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Nachruf

Wolfgang, Du fehlst schon jetzt!

Anklam / Lesedauer: 6 min

Eigentlich schien sich Wolfgang Bordel schon wieder aufgerappelt zu haben, nach einer monatelangen, schweren Krankheit. Dass er nun tot ist, scheint unfassbar.
Veröffentlicht:28.10.2022, 16:00

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Ich hätte Wolfgang so gerne noch einmal zu einer „fröhlichen Cola” eingeladen. Diese besondere Cola war wie ein Geheimcode, den nur seine Freunde und vor allem das Personal hinter der Bar in den Theaterhäusern der Vorpommerschen Landesbühne entziffern konnten, in Anklam, Zinnowitz, in Heringsdorf und Barth. Die fröhliche Cola enthielt Cola und einen ordentlichen Schuss Wodka, der Fröhlichkeit wegen.

Quelle der Inspiration für seine Mitmenschen

Obwohl Wolfgang Bordel kein alkoholisches Elixier benötigte, um seinen Mitmenschen Optimismus, Mut und Freude und vor allem seine eigene Lust am Theater zu vermitteln. Aber mit seiner fröhlichen Cola in der Hand, in der letzten Reihe des Theaters die jüngste Premiere verfolgend, das wird wohl eines der Bilder sein, das mir von Wolfgang in Erinnerung bleiben wird.

Die jetzige Todesnachricht kommt überraschend, auch wenn sein Leben im vergangenen Jahr nach einem schweren Sturz und tagelangem Koma bereits am seidenen Faden hing. Aber der 71-Jährige hatte sich wieder aufgerappelt. Das Open Air-Spektakel „Vineta”, das er in den 1990er-Jahren für die Ostsee-Bühne Zinnowitz erfunden hatte, konnte er im Sommer immerhin schon wieder besuchen.

Proben vom Rollstuhl aus

Richtig loslegen wollte er jetzt wieder mit den Proben für das Silvesterstück, einer Adaption von „Das Wirtshaus im Spessart”, gespielt von seiner Theatertruppe aus Laiendarstellern, den „Peenebrennern”. Die Wochen zuvor hatte er das Manuskript geschrieben. Die ersten Proben führte er vom Rollstuhl aus. Gedanklich und rhetorisch schien er schon wieder der Alte, geistig klar, witzig und voller Tatendrang. Vielleicht sollten seine Freunde, seine Kollegen, seine Schauspieler nicht spüren, wie es ihm wirklich ging?

Wie soll man Wolfgang Bordel in einem Nachruf gerecht werden, angesichts seiner vier Jahrzehnte, die er an verschiedenen Theatern im Nordosten wirkte? Zuallererst natürlich am Theater Anklam, wo er 1983 mit Kleists „Zerbrochenem Krug” sein erstes Stück inszenierte. Mehr als 150 Regiearbeiten dürften es insgesamt gewesen sein. Wolfgang Bordel hat nicht gezählt.

Ein Theater-Retter mit vielen Ideen

Er war ein Theater-Macher im wahrsten Sinne des Wortes, was allein die Aufzählung seiner vielen Meriten verdeutlicht: Die Rettung des kleinen Kreisstadt-Theaters Anklam, das schon vor 1989 in seiner Existenz bedroht war, über die Wende hinaus. Die Privatisierung zur Vorpommerschen Kulturfabrik als seinerzeit völlig neues Betreibermodell in der ostdeutschen Theaterlandschaft. Es folgten fast Schlag auf Schlag das Theaterzelt „Chapeau Rouge” in Heringsdorf, die Vineta-Bühne in Zinnowitz, die Usedomer Hafenbühne, die Blechbüchse und die Theaterakademie in Zinnowitz sowie das Theater in Barth. Die Open Airs als Zuschauer-Magneten sicherten die wirtschaftliche Existenz des Theaters bis heute.

Wie viel Mut, wie viel Kreativität für jedes einzelne dieser Projekte erforderlich waren, zeigt exemplarisch die Blechbüchse, die Anfang der 1990er-Jahren als alte Lagerhalle genutzt wurde. „Den Umbau haben wir als 'Urlauberbegegnungsstätte' angemeldet. Als wir fertig waren mit dem Ausbau, kam die Baugenehmigung. Zinnowitz ist für uns jetzt die Kulturhauptstadt. Sollte Usedom wie einst Vineta untergehen, bliebe Zinnowitz garantiert verschont”, erzählte Bordel in einem Interview.

„Aber er ist unsere rote Socke”

Wolfgang Bordel blieb all die Jahre seinen politischen Überzeugungen treu. Seine erste Aktion als neuer Intendant in Anklam: Zum 1. Mai 1983 versprach er seinen teils renitenten Schauspielern und Mitarbeitern Bockwurst und Freibier, wenn sie an der Mai-Demonstration teilnehmen würden. Sie kamen.

Mit der Wende war er nicht nur vom „Spiegel” bereits als „rote Socke” abgeschrieben gewesen. Doch seine Kritiker irrten, weil Bordel immer authentisch war, auch unbequemen Nachfragen nie auswich. Um es mit seinen Worten zu sagen: „Aber die Leute hier haben sich wohl gesagt, gut, der Bordel ist eine rote Socke, aber er ist unsere rote Socke.”

So wie Wolfgang Bordel nichts dagegen hatte, als Kommunist bezeichnet zu werden, scheute er sich nicht, Stücke aufzuführen, die andere Intendanten längst im Archiv verstauben ließen: „Die Matrosen von Cattaro” von Friedrich Wolf in Neustrelitz beispielsweise oder „Die Gewehre der Frau Carrar” von Bertolt Brecht, mit 25 Aufführungen zugleich eine seiner erfolgreichsten Regiearbeiten. Und ja, wenn Not am Mann war, wechselte er im Ernstfall auch vom Regiestuhl als Schauspieler auf die Bühne.

Hobby-Koch mit Instinkt und Leidenschaft

Nach 35 Jahren übergab er pünktlich zum 1. Mai 2018 – typisch Wolfgang Bordel – als damals dienstältester Intendant Deutschlands sein Amt. Er konzentrierte sich fortan auf seine neue Funktion als Leiter der Theaterakademie, auf Vineta und seine „Peenebrenner”. Viele seiner Freunde werden ihn vor allem als einen Menschen in Erinnerung behalten, den man einfach liebhaben musste. Verschmitzt leuchteten seine Augen aus dem mit einem wild wachsenden Bart umrankten Gesicht. Er hatte immer eine überraschende, oft witzige Antwort parat, war immer für eine Anekdote zu haben.

Und er hat so gerne in seiner eigenen Küche gekocht, nicht nach Rezept, sondern nach Lust und Laune. Zu den Premierenfeiern an Silvester servierte er regelmäßig eine seiner legendären Suppen für 30, 40 Leute, richtig kräftig, mit viel Fleisch natürlich. Wenn er mal mit einem Text nicht weiterkam, konnte ihn das Kochen ablenken und auf neue Gedanken bringen. Einen Rotwein ließ er sich dann auch gerne schmecken. „Es empfiehlt sich aber, die Flasche mit dem Topf zu teilen”, meinte er in einem unserer Gespräche mit seinem unnachahmlichen Humor.

Wie war das noch mit Nord Stream 2?

Ein Humor, der sich in seinen selbst geschriebenen Geschichten für das Anklamer Spektakel „Peene brennt” mit einer überbordenden Phantasie vereinte. So wie er im Kochtopf Gemüse und Fleisch kombinierte, mixte er auf der Bühne die große Weltpolitik mit heiterem Lokalkolorit. Wer kann schon von sich behaupten, bereits vor Jahren gewusst zu haben, dass durch Nord Stream 2 niemals Gas fließen wird, sondern die ganze Anlage nur eine riesige Abhör-Röhre des Kremls ist, die ausgerechnet an der Peene endet?

Wolfgang Bordel war das Theater Anklam. Das Theater Anklam ist Wolfgang Bordel. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass es das Theater ohne ihn längst nicht mehr gebe. Das Schild, das sich Richter Adam aus Kleists Drama „Der zerbrochene Krug” in seiner ersten Anklamer Inszenierung über die Tür gehängt hatte, begleitete Bordel all die Jahre in seinen verschiedenen Büros. Den Spruch fand er inspirierend: „Und find ich nicht gleich alles wie es soll, ich freue mich, wenn es erträglich ist.”

Nein, lieber Wolfgang, es ist schwer erträglich, dass Du nicht mehr bist!