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Bürgermeisterwahl

Wer gibt in Greifswald künftig die Richtung vor?

Greifswald / Lesedauer: 6 min

Mit der Oberbürgermeisterwahl in Greifswald begann vor sieben Jahren ein Tal der Tränen für die CDU in Vorpommern. Jetzt gibt es die Chance, den Chefsessel im Rathaus zurückzuerobern.
Veröffentlicht:11.06.2022, 09:00

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Rund 240.000 Menschen leben im Landkreis Vorpommern-Greifswald, jeder vierte in der Kreisstadt Greifswald. Es ist politisch bedeutsam, hier den Ton anzugeben. Doch die Oberbürgermeisterwahl vor sieben Jahren läutete zunächst das Ende einer politischen Ära ein, der jahrzehntelangen CDU-Dominanz in Vorpommern. Sie brachte die Region zudem mit dem kuriosen Gerichtsprozess um eine verrutsche Fußmatte an einem Wahllokal in die bundesweiten Schlagzeilen.

Mit Stefan Fassbinder wurde ein Grüner Bürgermeister der Hansestadt, in der Nicht-CDU-Bewerber zeitweise als reine Zählkandidaten galten. Und für die Christdemokraten in Vorpommern ging es damit strikt bergab. Bei Wahlen auf Kreis-, Landes- und Bundesebene verlor man Prozente und Mandate. Zunächst vor allem an die AfD, zuletzt sogar an die SPD, die im Osten des Bundeslandes lange ein Nischendasein fristete.

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Nun bietet sich für die CDU die Chance, das Blatt zu wenden und von Greifswald aus verlorenes Terrain zurückzuerobern. Zwischen sieben Kandidaten können die Einwohner der Kreisstadt entscheiden. Vieles spricht aber dafür, dass sich Amtsinhaber Fassbinder, der von Grünen, Linken und SPD im Wahlkampf unterstützt wird, wenige Sorgen um seine berufliche Zukunft machen muss.

Gemischte Bilanz des Bürgermeisters

Dabei fällt die Bilanz des grünen Rathaus-Chefs durchaus gemischt aus. Allein die hohe Zahl der Gegenkandidaten ließe sich als Zeichen deuten, dass Fassbinder, der einst angekündigt hatte, eine oft streitende Stadtgesellschaft zusammenzubringen, damit gescheitert ist. Politik für ein linkes Klientel, das wirft ihm nicht nur die CDU vor. Immer wieder gab es Klagen, dass Fassbinder den enormen Verwaltungsapparat der Kreisstadt kaum im Griff habe. Im Rathaus liefe die Arbeit mal chaotisch, mal bürokratisch und selten bürgernah. Vorwürfe, die der Amtsinhaber von sich weist. Ja, die Bürokratie bremse vieles aus. Doch das habe häufig mit den Rahmenbedingungen zu tun, die von anderen politischen Ebenen kämen.

Besonders schwierig werde es, wenn Fördermittel mit im Spiel sind. Er fordere deshalb seit Jahren, dass Bund und Land einen Teil der Förderprogramme abschaffen und diese Gelder direkt den Kommunen zukommen lassen. Das würde Zeit, Arbeit und Geld sparen. „Ich ärgere mich zum Beispiel, dass wir als Kommune nicht selbst festlegen können, wo Zebrastreifen, Anwohnerparken oder Tempo 30-Zonen eingerichtet werden.“ In den Jahren seiner Amtszeit habe es Greifswald trotzdem geschafft, „zu einer innovativen und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Stadt geworden zu sein“, lobt sich Fassbinder selbst. Als sichtbare Zeichen des Aufschwungs nennt er neue Sporthallen, die sanierte Ernst-Moritz-Arndt-Schule, das neue Stadtarchiv und eine Vielzahl sanierter Straßen sowie den Umbau der einstigen Mensa zu einem Innovationszentrum in der Innenstadt.

Ein neues Schulzentrum ist geplant, südlich der Innenstadt soll ein gigantisches neues Stadtviertel entstehen und allein die Sanierung des Theaters wird rund 40 Millionen Euro verschlingen. Greifswald investiert – fast immer mit kräftigen Zuschüssen von Land und Bund.

Vorwurf: Falsche Lorbeeren und Verschwendung

Die vielen Bau- und Sanierungsprojekte will man bei der CDU allerdings nicht dem Bürgermeister zuschreiben. „Herr Fassbinder ruht sich auf den Erfolgen seiner Vorgänger auf und rühmt sich der guten Ergebnisse, die Greifswald in verschiedenen Ranking-Umfragen erreicht hat“, moniert CDU-Kandidatin und Jura-Professorin Madeleine Tolani. Eigene Projekte des Amtsinhabers hätten sich dagegen regelmäßig als unbrauchbar herausgestellt.

Ein Beispiel dafür sei das neue angemietete Verwaltungsgebäude in der Rathenaustraße, für das rund 250.000 Euro „zum Fenster herausgeworfen“ worden seien, das aber nicht genutzt werden könne, weil kein Internetanschluss bestehe. „Noch ein Beispiel: Am Bahnhof wurde für 435.000 ein Fahrrad-Parkhaus mit 144 Stellplätzen errichtet, das aber kaum genutzt wird,“ kritisiert Tolani. Und in Greifswald-Eldena plane der grüne Oberbürgermeister einen Park&Ride-Punkt mit einem Autoparkplatz – ein „kopfloses Projekt“, das kein Mensch brauche, aber 1,8 Millionen Euro koste.

Tolani (Jahrgang 1980) sitzt seit 2019 in der Bürgerschaft und konzentriert sich bislang im Wahlkampf vor allem auf teils vernichtende Kritik gegen den Amtsinhaber. Greifswalds Stadtbild sei verwahrlost, die Verwaltung aufgebläht, der Bürgermeister selbstgerecht und bürgerfern. Ob das reicht, um ehemalige CDU-Wähler zurückzuholen?

Außenseiter-Chancen für einen Ex-CDU-Mann

Um eine andere Strategie bemühen sich indessen die beiden anderen Bewerber, denen Chancen auf ein relevantes Wahlergebnis eingeräumt werden. Darunter der ehemalige CDU-Mann Ghamal Khalil, der als parteiloser Bewerber antritt. Auch er hat wenig Schmeichelhaftes über Fassbinder zu sagen, müht sich aber gleichzeitig, Themen anzusprechen, mit denen er die Wählerschaft des Amtsinhabers locken könnte.

Beispiel Mobilität: Die Trends seien eindeutig, sagt der Rechtsanwalt, es werde zukünftig weniger Fahrzeuge in der Stadt geben. „Deshalb müssen wir die Fahrrad-Infrastruktur ausbauen. Heißt: keine weiteren Parkhäuser wie am Nexöplatz geplant, stattdessen ausgebaute, sicherere Fahrradachsen, Parkverbotszonen in der Innenstadt, Carsharing-Angebote, Lastenräder.“

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Der sportlich engagierte Handballtrainer hat 15 Jahre kommunalpolitische Erfahrung, sitzt seit 2019 in der Bürgerschaft, ist aber seit 2021 nicht mehr Mitglied der CDU-Fraktion. Er wolle ohne Parteibindung ein Oberbürgermeister für alle sein. „Es muss sich endlich wieder jemand um die Belange dieser Stadt kümmern und nicht nur die Interessen seiner Partei vertreten.“

Auffällig ist: Während die größeren Parteien des linken Spektrums einen gemeinsamen Kandidaten aufgestellt haben, hat sich das bürgerliche Lager aufgespalten. Nicht nur auf Tolani und Khalil, auch die FDP stellt einen eigenen Bewerber, dem dadurch eine strategische Rolle zukommen könnte. Auch der 30-Jährige Rechtsreferendar Konstantin Zirwick müht sich, mit seinen Themen über das klassische FDP-Klientel hinaus zu wirken. „Ich sehe als junger Vater viele Baustellen in Greifswald“, sagt er. Das Kita-Portal zum Beispiel, auf dem Familien ihre Kleinsten für eine Ganztagsbetreuung anmelden, müsste komplett umgekrempelt werden. Die Praxis sehe nämlich aktuell so aus, dass jede Kindertagesstätte ihre eigene inoffizielle Bereitstellungsliste führe. „Sozial benachteiligte Familien fallen da allzu oft runter und haben deutlich geringere Chancen, einen Kita-Platz zu bekommen.“

Zirwick, der selbst Vater einer dreijährigen Tochter ist, plädiert auch für eine Art Stadtstipendium, zum Beispiel für Erzieherinnen und Erzieher, um die personelle Ausstattung in diesem Bereich zu stabilisieren. Das könnte flexiblere Öffnungszeiten der Kitas ermöglichen. Besonders einsetzen will sich der FDP-Kandidat, der sich ehrenamtlich als Vorsitzender des Sportgerichts des Fußballverbandes Mecklenburg-Vorpommern engagiert, für den Vereinssport. „Viele Vereine brauchen nach der Pandemie einen Neustart, weil es in den vergangenen Monaten keinen regelmäßigen Sportbetrieb gegeben hat.“

Neben den vier Kandidaten aus oder für arrivierte Parteien buhlen noch Ina Schuppa-Wittfoth (Die Basis), Lea Alexandra Siewert (Die Partei) und Einzelbewerber Daniel Küther um Wählerstimmen. Angesichts dieser Auswahl steht möglicherweise Ende Juni eine Stichwahl an. Auf Fußmatten vor Wahllokalen dürfte dieses Mal ja ohnehin besonders Acht gegeben werden.