert, erwehren. Ein bekennender Mitläufer, ausgestattet mit einem Näschen dafür, ob es „ideologisch passt”.
Zudem erscheint Feldarbeiterin Annuschka auf der Bildfläche, 16, Halbwaise, arm, herzzerreißend unglücklich, vernarrt in Vilmos, der so anders ist als andere. Ein Mann, der nicht trinkt! Annuschkas Schwester Eleonóra, die vierte Erzählstimme, ist Nonne. Ihr katholisches Kloster wird dicht gemacht, sie selbst widersteht dem Opportunismus und kommt in Haft. Angesagt sind nun die „kommunistischen Priester”.
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„Man konnte das eigene Leben einfach nicht mit der Zeitung zusammenbringen.” Die Zwangskollektivierung und Enteignungen nämlich mit versprochener Freiwilligkeit. Wie böse diese angeblich gerechte Welt war, in der Menschen willkürlich „von zu Hause weginterniert” wurden. Statt um Freiheit geht es um Linientreue, ob auf dem Gemüsemarkt oder im Theater. Vilmos muss der Securitate, Rumäniens Staatssicherheit, seine Rosen-Leidenschaft verklickern – zu Zeiten, da vitaminreiches Obst benötigt wird.
Aus vier Perspektiven
Wie Demütigung, Erpressung, Bedrohung, Verlust innerer Unabhängigkeit im Kleinen funktioniert – dieser Roman setzt ein komplexes Bild davon zusammen. Erstaunlich, wie unterschiedlich aus den vier Blickwinkeln gemeinsames Erleben seelisch nachwirkt.
In den vergangenen drei Jahrzehnten sind nicht wenige Romane veröffentlicht worden, die die Stalin-Jahre und die Folgezeit im Ostblock thematisieren. „Omertà” hat einen großen Vorzug: Diese Prosa schlaumeiert nicht. Da richtet kein – im Nachhinein – Alles(besser)wissender über jene, denen es um schlichtes Über-/Weiterleben ging. Kein Vonobenherab des Intellektuellen auf derbe Helden. Andrea Tompa lässt auf Augenhöhe erzählen. Hier wird vom Leser Empathie nicht eingefordert – sie stellt sich ein.
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Tompa erweist sich mit ihrem ersten Werk, das auf Deutsch erschienen ist, als eigentümliche, meisterhafte Literatin, in eine Reihe gehörend mit Ungarns Könnern à la Péter Nádas, Imre Kertész und Péter Esterházy. Gern würde man mehr von ihr lesen.
Andrea Tompa: Omertà. Suhrkamp Verlag Berlin, 2022. 954 Seiten, 34 Euro. ISBN 978 – 3 – 518 – 43061 – 3.