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DDR-Erbe

Noch Tausende Säcke zerrissene Stasi-Akten

Berlin / Lesedauer: 3 min

Jahrzehnte nach dem Mauerfall dauert das Interesse an den Stasi-Akten an. Wie geht es weiter mit der Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit?
Veröffentlicht:02.01.2020, 08:57
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Zerrissene Stasi-Akten schlummern rund 30 Jahre nach dem Mauerfall noch immer in Tausenden von Säcken. Die Papiere werden zur Zeit ausschließlich per Hand zusammengesetzt – die vor zwei Jahren gestoppte Rekonstruktion per Computer sei bislang nicht wieder in Gang gekommen, sagte der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn. „Aber wir geben nicht auf”, betonte der frühere DDR-Oppositionelle. „Die Stasi darf nicht im Nachhinein entscheiden, was die Menschen lesen dürfen und was nicht.”

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Rehabilitierungsanträge von SED-Opfern

Knapp 20 Mitarbeiter in Berlin und mehreren Außenstellen der Bundesbehörde in den neuen Ländern fügen laut Jahn derzeit in mühevoller Kleinarbeit Schnipsel zusammen. Vorrangig ausgewählt werden Papiere, die Lücken im Archiv schließen könnten – zum Beispiel zur Spionage der Stasi im Westen oder zur Bekämpfung der DDR-Opposition. Säcke mit solchen Inhalten stünden oben auf der Liste. Bereits rekonstruierte Blätter hätten die Forschung vorangebracht, mit ihnen seien auch Rehabilitierungsanträge von SED-Opfern gestellt worden, betonte Jahn.

Von einst 16.000 Säcken mit sichergestellten Stasi-Papieren wurde bislang lediglich der Inhalt von etwa 520 erschlossen, davon Papiere aus 23 Säcken am Computer. 1.650.000 Blätter wurden per Hand wiederhergestellt. Die manuelle Rekonstruktion könnte noch Jahrzehnte dauern, hieß es. Die Säcke lagern laut Behörde hauptsächlich in einer großen Halle in Magdeburg. Ein unmittelbarer Zerfall drohe nicht.

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In das bereits 2008 gestartete Projekt zum virtuellen Akten-Puzzle flossen mehr als sechs Millionen Euro. Erwartet wurde eine schnelle und umfassende Zusammensetzung. Doch das Vorhaben wurde auf Eis gelegt, weil die technischen Voraussetzungen für ein Massenverfahren nicht reichten. Das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik entwickelte zwar eine leistungsfähige Software, doch es gab keine speziellen Scanner. Dazu werde jetzt ein neuer Vertrag vorbereitet, sagte Jahn.

Massenhafte Vernichtung von Akten

Im Herbst 1989 wollten Stasi-Offiziere massenhaft Akten vernichten. Nachdem die Reißwölfe heiß liefen, wurde auch per Hand zerfetzt. Bürgerrechtler stoppten die Aktion. Neben der Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in den Säcken blieben 111 Regal-Kilometer Papiere unversehrt.

Alle Unterlagen im Stasi-Unterlagen-Archiv sollen nun Teil des Bundesarchivs werden. Das beschloss der Bundestag im Herbst. Das Stasi-Archiv bleibe in Berlin-Lichtenberg sowie in den ostdeutschen Ländern an den historischen Orten verankert, betonte Jahn. Die frühere Stasi-Zentrale soll laut Bundestagsbeschluss zum „Ort der deutschen Diktatur- und Demokratiegeschichte” ausgebaut werden.

Stasi-Akten bleiben zugänglich

Der Bundesbeauftragte trat erneut Befürchtungen entgegen, dass die Stasi-Akten dann nicht mehr zugänglich sein könnten. „Die Akten bleiben offen – ihr Zugang ist eine Errungenschaft der friedlichen Revolution. Sie gehören zum Gedächtnis der Nation.”

Laut Bundestagsbeschluss werden Unterlagen zu Parteien und Massenorganisationen der DDR mit den Stasi-Akten in Lichtenberg zusammengeführt. Dafür soll dort ein neues Archivzentrum entstehen. „Ich wünsche mir sehr, dass das neue Archiv bis 2030 fertig ist”, unterstrich Jahn.

Einen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen wird es so künftig nicht mehr geben. Dafür solle die Stelle eines Bundesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur geschaffen werden.

Jahn ist bis Sommer 2021 vom Bundestag gewählt, danach will er auf Weltreise gehen. Neue Posten wolle er nicht übernehmen, unterstrich der 66-Jährige.