Dekoration und Brauchtum
Sprechende Märchenfiguren für die ganze Welt
Schwerin / Lesedauer: 4 min

Deutsche Presse-Agentur
Auf einem Fließband laufen runde Törtchen in eine Maschine und kommen auf der anderen Seite bunt verziert wieder heraus. Nebenan rühren kleine Zuckerbäcker in Uniformen neuen Teig. Die kleinsten Backmeister arbeiten jedoch im Keller der Fabrik: Blaue Mäuse mit Kochmützen, die Zutaten stibitzen und in ihre eigene Küche bringen. Was nach Märchen oder Disney-Film klingt, ist die Szenerie in der „Sweet Factory“, einem Schaustück der Figurenbau-Werkstatt von Hippel in Schwerin.
Von Schwerin in die weite Welt
Wie alles, was die Werkhalle des Ehepaars von Hippel verlässt, ist die Zuckerbäckerfabrik handgemacht. Geschäfte, Einkaufszentren, Freizeitparks und Märkte beliefert die Firma mit einzelnen Figuren oder auch kompletten, dekorativen Szenen. Viele der Figuren bewegen sich, einige können auch reden.
„Wir sprechen mit unseren Figuren Familien an“, erzählt Firmengründer Harald von Hippel. Neben Märchenthemen für die Weihnachtszeit seien auch Figuren rund um Ostern beliebt. Seit 1993 baut das Ehepaar von Hippel die teils lebensgroßen Schaustücke, gegründet wurde die Firma ursprünglich in Wesel am Niederrhein.
Harald von Hippel ist Dekorateur und hatte zuvor Make-up für Schaufensterpuppen gestaltet. Farben und Lacke gehören auch heute zu seinem Aufgabenbereich: Zombies verleiht er blutige Gesichter, Lebkuchenmännern ein freundliches Lächeln. Seine Ehefrau Kathrin ist gelernte Goldschmiedin. In ihrer Näherei erhalten die Figuren detailreiche Kleider. „Die Techniken eignet man sich mit der Zeit an“, erzählt sie. Herausfordernd sei beispielsweise sehr kleine Kleidung für Zwerge.
Corona-Pandemie traf Geschäft hart
Da die von Hippels nach eigenen Worten mehr Platz brauchten, zog das Unternehmen 2014 in das Schweriner Gewerbegebiet. In der 3000 Quadratmeter großen Halle sind stets mehrere Projekte parallel in Arbeit. „Das geht nur im Team“, sagt Kathrin von Hippel.
Die Corona-Pandemie habe das Geschäft schwer getroffen, berichtet ihr Mann. „Unsere ganze Kundschaft war ja sozusagen mit Berufsverbot belegt“, meint er. Geschäfte blieben damals geschlossen, Schausteller sagten Märkte ab. Vor der Pandemie hätten zwölf Menschen in der Firma gearbeitet, ihn und seine Frau eingerechnet. Nun seien es noch sieben.
Die Auftragslage bei den Einkaufszentren und Kaufhäusern sei auch weiter schwierig. „Ich vermute, dass das auch mit den gestiegenen Energiekosten zusammenhängt“, sagt er. Märchen- und Freizeitparks dagegen investierten nach der Pandemie viel in ihre visuelle Gestaltung. „Aber da zahlen die Kunden ja auch direkt für das Erlebnis“, betont von Hippel.
Die Kaufhäuser seien in einer Krise, bestätigt auch Angela Krause vom Deutschen Ladenbau Verband (dLv). „Auch die Shoppingcenter, die am ehesten Platz für figürliches Handwerk haben, stehen nicht gut da. In den vergangenen Jahren ist in den Städten ein Shoppingcenter nach dem anderen entstanden, aber seit ein paar Jahren stagniert die Entwicklung“, sagte sie. Betreiber hätten oft Mühe, dauerhafte Mieter für die Einkaufszentren zu finden.
Kunden auf der ganzen Welt
Eine Zurückhaltung bei der Gestaltung der Läden wegen Pandemie-Auswirkungen oder des Ukrainekriegs bemerke der Verband jedoch nicht. Wer aktuell bauen wolle, spare nicht ausgerechnet an einer stimmigen Gestaltung der Verkaufsflächen. „Denn: Der erste Eindruck zählt!“, betonte Krause.
Das Wirtschaftsministerium verwies darauf, dass das Land die Städte unterstütze, um Kaufkraft in den Regionen zu halten. „Innenstädte sind Erlebnisräume, die wir erhalten müssen“, teilte Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) auf Anfrage mit. Aktuell gebe es ein Paket von vier Millionen Euro für 34 Kommunen im Nordosten. Damit sollten etwa die Stellen sogenannter Citymanager und Veranstaltungen in den Städten bezahlt werden.
Die Figuren aus Schwerin sind indes nicht nur für Kunden im Nordosten gedacht, sondern werden auch international verkauft. Für die aktuelle Weihnachtssaison haben die von Hippels beispielsweise eine komplette Märchenwelt inklusive Schlosskulisse für ein Gartencenter in der Schweiz gestaltet. Eine Agentur für ein Kaufhaus in Dubai hat zwei große Lebkuchenmänner bestellt, die Geschichten vorlesen. Die bisher weiteste Lieferung ging nach Neukaledonien im Südpazifik.
Einen eigenen Wunsch hat sich das Ehepaar in diesem Jahr mit der Zuckerbäckerfabrik erfüllt. „Die wollten wir immer schon mal bauen“, sagt Harald von Hippel. An dem sechsteiligen Schaustück arbeite das Team seit dem Frühsommer. Eine Produktion ohne Auftraggeber anzufangen, sei unüblich. „Aber nach 30 Jahren im Geschäft kann man sich das schon mal erlauben“, meint von Hippel. Die "Sweet Factory" soll das Weihnachtssortiment künftig erweitern.