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Antragsflut beim Wohngeld – Ämter in MV stark belastet

Neubrandenburg / Lesedauer: 6 min

Das Wohngeld steigt – und das gilt auch für teure Heizkosten. Die Zahl der Bezieher könnte sich nun verdreifachen. Was bedeutet die Antragsflut für den Nordosten?
Veröffentlicht:12.01.2023, 10:54

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Aus 600.000 könnten bald rund 2 Millionen Wohngeld-Bezieher in Deutschland werden: Das sogenannte Wohngeld-Plus-Gesetz ist seit dem 1. Januar in Kraft und soll mehr Menschen unterstützen, auch wegen der hohen Energiekosten. Damit hat sich der mögliche Empfängerkreis fast über Nacht auch in MV enorm vergrößert. Das zuständige Innenministerium unter Minister Christian Pegel (SPD) in Schwerin rechnet mit einer Verdreifachung der möglichen Bezieher im Land von derzeit 22.000 Haushalten auf dann 66.000.

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Den Anstieg spüren schon einige Wohngeldstellen in MV. Viele Ämter ächzen unter der hohen Zahl, teils stehen die Antragsteller in den Gängen, heißt es beispielsweise aus Anklam. Neue Mitarbeiter wurden vielerorts extra für das Entlastungspaket der Bundesregierung eingestellt. Die müssen aber teils noch komplett eingearbeitet werden. Weitere Stellen sind landesweit ausgeschrieben, um den Ansturm zu bewältigen und die vielen Anträge zu prüfen. Von einer Verdreifachung der Sachbearbeiter sei man durch Nachwuchsmangel und kurzfristigen Bedarf aber oft weit entfernt.

Enormer Anstieg bei einigen Ämtern schon sichtbar

Auch in Neustrelitz gehen vermehrt Anfragen und Anträge von Bürgern ein, die Leistungen nach dem Wohngeldgesetz beziehen können. Dies war bereits im Herbst 2022 zu erkennen, so der Neustrelitzer Bürgermeister Andreas Grund. Momentan beträgt die übliche Anzahl an Anträgen mehr als das Dreifache, so der Bürgermeister auf Nordkurier-Anfrage. Im Januar 2022 waren es ca. 350 Haushalte, im Dezember 2022 haben bereits ca. 430 Haushalte Wohngeld bezogen. Ein enormer Anstieg schon jetzt, so Andreas Grund.

Aus Sicht des Bürgermeisters sei landesweit mit einer hohen Belastung der Wohngeldstellen zu rechnen, wie auch in Neustrelitz. Die Vorbereitungszeit war viel zu kurz bemessen, um die Wohngeldstellen entsprechend auszurüsten. Eine Stelle wurde erfolgreich ausgeschrieben, die Fachkraft sei jedoch erst im April verfügbar.

„Unseren Wohngeldsachbearbeiterinnen wird sehr viel abverlangt”, so der Neustrelitzer Bürgermeister. Es sei anfangs noch mit längeren Wartezeiten als sonst zu rechnen. Sein Tipp: Schneller gehe es, wenn vorab der Wohngeldantrag zu Hause ausgedruckt und ausgefüllt werde.

Mitarbeiter an der Belastungsgrenze – Azubis im Einsatz

Auch in Waren (Müritz) hat sich der Aufwand durch die Gesetzesänderung enorm vervielfacht. Während in der Vergangenheit monatlich 20 bis 50 Neuanträge gestellt wurden, sei diese Zahl seit November 2022 stetig gestiegen. Bis dahin war es noch möglich, alle Anträge innerhalb eines Monats abzuarbeiten, nun dauert es aber länger.

Da die Abarbeitung der Anträge nicht im gewohnten Tempo erfolgen kann, haben telefonische und persönliche Nachfragen stark zugenommen. Hinzu kommt der tägliche Posteingang – Tendenz steigend. Die Mitarbeiter seien an ihrer Belastungsgrenze angekommen, heißt es aus Waren. Die Fallzahlen haben sich Stand Januar 2023 verdoppelt. Im Jahresdurchschnitt 2022 haben 447 Haushalte Wohngeld bezogen. Die Stadtverwaltung setzt nun auch Auszubildende als Unterstützung ein, so Stadtsprecherin Stefanie Schabbel.

Dazu geht nicht nur um neue Wohngeld-Anfragen, auch für die bisherigen Wohngeldempfänger und laufenden Anträge sind Nachberechnungen fällig: Denn neben einem größeren Empfängerkreis stieg zum Jahresbeginn auch die Höhe des Wohngeldes. Der staatliche Zuschuss wurde um durchschnittlich 190 Euro im Monat aufgestockt. Damit erhalten die berechtigten Haushalte im Schnitt rund 370 Euro monatlich.

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Auch in der Wohngeldstelle in Greifswald war bereits seit der Diskussion um die Wohngeldrefom im Sommer ein Anstieg der Anträge bemerkt worden. Laut Lisa Schmidt von der Greifswalder Pressestelle bezogen bis Ende des Jahres 2021 etwa 1000 Haushalte in der Hansestadt Wohngeld, allein von September bis November 2022 sind monatlich etwa 100 neue Fälle hinzugekommen, sodass gegenwärtig etwa von ca. 1400 Haushalten in Greifswald ausgegangen wird. Die Greifswalder Stadtverwaltung setzt auch auf Anträge per E-Mail oder per Brief. damit dafür kein persönlicher Termin im Amt für den Antrag nötig ist. Die Wohngeldstelle kämpft wie viele andere Verwaltungen auch mit einem hohen Krankenstand. Dazu kommt gegenwärtig die Einarbeitung der neuen Kolleginnen und Kollegen.

Wie sich die Zahl der Anspruchsberechtigten in der Region entwickeln wird, ist für viele Verwaltungen zum jetzigen Zeitpunkt aber noch offen. Dass sie sich jedoch deutlich erhöhen wird, ist bei vielen Befragten offensichtlich. Manche Ämter wollen noch bis Ende des Januars mit einem Fazit warten. Aber viele gehen von der bereits angenommenen Verdreifachung aus, wie beispielsweise auch Prenzlaus Bürgermeister Hendrik Sommer, wo im vergangenen Jahr 1461 Alt- und Neuanträge bearbeitet wurden. In der Stadt Prenzlau und den Ortsteilen bezogen 430 Haushalte Wohngeld.

FPD: Wo bleibt der Online-Antrag?

Bei der eigentlich geplanten digitalen Antragstellung über ein gemeinsames Online-Portal des Landes MV stockt es dazu auch noch. MV setzt hier für seine insgesamt 110 Wohngeldstellen auf ein neues Online-Portal, welches in Schleswig-Holstein entwickelt wurde. Die oppositionelle FDP im Schweriner Landtag unter dem Fraktionsvorsitzende René Domke kritisierte die Verzögerung und sprach von einem Stau in der Digitalisierung des Landes durch die rot-roten Regierungsfraktionen.

„Im Dezember versprach Minister Pegel, dass man zum Jahreswechsel auch bei uns darauf zurückgreifen würde – doch das Einzige, was man in Mecklenburg-Vorpommern online erledigen kann, ist den Vordruck für die Beantragung herunterzuladen und danach auszudrucken.” Wo bleibt der Online-Antrag, fragte Domke – um dann nach Berlin zu verweisen, wo man es geschafft hätte, dass der Wohngeldantrag online eingereicht werden könne.

Wo klemmt es in MV? Laut Renate Gundlach aus dem MV-Innenministerium hätte ein außergewöhnlich hoher Krankenstand Ende des Jahres für Verzögerungen bei der technischen Umsetzung gesorgt. Das Innenministerium in Schwerin geht von einer Umsetzung noch im Januar aus. Es sei laut Ministerium aber für 26 Ämter in MV ein digitaler Wohngeld-Antrag verfügbar – durch eigenständige Online-Angebote der jeweiligen Kommunen. Darunter finden sich aktuell beispielsweise Demmin, Heringsdorf, Jarmen-Tutow, Pasewalk, Teterow, Uecker-Randow-Tal sowie Waren und Züssow – zu finden unter www.mv-serviceportal.de.

Das Online-Angebot könnte den Nachfrage-Druck in den Ämtern wohl etwas verringern, die Prüfung der digitalen Anträge müsse trotzdem durch die unterbesetzten Sachbearbeiter gewährleistet werden.

Auf lange Wartezeiten einstellen

Dem Städte- und Gemeindetag in MV liegen aktuell noch keine Meldungen aus den Verwaltungen wegen eine Überlastung durch Wohngeld-Anträge vor, heißt es gegenüber dem Nordkurier. Das Bundesbauministerium habe aber den Ländern vor Weihnachten ein vereinfachtes Verfahren aufgrund gestiegenen Anträge ermöglicht. Dabei sollen vor allem bis zum 1. Juli 2023 die Wohngeldstellen etwas entlastet werden, so eine Sprecherin des Städte- und Gemeindetages MV. Die Leistungsgewährung durch die Jobcenter in der Übergangszeit soll den Zugang entsprechend beschleunigen.

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Der Städte- und Gemeindetag warnte bereits bei Gesetzesentwurf schon im letzten Jahr davor, dass lange Bearbeitungszeiten drohen. „Wir werden jetzt alles unternehmen, um bestmöglich für die Bürgerinnen und Bürger arbeiten zu können: Personalstellen werden ausgeschrieben, Mitarbeitende geschult. Wir bitten dennoch um Geduld, wenn es zu Beginn längere Bearbeitungszeiten gibt, weisen aber bereits jetzt darauf hin, dass Zahlungen selbstverständlich rückwirkend erfolgen würden“, so der Verbandsvorsitze Thomas Beyer.