StartseiteRegionalMecklenburg-VorpommernHausärzte fühlen sich von Krankenkasse kriminalisiert

Vorwürfe gegen AOK

Hausärzte fühlen sich von Krankenkasse kriminalisiert

Demmin / Lesedauer: 4 min

Die AOK kündigt ein Programm, dass für die bessere Versorgung schwerkranker Patienten auf dem Land gedacht war. Der Vorwurf: Ärzte würden nicht erbrachte Leistungen abrechnen. Die Empörung ist groß.
Veröffentlicht:11.04.2022, 06:00

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Dr. Jörg Hinniger kann es kaum fassen: „Unglaublich! Das ist für mich eine versuchte Kriminalisierung, wenn mir vorgeworfen wird, nicht erbrachte Leistungen abzurechnen“, ärgert sich der Hausarzt aus Demmin. Damit reagiert er auf den Vorwurf der AOK Nordost, wonach Hausärzte im Land gesonderte Leistungen für das Fallmanagement Schwerkranker geltend gemacht haben sollen, „ohne diese nachzuweisen“.

Mit der Begründung einer „intransparenten Doppelfinanzierung“ hatte die AOK zuvor das so genannte Verah-Care-Programm gekündigt. Betroffen sind rund 8000 Patienten, für die rund 300 Versorgungsassistenten gesondert ausgebildet worden waren. Das Ziel: Schwerkranke Patienten auf dem Land trotz chronischer Krankheiten so lange wie möglich medizinisch im vertrauten Zuhause zu versorgen.

Für Hinnigers Praxis waren zwei mit der geforderten Zusatzqualifikation ausgestattete Schwestern unterwegs, die rund 40 Patienten unter anderem mit der Koordination der Behandlung vor und nach Klinikaufenthalten, der Bewertung der häuslichen Umgebung sowie dem Erkennen von Sturzgefahren oder im „Bürokratiedschungel“ besonders unterstützt hatten.

Wenn solche Leistungen aufgrund eines vorhandenen Bedarfs erbracht worden seien, seien sie nach einem Hausbesuch abgerechnet worden. „Aber eben nur dann.“ Hinniger will seine Patienten unter der Kündigung nicht leiden lassen. „Die Versorgung wird nicht verschlechtert“, sagt er. Auf keinen Fall aber könnten nun weitere Patienten, falls nötig, in das Programm aufgenommen werden.

Hausärzteverband lobt andere Krankenkassen

Nach der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) hat auch der Hausärzteverband MV den Schritt der AOK kritisiert. „Mit diesem Schritt zieht sich die AOK Nordost aus der flächendeckenden Versorgung der besonders kranken und pflegebedürftigen Patienten durch speziell geschulte Kräfte zurück“, sagt Verbandsvorsitzender Stefan Zutz.

Den öffentlichen Vorwurf der nicht gerechtfertigten Doppelabrechnung weist der Hausärzteverband MV auf das Schärfste zurück. „Es wurden gut dokumentierte Leistungen im vertraglichen Rahmen abgerechnet“, betont Zutz.

Der Verband begrüßt ausdrücklich, dass andere Krankenkassen, darunter die Barmer, die IKK Innovation und die Landwirtschaftliche Krankenkasse, der „Fehleinschätzung der AOK Nordost“ nicht folgen und weiter ihren Fokus auf eine qualitativ hochwertige Versorgung im Flächenland legen würden.

Kassenärztliche Vereinigung: AOK-Vorwürfe ohne Grundlage

Nach Ansicht der Kassenärztlichen Vereinigung MV entbehren die AOK-Vorwürfe einer Doppelfinanzierung jeglicher Grundlage. Die Vereinbarung sei im Jahr 2014 geschlossen worden, die Abrechnungen seien seitdem gegenüber der AOK Nordost je Quartal pünktlich erfolgt. Dazu gehöre der sogenannte Einzelfallnachweis, der auch die Leistungen der Verah-Care konkret enthalte.

Die AOK Nordost habe während der ganzen Vertragszeit die Möglichkeit der Prüfung gehabt. Für keines der seit 2014 abgerechneten Quartale seien entsprechende Prüfanträge oder Hinweise durch die AOK Nordost eingegangen. „Die Abrechnungen erfolgten vertragskonform“, so die KV. Die Kasse müsse sich fragen lassen, warum sie diese Vorgehensweise über einen Zeitraum von acht Jahren habe gelten lassen. In diesem Fall stelle sich auch die Frage nach der Haftung der Verantwortlichen bei der AOK Nordost.

Sehr deutlich würden Erwartungshaltung und Motiv für die Kündigung durch die AOK Nordost. Es gehe offensichtlich nur um Einsparungen zu Lasten der Versorgung ihrer Versicherten, so die KV. Diese Einsparungen seien in den Verhandlungen über eine Fortführung von Verah-Care als zwingende Bedingung von Vertretern der AOK erklärt worden. „Mit einem peinlichen Ablenkungsmanöver will die AOK Nordost lediglich von ihrem derzeitiges Sparkurs ohne Rücksicht auf die Versorgung ihrer Versicherten ablenken“, hieß es.

Laut KV waren Ende 2021 durch die AOK weitere Sonderverträge gekündigt worden. Darunter zur umfassenden Versorgung von Suchtkranken in Schwerpunktpraxen, zur zusätzlichen Betreuung von Patienten mit chronischen Wunden oder die Module Adipositas und Allergie für Kinder.

AOK sieht gesetzliche Verpflichtung zur Prüfung

Die AOK verteidigte die Kündigungen. „Wir sind gesetzlich verpflichtet, diese Verträge nach einer gewissen Laufzeit auf ihre Wirtschaftlichkeit zu überprüfen“, erklärte ein Sprecher auf Nachfrage. Verträge, die nur hohe Kosten verursachen würden, aber in der Überprüfung keine Verbesserung in der Versorgung zeigten, müssten gekündigt werden.

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