Fossilien im Nordosten
Versteinerte Kopffüßer und mehr lassen sich in MV finden
Pasewalk / Lesedauer: 3 min

dpa
Es ähnelte einem Pferd oder einer Ziege, aber mitten auf seiner Stirn wuchs ihm ein spitzes Horn, dem geheimnisvolle Zauberkräfte innewohnten – so kannte man das Einhorn. Jenes Geschöpf zählte einst zu den edelsten aller Fabeltiere und beherrschte jahrhundertelang die christliche Mythologie. Selbst nach dem Mittelalter glaubten viele noch an die reale Existenz des Einhorns. Immer wieder entdeckt man es auf Gemälden und Grafiken aus jener Zeit und die Zahl der literarischen Werke, die sich jenem Tier widmeten, ist kaum überschaubar.
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Wie der Glaube an jenes Fabelwesen entstand und warum er so viele Jahrhunderte Teil der europäischen Kultur war, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Schon in frühen buddhistischen Texten wird das Einhorn erwähnt, und auch in der altindischen Mythologie findet man jenes geheimnisvolle Tier.
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In Deutschland sowie in ganz Europa war es schließlich die Bibel, die für die Popularität dieses Tieres sorgte. Mit dessen Erwähnung im Alten Testament wurde das Fabeltier zur Realität, die man nicht anzweifelte.
Verstärkt wurde der Glaube an das Einhorn durch Augenzeugenberichte, die Begegnungen mit jenem Geschöpf schilderten. So beschrieb Marco Polo (1254 bis 1324) in seinen Reiseberichten die Beobachtung eines Einhorns auf der Insel Sumatra. Wahrscheinlich war er einem der dort lebenden Nashörner begegnet. Neben dem Stoßzahn des Narwals, dessen Gewicht sich einige clevere Händler mit Gold aufwiegen ließen, nutzte man auch Fossilien, um die Existenz des Einhorns zu beweisen. Zu den Versteinerungen, die den Glauben an jenes gehörnte Fabeltier förderten, gehörten auch die sogenannten Geradhörner.
Diese von Wissenschaftlern als Orthoceren bezeichneten Versteinerungen sind die Überreste von tintenfischartigen Organismen, die vor mehr als 450 Millionen Jahren die Tiefen der Meere bevölkerten. In unserer Region sind diese Fossilien in unterschiedlicher Form recht häufig zu finden.
Talisman gegen böse Geister und Krankheiten
Auf Spaltflächen großer Kalksteinplatten oder in faustgroßen abgerollten Geschieben vom Lesesteinhaufen am Feldrain, überall in Mecklenburg-Vorpommern kann man versteinerte Überreste jener ausgestorbenen Meeresbewohner entdecken. Die am Kopf befindlichen Fangarme, mit denen sie einst ihre Beute ergriffen, haben die Zeiten allerdings nicht überdauert. Erhalten blieben nur jene lang gestreckten Gehäuse, die schon die Aufmerksamkeit unserer Vorfahren erregten. Waren diese „steinernen Hörner“ eventuell Überreste des sagenhaften Einhorns?
Eine Kalksteinplatte bei Pasewalk (Landkreis Vorpommern-Greifswald) zum Beispiel bewahrte ein 40 Zentimeter langes „Einhorn“. In einem Lesesteinhaufen in den Brohmer Bergen waren im rötlichen Kalkstein Reste von Geradhörnern deutlich sichtbar.
Fehlendes Wissen führte damals schnell zu diversen fantastischen Deutungen. Ein weiterer Beweis für die Existenz des Fabeltieres schien gefunden, und der Aberglauben erhielt neue Nahrung. Als Folge dessen nutzte man die steinernen Funde noch lange Zeit als Talisman und Amulett, um sich vor bösen Geistern und Krankheiten zu schützen.
Wer heute den Rest eines fossilen Kopffüßers am Wegesrand findet, sollte sich freuen, ein Stück Erd-, aber auch Kulturgeschichte entdeckt zu haben.