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Long-Covid

Ärzte auf der Suche nach der passenden Corona-Therapie

Heiligendamm / Lesedauer: 4 min

Die medizinische Nachbetreuung von Corona-Patienten, die unter den Spätfolgen leiden, steckt in den Kinderschuhen. Ein neuer Fachverband will für Fortschritte sorgen.
Veröffentlicht:24.11.2021, 11:04
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Mit einem neuen Fachverband soll die Behandlung von Corona-Spätfolgen verbessert werden. Jördis Frommhold, Mitinitiatorin und Chefärztin der Median-Reha-Klinik Heiligendamm, unterscheidet unter den Patienten mit Corona-Spätfolgen zwischen denen, die nach einem schweren Verlauf und Aufenthalt auf der Intensivstation noch unter Beschwerden leiden (Post-Covid) und jenen, die nach einem eigentlich milden Corona-Verlauf mit teils schweren Beeinträchtigungen kämpfen (Long-Covid).

Für Letztere gebe es noch keinen auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Therapieansatz, auch wenn erste Studienergebnisse zeigen, dass die individuell angepasste Rehabilitation statistisch signifikante positive Effekte habe. Deshalb hält Frommhold einen stärkeren interdisziplinären Austausch für nötig. Es gelte, allgemeingültige Handlungsempfehlungen für die Reha bei Post- und Long-Covid-Patienten zu entwickeln.

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Fachrichtungen will Frommhold einen neuen Fachverband ins Leben rufen, um besonders für Long-Covid-Patienten Fortschritte zu erreichen. Neben der Vernetzung der unterschiedlichen medizinischen Disziplinen soll der Fachverband auch im Bereich der beruflichen Wiedereingliederung und der ambulanten Nachsorge aktiv werden und die Akzeptanz des Krankheitsbildes in der Gesellschaft verbessern.

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Bleierne Müdigkeit und Wortfindungsstörungen

Laut Frommhold treten bei Long-Covid häufig Symptome ähnlich einer Fatigue-Erkrankung (Erschöpfung) auf. Die Medizinerin spricht von einer bleiernen Müdigkeit, die schon das morgendliche Aufstehen und die Vorbereitungen für den Tag zu schweren Aufgaben werden lasse. Die Müdigkeit sei alltagsbestimmend und ein Grund dafür, dass viele Betroffene arbeitsunfähig seien und vielleicht auch dauerhaft erwerbsunfähig sein werden. Zudem träten oft Konzentrationsstörungen, kognitive Einschränkungen und Wortfindungsstörungen bis hin zu Symptomen auf, die einer Demenz ähneln.

In der von ihr geleiteten Reha-Klinik an der Ostsee hat Frommhold mehr als 2500 Patienten nach einer Corona-Infektion behandelt. Unter den Long-Covid-Fällen waren demnach zu zwei Dritteln Frauen. Die Altersspanne lag zwischen 20 und 50 Jahren. Wie viele Patienten es insgesamt gibt, darüber fehlen aktuell noch belastbare Zahlen, heißt es auch vom Robert Koch-Institut (RKI). Eine im Juli 2021 im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlichte Studie aus Deutschland bietet jedoch einen Anhaltspunkt: In der Arbeit zu Spätfolgen nach milden Corona-Verläufen heißt es, dass etwa 1 von 10 Personen mit zunächst geringen oder keinen Symptomen auch Monate nach der akuten Erkrankung noch Symptome wie Atembeschwerden, Schlaflosigkeit, Geschmacksstörungen und Müdigkeit hatten. Auch das RKI verlinkt auf diese Studie. Frommhold zufolge könnte das Krankheitsbild jetzt schon bis zu 500.000 Menschen in Deutschland betreffen.

Ohne Beleg einer Covid-Infektion ist die Behandlung schwierig

Es ist jedoch anzumerken, dass die Chefärztin der Median-Reha-Klinik in ihrer therapeutisch-orientierten Definition von Long-Covid, die sie bereits im klinischen Alltag seit Sommer 2020 anwendet, von der allgemeinen, im Juli 2021 erschienenen S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) abweicht, in der dann von Long-Covid gesprochen wird, wenn vier Wochen nach einer Corona-Infektion neue Symptome hinzukommen. An dieser orientieren sich Allgemeinmediziner und Krankenhäuser. Die großen Probleme für Hausärztinnen und Hausärzte – bei denen die Patienten in der Regel zuerst vorstellig werden – liegen jedoch nicht in der Definition, sondern in der Diagnose des Krankheitsbildes.

Aus Sicht von Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, besteht hier das Grundproblem bei Long-Covid: Ohne einen Beleg einer Covid-Infektion durch einen positiven PCR-Test oder einen Bescheid des Gesundheitsamtes sei eine Behandlung in der Praxis schwer möglich. Dies betrifft seinen Aussagen nach jene, die nach einem milden Covid-Verlauf zeitverzögert Symptome entwickeln. Darüber hinaus müssen laut Scherer selbst bei einer erwiesenen Infektion die vielen potenziellen, sehr unterschiedlichen Symptome kausal mit der Corona-Erkrankung verknüpft werden. Der Mediziner ist jedoch vor dem Hintergrund der aktuellen Datenlage der Ansicht, dass die überwiegende Anzahl an Patienten mit Corona-Spätfolgen von den Hausärzten adäquat betreut werden kann.

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