Buch–Tipp
Wie sich eine Frau tatsächlich tot gespart hat
Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Roland Gutsch
Sie hat sich — im wahrsten Wortsinn — totgespart. Rajka Radaković knauserte selbst bei der medizinischen Behandlung ihrer schweren Herz–Erkrankung. Ein Geiz, der nicht geil, sondern fatal war. „Das Fräulein“ aus Sarajevo, titelgebende Protagonistin in dem nun in einer Neuauflage vorliegenden Roman des bosnischen Nobelpreisträgers Ivo Andrić (1892—1975), bricht mit grotesk–letaler Konsequenz in eine literarische Männer–Domäne ein — dieser Geizhals ist weiblich.
Drei Romane brachten schlagartig Erfolg
Andrić schrieb zwischen 1941 und 1944 in seiner Zurückgezogenheit während der deutschen Besetzung Belgrads drei Werke, die sogenannte „Bosnische Trilogie“, die ihm mit Veröffentlichung unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs schlagartig Renommee verschafften. Wobei der Longseller „Die Brücke über die Drina“ und der ebenfalls historische Roman „Wesire und Konsuln“, die das Mit–, Neben– und Gegeneinander von Orient und Okzident in der bosnischen Provinz blühen ließen, mehr Sonne abbekamen als sein erschreckend schroffes „Fräulein“.
Eine wahnhafte Pfennigfuchserin
Dabei ist mit besagter Kaufmannstochter Rajka eine „Heldin“ entstanden, die an Verbohrtheit, Tragik und Sperrigkeit in der Literatur ihresgleichen sucht. Das 20. Jahrhundert ist noch jung, da schwört „Das Fräulein“ ihrem bankrotten Vater am Sterbebett größtmögliche Sparsamkeit, unbarmherzig sich und anderen gegenüber. Keine leeren Worte. Der Teenager mutiert zu einer wahnhaften Pfennigfuchserin. Ausgaben bereiten ihr Schmerz — seelisch (und physisch!). Entsagung empfindet sie als Genuss, emotional wird's einzig zwischen Daumen und Zeigefinger. Geldhandel, Spekulation, Zinswucher, selbst Sockenstopfen, vermögen Rajka in Rausch zu versetzen. Ihre Welt ist eine Konto–Angelegenheit, jeder Fremde ein potenzieller Bettler.
Mit Ende des Krieges versiegt ihre Profit–Quelle
Das Schlimmste am großen Krieg, der 1914 per Thronfolger–Attentat in ihrer Heimatstadt ausgelöst wird, ist nach Rajkas Empfinden, dass er nach vier Jahren endet und damit eine Profit–Quelle versiegt. Als Kriegsgewinnlerin geächtet, zieht sie ins prosperierende Belgrad. Dort geschieht das novellistisch Unerhörte: Die (mittlerweile) alte Jungfer, die „das weibliche Bedürfnis, sich zu schmücken und zu verschönern“ nicht kennt, geht einem jungen Scharlatan auf den Leim. Umso härter arbeitet sie nach der Enttäuschung und dem Verlust an sich. Sie hungert, hökert, hortet im Finsteren — und wird ein Opfer eigener Radikalität.
Zum Groschenzähler–Monster mutiert
Raffgier in allen Spielarten, die mit charakterlicher Verkümmerung einhergeht — bis in die letzte Verästelung forscht Ivo Andrić den Groschenzähler–Mikrokosmos seiner Zentralfigur aus. Die mutiert in ihrer Selbstsucht zum Monster — blind für Geschichtsläufe, an deren Tropf sie hängt.
Das ist ein anderer Andrić als der bekannte — doch nicht weniger meisterhaft. Der Großautor, seinerzeit in der Kritik als Anhänger des jugoslawischen multi–ethnischen Staatsgedankens, ist nach wie vor der meist-übersetzte Schriftsteller der südslawischen Literaturen.
Ivo Andrić: Das Fräulein. Zsolnay Verlag, Wien, 2023. 272 Seiten, 28 Euro. ISBN 978 — 3 — 552 — 07341 — 8.