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Ärztemangel

MV liegt auf der Intensivstation

Schwerin / Lesedauer: 5 min

Einfach mal kurz zum Hausarzt? Funktioniert nicht überall in MV. Dagegen hat die Landesregierung jetzt ein Rezept. Doch es gibt noch eine andere bittere Pille zu schlucken.
Veröffentlicht:16.11.2019, 11:37

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„Eine medizinische Versorgung auf dem Land darf nicht darunter leiden, dass jungen Menschen systematisch eine berufliche Zukunft als Arzt verbaut wird, nur weil sie kein Sensations-Abitur haben“, mahnt Sebastian Ehlers. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Schweriner Landtag betonte: „Auch mit einer Abi-Note von 2,4 kann man ein guter Arzt sein.“ Gesagt, getan. Nach langwierigen Debatten will der Landtag auf Initiative der Großen Koalition ein Landarztgesetz auf den Weg bringen. Tenor: Wer zukünftig auch mit Abiturnoten abseits der 1,0 Medizin studieren möchte, wird dies in MV können. Damit verpflichtet er sich dann aber, später in Regionen, die an Ärztemangel leiden, zu praktizieren.

Aktuell sind in MV nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung etwa 1200 Hausärzte tätig. 35 Prozent dieser Hausärzte sind aber zwischen 50 und 59 Jahren alt und gehen voraussichtlich in 6 bis 15 Jahren in den Ruhestand. Im hausärztlichen Bereich droht in 15 von 27 Bedarfsplanungsbereichen eine Unterversorgung. Alarmierende Zahlen.

Um künftig verstärkt Ärzte zu rekrutieren, sollen neben der Abiturnote auch andere Auswahlkriterien stärker zur Geltung kommen. „Denn auch die Orientierung an den Bedürfnissen der Patienten in Verbindung mit Empathie und Sozialkompetenz sind wichtige Schlüsselfaktoren des ärztlichen Berufes“, sagt Sebastian Ehlers. Konkret: „Bereits bei der Zulassung zum Studium soll es ermöglicht werden, die fachliche und persönliche Eignung sowie die Bereitschaft für die hausärztliche Tätigkeit auf dem Land zu berücksichtigen. An dieser Stelle soll die Landarztquote ansetzen.“

Sterben der Kinder- und Jugendstationen

Nach derzeit geltendem Recht, dem Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung und der darauf beruhenden Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen des Landes Mecklenburg-Vorpommern, ist die Höhe für eine Landarztquote auf einen Wert von 7,6 Prozent begrenzt, soll jedoch auf 7,8 Prozent angehoben werden. In MV könnten dann 32 Medizinstudienplätze pro Jahr nach dem Landarztgesetz vergeben werden. „Spätestens mit Beginn des Wintersemesters 2021 soll eine Vorabquote für die Bewerber des Studiums der Humanmedizin eingeführt werden, die sich verpflichten, nach Abschluss des Studiums und einer entsprechenden fachärztlichen Weiterbildung für zehn Jahre in der hausärztlichen Versorgung in unterversorgten und von Unterversorgung bedrohten ländlichen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns tätig zu sein“, heißt es im Gesetzentwurf der Großen Koalition. Dieser Entwurf wird in den nächsten Wochen im zuständigen Fachausschuss erörtert.

So viel Zeit hat die Landesregierung bei der Rettung der Kinder- und Geburtenstation am Krankenhaus in Parchim nicht. Beide Einrichtungen unter Federführung des Krankenhauskonzerns Asklepios stehen offenbar auf der Kippe. Die Kinderstation ist bereits seit Pfingsten geschlossen. Ein Kliniksprecher dementierte allerdings am Freitag, dass bereits eine Entscheidung über die endgültige Schließung gefallen sei. Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) kündigte an, in der nächsten Woche in einem Gespräch mit der Klinikleitung einen erneuten Rettungsversuch zu unternehmen.

Doch Parchim ist kein Einzelfall – auch Kinder- und Geburtenstationen in Wolgast, Neustrelitz, Ludwigslust und Crivitz sind seit Längerem ein Fall für die Intensivstation. Eine Situation, die Torsten Koplin von der Linkspartei emotional umtreibt. In einer kämpferischen Rede vor dem Landtag schilderte er das Grundproblem: „Seit Jahren erleben wir ein Sterben der Geburten- und Kinderstationen. Hintergrund ist, dass für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen in Krankenhäusern Besonderheiten gelten, die das Betreiben der Abteilungen schwierig machen. Kinderkliniken haben ein breiteres Leistungsspektrum als andere Fachabteilungen. Kinder und Jugendliche in Krankenhäusern erfordern mehr Zeit.“

Könnten Ärzte aus Kuba helfen?

Der Krankenhausaufenthalt sei bei Kindern selten planbar, die Notfallquote betrage über 50 Prozent. All das werde laut Koplin aber mit dem üblichen Abrechnungssystem für Krankenhausleistungen nicht abgebildet. Deshalb schlage seine Partei vor, die Kinder- und Jugendmedizin vom üblichen DRG-Vergütungssystem abzukoppeln und für sie eine Selbstkostenerstattung einzuführen. Und noch etwas forderte Koplin, gerade auch im Hinblick auf die prekäre Situation in Parchim: „Wir wollen die Bildung eines Ärztepools unter dem Dach der Krankenhausgesellschaft. In diesem Pool könnten etwa pensionierte Mediziner gelistet werden, die bei Bedarf vorübergehend aushelfen könnten. Geprüft werden sollte auch, inwieweit kubanische Ärzte, die hier ihre Ausbildung gemacht haben und gut Deutsch sprechen, nach MV eingeladen werden könnten, um hier zu praktizieren.“ Mit dieser Idee drangen die Linken im Landtag allerdings nicht durch.

Im Gegenzug wies Harry Glawe im Gespräch mit dem Nordkurier noch auf ein weiteres Problem bei der Behandlung gerade auch von Kindern hin: „Früher verweilten Kinder im Krankenhaus durchschnittlich acht Tage. Heute sind es eher drei Tage. Und in Parchim haben wir 18 Betten auf der Kinderstation, aber nur vier bis fünf sind durchschnittlich belegt.“ In dem Zusammenhang ergänzte Torsten Koplin, dass deutschlandweit in den vergangenen 20 Jahren jedes vierte Bett auf den Kinderstationen abgebaut worden sei.

Mit eindrucksvollen Zahlen wartete auch Gunter Jess von der AfD-Fraktion auf. „Während im Jahr 2018 bundesweit etwa 10 Kinderärzte auf 100.000 Einwohner gekommen sind, hat die Quote im Kreis Ludwigslust-Parchim mit 5,1 nur halb so hoch gelegen.“ Zum Vergleich: In Schwerin kommen 24 Kinderärzte auf 100.000 Einwohner, in Rostock sind es 18 und im Landkreis Nordwestmecklenburg 5,4.