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Interview

Ein Ausblick auf die Welt nach Corona

Neubrandenburg / Lesedauer: 6 min

Nordkurier-Redakteur Carsten Korfmacher hat gerade sein Buch „Die Corona-Akten“ vorgelegt. Frank Wilhelm sprach mit ihm über die Frage, wohin die Reise geht und über den Protest gegen die Corona-Politik.
Veröffentlicht:24.02.2021, 06:24

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Wie kam es zu der Idee für das Buch?

Wir wollten mit dem Buch zwei Dinge erreichen: Erstens sollte es die Debatte um die Pandemie und die Maßnahmen bis zum jetzigen Stand nachzeichnen. Wir haben ein Jahr hautnah miterlebt, das in die Geschichte eingehen wird. Das Buch soll den Lesern die eigenen Erinnerungen an diese historischen Ereignisse taufrisch im Gedächtnis halten. Und zweitens wollten wir etwas Bleibendes schaffen. Deshalb beschäftigen sich viele Texte, darunter bisher unveröffentlichtes Material, mit der großen Frage, wie die Welt nach Corona aussehen wird.

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Ist es Ihr erstes Buch? Falls ja, wie fühlt es sich an, den Band in den Händen zu halten?

Ja, das ist in der Tat mein erstes Buch. Es fühlt sich gut an. In dem Band steckt die Recherche aus einem ganzen Jahr. Deshalb fühlt es sich in etwa so an, als käme ich gerade von einem Marathonlauf nach Hause: Der ganze Körper schmerzt, aber der Kopf will am liebsten weiterlaufen. Ich bin jetzt richtig heiß darauf, die Debatte weiter zu begleiten.

In der Pandemie ändert sich vieles fast im Wochentakt: die Infizierten-Zahlen, die verhängten Beschränkungen oder die Maßgaben für die Impfungen. Kann ein Buch, das längerfristig Wirkung erzielen soll, mit diesen Veränderungen mitkommen?

Genau aus diesem Grund enthält das Buch viele Texte, die sich mit größeren Fragen beschäftigen: Wie geht es nach Corona politisch weiter? In welche Richtung entwickelt sich die Gesellschaft, wie gehen wir mit sozialen Medien um? Was wird aus den Corona-Schulden, drohen uns soziale Unruhen, beendet Corona die Globalisierung? Wenn die Pandemie vorbei ist, wird erst offenbar werden, welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Änderungen die Corona-Krise mit sich gebracht hat. Insbesondere darauf gehe ich in dem Buch ein.

Über die Corona-Politik wird sehr kontrovers gestritten. Die einen sagen, Deutschland sei angesichts der verhältnismäßig niedrigen Todeszahlen im Vergleich zu Staaten wie Großbritannien, Spanien oder den USA glimpflich durch die Krise gekommen. Andere werfen der Regierung Totalversagen vor. Welche Meinung haben Sie?

Man muss verstehen, dass in der Corona-Politik die verschiedenen Interessen aller Menschen in diesem Land in Konkurrenz zueinander geraten. Jeder ist betroffen, jeder will etwas anderes. Deshalb kann man hier keine undifferenzierte Meinung haben. Wer sie hat, blendet mehr aus als er einbezieht. Mir missfällt vor allem, dass gewisse parlamentarische Prozesse ausgeschaltet sind, das hat zumindest das Potenzial, das Vertrauen der Bürger in die Demokratie nachhaltig zu schädigen. Vieles ist schief gelaufen, vor allem in der Impfstoffbeschaffung. Und die Krise deckt auf, dass wir unter teuren, aber ineffektiven und verkrusteten Verwaltungsstrukturen leiden, die die Dinge teilweise schlimmer anstatt besser machen. Zum Beispiel kann es nicht sein, dass wir selbst heute noch keine Echtzeitdaten zu Neuinfektionen haben. In Hinblick auf die kommende Finanzierungskrise unseres Rentensystems und des Sozialstaats generell müssen wir uns fragen, wie wir uns effektiver und zukunftssicherer aufstellen können.

Neben Corona beschäftigen Sie sich seit Jahren auch intensiv mit der AfD, in der führende Kräfte Corona teils bis heute verharmlosen. Welche Schnittmengen sehen Sie zwischen der AfD und der Querdenkerbewegung?

Die AfD versucht wie so oft, der politische Arm einer Wutbewegung zu werden, die skeptisch gegenüber Regierenden, Medien und Wissenschaftlern eingestellt ist. Das ist die einzige Überschneidung. Die Querdenker sind zu vielschichtig, um politisch vertreten werden zu können. Zum Beispiel haben knapp 40 Prozent von ihnen zuletzt grün oder links gewählt. Da sind neben normalen Leuten eben auch bizarre Gruppen dabei, wie Impfskeptiker, Esoteriker oder Hippies. Letzten Endes sind die Querdenker aber nicht wichtig genug, um die mediale Aufmerksamkeit zu verdienen, die sie derzeit bekommen. Es gibt ausreichend Kritik an der Corona-Politik, aus Wissenschaft, Medien, Kultur, Interessensverbänden, der Opposition – und nicht zuletzt aus den Regierungsparteien selbst.

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AfD-Rechtsaußen Björn Höcke erklärte im Sommer die Pandemie für beendet. Wenige Wochen später erreichte sie in Deutschland ihren Höhepunkt. Wie erklären Sie sich, dass trotz dieser Aussagen die Partei gerade im Osten Deutschlands scheinbar kaum an Einfluss verliert?

Die AfD bekommt ja nicht wegen ihrer Position in der Corona-Politik Zuspruch. Die AfD hat dazu keine Haltung, sondern eine Anti-Haltung. Am Anfang, als die Bundesregierung die Pandemie verharmloste, war die AfD-Kritik, dass nicht härter durchgegriffen würde. Als die Bundesregierung härter durchgriff, war die AfD-Kritik, dass die Maßnahmen zu weit gingen. Ein Aspekt ist also, dass es in Ostdeutschland aus historischen Gründen einen höheren Anteil an Menschen gibt, die eine natürliche oppositionelle Haltung gegen alles Regierende in sich tragen und sich deshalb durch die AfD vertreten sehen. Als Korrektiv ist das in einer Demokratie durchaus wichtig. Aber man muss aufpassen, das nicht zum politischen Äquivalent von kindlichem Trotz ausarten zu lassen. Aus Trotz erwächstschließlich keine stabile Persönlichkeit – Trotz überwindet man in der Pubertät.

Welche Zukunft hat aus Ihrer Sicht die Querdenker-Bewegung, wenn Deutschland das Corona-Virus irgendwann im Griff hat?

Gar keine, als politische Kraft sind die Querdenker schlicht irrelevant. Deshalb habe ich auch ein Problem damit, diesen bizarren Zusammenschluss als „Bewegung“ zu bezeichnen. Eine Bewegung teilt Werte und Ziele. Doch unter dem Deckmantel „Querdenker“ vereinen sich Leute, die zwar dieselben Gefühle in sich tragen – Wut, Ohnmacht, das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Aber sie haben ganz unterschiedliche Gründe für diese Gefühle. Ich habe mir das in Berlin angesehen: Da gehen Menschen gemeinsam auf die Straße, die sonst nie politisch zusammenkommen würden.

„Die Welt nach Corona“ ist der letzte große Abschnitt Ihres Buches überschrieben. Wird die Welt nach Corona eine andere sein?

Ja, das glaube ich in der Tat. Aber nicht auf eine negative Art und Weise. Ich bin durch und durch positiv gestimmt, was die Zukunft unserer Welt angeht. Ich habe die Entwicklungen dazu in dem Buch angesprochen: den technologischen Fortschritt, unseren Umgang mit den sozialen Medien und die vielfältigen Lernprozesse, die aus einer solchen Pandemie erfolgen. Die Entwicklung der Menschheit schaltet derzeit sozusagen in den nächsten Gang – und wie beim Autofahren auch ruckelt das immer ein bisschen. Aber danach bewegen wir uns noch schneller auf eine tolle Zukunft zu.