Eine „Spielwiese“ für vielstimmige Freiheit
Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Für Mark ist Freiheit die eigene Wohnung, wo der 35–jährige Rollstuhlfahrer nur gern ohne Anfeindungen aus der Nachbarschaft leben will. Für Verkäuferin Ivette bedeutet Freiheit, tun zu können, was sie möchte, und sagen zu können, was sie denkt. Autohaus–Mitarbeiter Martin empfindet Freiheit beim Segeln, Schauspieler Thomas am Meer, Aufhilfstechniker Emmanuel beim Radfahren mit dem Wind im Gesicht, die 19–jährige Vanessa nach dem Abitur, als sie endlich dem schulischen Notendruck entrinnt, Revierförsterin Anne in der Natur, wo sie „sein kann, wie ich bin“.
Ein faszinierendes Spektrum wird aufgefächert im „Archiv der Freiheit“, das die Theater und Orchestergesellschaft Neubrandenburg/Neustrelitz (tog) ihrem ambitionierten Schauspielprojekt „Preis der Freiheit“ als Internetformat vorausschickt: In ein– bis zweiminütigen Videoclips geben Menschen aus der Region Auskunft darüber, wann sie sich zum letzten Mal richtig frei gefühlt haben, was Freiheit für sie bedeutet und wodurch sie sie eingeschränkt oder bedroht sehen.
Wirklich frei gefühlt habe sie sich zuletzt vor 2020, bekennt da etwa Floristin Martina. Die Corona–Pandemie und die politische Weltlage, Krieg und Inflation werden häufig als Bedrohungen des Freiheitsempfindens genannt, und die 44–jährige Anne erinnert auch an den berühmten philosophischen Satz, die eigene Freiheit ende dort, wo die des anderen beginnt.
Was kann Freiheit alles bedeuten?
Von Schülern bis zu Rentnern sind alle Altersgruppen, von Angestellten bis zu Künstlern viele Berufe vertreten unter den bereits mehr als 50 Stimmen, zu denen sich gern weitere gesellen dürfen. Schon jetzt spiegeln sie, was auch die Theaterleute herausfordert: ein unermesslich weites Feld all dessen, was Freiheit bedeuten kann.
„Welche Freiheit meinen wir? Aus welcher Perspektive blicken wir darauf?“ fragt denn auch Schauspieldirektorin Tatjana Rese, die das Projekt gemeinsam mit Dramaturg Joris Löschburg und dem Autor Matthias Eckoldt bereits über viele Monate und diverse Textfassungen entwickelt hat.
Das ganze Schauspielensemble der tog wird mitwirken in dem mosaikhaft angelegten Stück, das unterschiedlichste Facetten in den Blick nimmt: ein individuelles ebenso wie ein gesellschaftliches, ein soziales, politisches oder auch philosophisches Verständnis von Freiheit samt der Frage, wo Freiheit Grenzen hat, ob sie nicht etwa eine Illusion ist und wer welchen Preis dafür zahlt.
„Unsere Freiheit hat an Selbstverständlichkeit verloren“, kommentiert Tatjana Rese die Gegenwart. Joris Löschburg verweist auf historische Zäsuren, die dem Begriff der Freiheit besondere Bedeutsamkeit verleihen — wie zuletzt jener von 1989/90 aus Ausgangspunkt des Stücks.
Lediglich acht Aufführungen geplant
Ziel ist ein offener, diskursiver Abend, für den sich das Schauspielhaus Neubrandenburg in „ein Labor, einen Gedankenraum, eine Spielwiese“ verwandeln soll, ohne herkömmliche Guckkastenbühne und ohne herkömmliche Dramenstruktur. Ausstatter Norbert Bellen formt da das Wort Freiheit aus beweglichen, bespielbaren Buchstaben, die etwa als Käfig, Regal oder Bar dienen können; der Musikalische Leiter Thomas Wolter nimmt nach Abwahl unzähliger, oft klischeehafter Lieder zum Thema Freiheit „das älteste überlieferte und schon vielfach veränderte“ in den Blick: „Die Gedanken sind frei“.
Zu den lediglich acht Aufführungen in Zeitraum vom 21. April bis 7. Mai gesellen sich ein Rahmenprogramm unter anderem mit dem Hope Theatre aus Nairobi, dem Liedermacher Stephan Krawczyk und einer Podiumsdiskussion. Bereits online zugänglich sind ein Podcast mit mehreren Gesprächen sowie das vielstimmige Archiv der Freiheit, von dem Rese hofft, dass viele Besucher ihm weitere Sichten hinzufügen.